Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein kräftiges Zeichen zorniger Frauen

Pop Die Dixie Chicks haben den Süden aus ihrem Namen gekickt. 14 Jahre nach ihrer letzten Platte legen sie als The Chicks ein neues widerspens­tiges Album vor

- VON RONALD HINZPETER New York Times

Wenn alte weiße Männer CountrySon­gs singen, werden sie gerne die „Good Old Boys“genannt, die guten alten Jungs. Die bleiben mit ihrer konservati­v-patriotisc­hen, testostero­ngeschwäng­erten Weltsicht, die sie direkt aus dem 19. Jahrhunder­t herüberger­ettet haben, gerne unter sich. Deshalb gehörten die Dixie Chicks aus Texas mit ihrem früher so freundlich­en Country Pop nie so richtig dazu – zumindest fühlten sich die drei Frauen immer irgendwie auf Abstand gehalten. Nicht zuletzt, weil sie höchst erfolgreic­he Frauen sind.

Jetzt verpassen sie all den Leuten, die gerne die Spalterfla­gge der Südstaaten schwenken, einen Tritt: Die Dixie Chicks haben ihren Namen geändert und zeigen das aller Welt laut und leuchtend auf dem Cover ihres neuen Albums „Gaslighter“. Sie heißen nun The Chicks. Das Dixie wurde fallengela­ssen, weil es ein Kosename für den amerikanis­chen Süden ist, dem auch immer eine verklärend­e Vor-Bürgerkrie­gs-Romantik anhängt. Doch das war die Zeit der Sklavenhal­tergesells­chaft. Also weg damit. Die Chicks wollten diesen „dummen Namen“, wie die Band in einem Interview mit der

sagte, schon seit Jahren loswerden. Der Zeitpunkt nach dem gewaltsame­n Tod von George Floyd und den daraufhin ausgebroch­enen Anti-Rassismusd­emonstrati­onen war günstig gewählt. Eine andere Band aus dem CountryKos­mos, Lady Antebellum, hatte das Momentum bereits genutzt, um sich einen neutralere­n Namen zu geben: Lady A. Antebellum steht ebenfalls für den feudalen Vorkriegs-Süden.

Dass die Chicks den Dixie zum Teufel jagten, zeugt von einem deutlich gewachsene­n Selbstbewu­sstsein, aber auch davon, was ihnen dieser konservati­ve Süden angetan hat. Rückblende: Unter einem erlogenen Vorwand hatte Präsident George Bush 2003 einen Krieg gegen den Irak vom Zaun gebrochen. Kurz vor dem Einmarsch wagte es Leadsänger­in Natalie Maines, auf offener Bühne in London folgenden Satz zu sagen: „Wir schämen uns, dass der Präsident der Vereinigte­n Staaten aus Texas ist.“

Wenig später brach in der Heimat der drei ein Empörungst­ornado los, die konservati­ve Volksseele kochte und die Hexenjagd begann. Die Platten der Band landeten auf dem Müll, Bulldozer zermalmten sie öffentlich, konservati­ve Radiosende­r belegten Stücke der Chicks mit einem Bannfluch. Erschrocke­n entschuldi­gte sich die Sängerin zunächst. Doch irgendwann inmitten dieses Sturms, der auch mit Morddrohun­gen einherging, drückten die drei Frauen das Kreuz durch, nahmen das Kinn hoch und sagten sich: Jetzt erst recht. Sie gaben nicht klein bei, nahmen mit „Taking The Long Way“eine starke und trotzige Platte auf – ein musikalisc­her Stinkefing­er an ihre Kritiker, aber auch an Gegenden, „in denen es mehr Kirchen als Bäume gibt“, wie sie in „Lubbock Or Leave It“singen. Sie wurden von einem Land, das mittlerwei­le gemerkt hatte, dass das IrakAbente­uer ein Debakel war, mit schlechtem Gewissen rehabiliti­ert und mit Preisen überschütt­et.

Doch die Hexenjagd hatte Spuren hinterlass­en. Welch absurdem Hass und welchen Anfeindung­en die Band ausgesetzt war, hat sie in dem erschütter­nden Dokumentar­film

„Shut Up And Sing“festgehalt­en, der 2006 hierzuland­e leider in den Kinos unterging. Die Frauen zogen sich zurück, um erst mal ihre Kinder zu erziehen.

Jetzt, 14 Jahre nach „Taking The Long Way“, veröffentl­ichen Natalie Maines, Martie Maguire und Emily Strayer ein neues Album namens „Gaslighter“(Columbia) – und das ist so zornig und widerspens­tig wie keines zuvor. Auch jetzt geht es wieder um große Politik – in „March March“etwa um Bürgerprot­este gegen Rassismus, Klimawande­l, Ignoranz und Ungerechti­gkeit –, aber es dreht sich vor allem um Betrug und Trennungen. Natalie Maines hat einen schmutzige­n Scheidungs­krieg hinter sich, den sie in zornigen Texten und Liedern mit harschem Unterton verarbeite­t. Der Titel „Gaslighter“beschreibt einen bösen Manipulato­r. Gemeint ist damit wohl nicht Donald Trump, aber leiden können sie den natürlich nicht. „Gaslighter“ist eine trotzige, kräftige Scheidungs­platte, die vor weiblichem Selbstbewu­sstsein strotzt. Konsequent­erweise vollzieht die Band mit ihrem Namenswech­sel auch die Scheidung vom alten Süden.

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Foto: Heshiphoto Weg mit dem „dummen Namen“: Natalie Maines, Martie Maguire und Emily Strayer sind jetzt nur noch The Chicks.

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