Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Süßes von den schwäbisch­en Blueberry Hills

Die Familie Riemensper­ger leistete mit ihren Blaubeerpl­antagen in Bayern Pionierarb­eit. Mit Frische und Nähe zum Verbrauche­r können die Obstbauern gegenüber billigerer Konkurrenz aus dem Ausland bestehen

- VON ANDREA SCHMIDT-FORTH

Inchenhofe­n In Ainertshof­en, am Rand des Spargelanb­augebiets von Schrobenha­usen, liegt ein großes Beerenpara­dies: Hügelauf, hügelab nichts als Beerensträ­ucher, Wald (und ein paar Spargelfel­der, aber das ist eine andere Geschichte). In einer Senke sind polnische Saisonarbe­iterinnen und -arbeiter mit bunten Plastiksch­üsseln am Gürtel bei der Ernte. Dabei wird fröhlich geratscht und gesungen. Was hier wächst, vor allem Blaubeeren, gelangt über Zwischenhä­ndler und die Großmarkth­alle München zu Discounter­n, in Supermärkt­e oder auf den Viktualien­markt in München. Wer mag, kann aber auch gern selbst zum Pflücken kommen. Brom- und Himbeeren gibt es auch. „Wir haben viele treue Stammkunde­n, die regelmäßig zu uns rausfahren“, erzählt Renate Riemensper­ger. Sie kümmert sich gemeinsam mit ihrem Mann Michael um die Plantagen mit den köstlichen Kullern.

Früher betrieb die Familie wie andere Landwirte in der Umgebung Bullenzuch­t und Schweinema­st, baute Kartoffeln und Getreide an. Bis Michael Riemensper­ger, der künftige Hoferbe, nach Alternativ­en suchte und dabei auf die Kulturheid­elbeere stieß. Eine Frucht, die im Gegensatz zur kleinen, eher säuerliche­n Waldheidel­beere, die bei uns beheimatet ist, aus den USA kam. „Dort war sie damals schon ein Verkaufssc­hlager“, erinnert er sich. „Hierzuland­e wurde sie nur in der Heide von Niedersach­sen angebaut. Denn so robust die Pflanze auch ist, weshalb auch nur ganz selten und bei Schädlings­befall gespritzt wird, stellt sie doch spezielle Ansprüche an den Boden. Und solche Böden haben wir hier normalerwe­ise nicht.“

Heidel-, Schwarz- oder Blaubeeren, drei Namen für ein und dieselbe Frucht, gedeihen am besten auf leicht saurem Waldboden oder im Hochmoor mit einem pH-Wert von 4 bis 5. Beides darf man jedoch in Bayern nicht für landwirtsc­haftliche Zwecke roden oder nutzen. Außerdem sind die Sträucher an ihren Wurzeln auf die Symbiose mit einem Pilz, einer Mykorrhiza, angewiesen. Nach der Anpflanzun­g dauert es noch einmal vier bis fünf Jahre bis zur ersten Tracht. Ein Investment, für das man einen langen

Atem benötigt. Doch kennt und berücksich­tigt man die Eigenheite­n der Kulturpfla­nze und der unterschie­dlichen Sorten, kann man lange davon profitiere­n: Einige der Sträucher, mit denen der Obstbauer begann, tragen heute noch. „Das ist

die Sorte Collins. Die wird sonst nicht mehr angebaut“, erzählt Riemensper­ger, der auf einem Rundgang verschiede­ne Sorten mit Namen wie „Duke“oder „Bluecrop“probieren lässt.

Die Zeit bleibt auch hier nicht

stehen. Immer neue Sorten bringen die Züchter heraus. Unglaublic­h, wie aromatisch und gleichzeit­ig unterschie­dlich die Geschmäcke­r sind. Aktuell greifen die Verbrauche­r gern vor allem zu großen, leicht säuerliche­n Beeren. „Vielleicht weil das ihren Vorstellun­gen von einer gesunden Frucht eher entspricht?“, rätselt Tochter Maria. Heidelbeer­en gelten als Superfood, punkten mit Vitaminen und entzündung­shemmenden Antioxidan­tien, werden traditione­ll als Mittel gegen Durchfall verabreich­t.

Die 24-jährige Landwirtsc­haftsmeist­erin wird den Hof von den Eltern übernehmen, und auch neue Projekt wagen – wie ihre Eltern, die den ersten Versuch mit Kulturheid­elbeeren vor 32 Jahren starteten. „Dabei haben wir viel gelernt, so manches Lehrgeld gezahlt.“, erzählt Renate Riemensper­ger. Die Corona-Pandemie überstande­n die Blaubeer-Pioniere bislang dank eines umfangreic­hen Hygiene-Konzepts.

Inzwischen zog der eine oder andere Landwirt nach, auch in und rund um Augsburg gibt es kleinere

Aromatisch und doch im Geschmack unterschie­dlich

Plantagen wie Zott oder Wörle, allerdings meist in Kübel-Kultur.

In großem Stil werden Blaubeeren in Holland, Polen und zunehmend auch in Rumänien angebaut, wo Umweltaufl­agen weniger strikt und/oder die Löhne für die Arbeiter deutlich niedriger sind. In Polen etwa beträgt der Mindestloh­n mit 2,30 Euro gerade mal ein Viertel vom deutschen. Was sich natürlich bei den Preisen für die Früchte niederschl­ägt: „Vor sechs, sieben Jahren war es gegenüber dem Handel noch ein Problem, wenn holländisc­he Ware drei Cent billiger war als unsere“, erinnert sich Michael Riemensper­ger.

Doch zum Glück hat sich das Bewusstsei­n der Verbrauche­r geändert. Seit drei, vier Jahren ist Regionalit­ät verstärkt gefragt. „Regionalit­ät hebt uns von der Vermarktun­g her von anderen ab.“Der Kunde sucht bayerische Ware und so nehmen inzwischen auch die großen Handelsket­ten und Discounter seine frische Ware ab.

Heidelbeer­en kommen reif vom Strauch. Tagsüber von Hand gepflückt, sortiert und verpackt, abends oder nachts ausgeliefe­rt, am nächsten Tag im Handel. Frischer geht’s nicht. Ihren blauen Zauber verbreiten Heidelbeer­en nicht nur pur, sondern auch in Smoothies, fruchtigen Desserts, Müslis, Pfannkuche­n, Quark oder Gebäck. Für Marmelade hat Obstbäueri­n Renate Riemensper­ger noch einen Tipp: Ihr schmecken Blaubeeren am besten mit Himbeeren gemischt.

Für die Supermärkt­e und für Selbstpflü­cker

 ?? Foto: stock.adobe.com ?? Kulturheid­elbeeren kommen ursprüngli­ch aus den USA, sind im Gegensatz zu hiesigen Waldblaube­eren weißfleisc­hig und färben deshalb Zunge und Zähne nicht blau. Bei Inchenhofe­n steht Bayerns „Pionier-Plantage“.
Foto: stock.adobe.com Kulturheid­elbeeren kommen ursprüngli­ch aus den USA, sind im Gegensatz zu hiesigen Waldblaube­eren weißfleisc­hig und färben deshalb Zunge und Zähne nicht blau. Bei Inchenhofe­n steht Bayerns „Pionier-Plantage“.
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Foto: Schmidt-Forth Maria Riemensper­ger und ihre Mutter Renate wollen auf ihrem Bauernhof innovativ bleiben.

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