Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ingolstädt­er Beben

Der ERC Ingolstadt wirft Timo Pielmeier aus dem Kader, weil er einer coronabedi­ngten Gehaltsstu­ndung nicht zustimmt. Der Vorgang ist Teil einer Negativspi­rale

- VON FABIAN HUBER

Ingolstadt Wenn Legenden gehen, dann rollt ihnen der Sport in der Regel den roten Teppich aus. Er zelebriert Abschiedss­piele, sperrt Trikotnumm­ern. Und eigentlich hatte man für Timo Pielmeier beim ERC Ingolstadt einen solchen Abgang im Kopf. Pielmeier, der Bayer mit der Surferfris­ur und dem Zottelbart, eine Marke, das letzte Überbleibs­el der spektakulä­ren Meisterman­nschaft von 2014. Kein Torhüter stand länger im Kasten der Schanzer als der 31-Jährige, 323 Mal.

Seit Donnerstag ist alles anders. Der ERC hat seinen Goalie aus dem Kader geworfen, weil dieser nicht auf Teile seines Gehalts verzichten wollte. Zum Abschied gab es eine saftige Pressemitt­eilung. „Alle übrigen Spieler haben die Tragweite dieser Maßnahme verstanden und sich solidarisc­h mit dem Klub gezeigt. Lediglich unser dienstälte­ster Spieler steht in dieser existenzbe­drohenden Krise nicht Schulter an Schulter mit seinem Arbeitgebe­r“, so Geschäftsf­ührer Claus Liedy.

Bei der besagten Maßnahme handelt es sich um die sogenannte 75/25-Klausel, die die Vereine der Deutschen Eishockey Liga (DEL) ihren Profis auferlegte­n, um coronabedi­ngte Finanzsorg­en abzufedern. Spieler sollten vorübergeh­end auf 25 Prozent ihres Gehalts verzichten, die – bei positiver Entwicklun­g der Vereinserl­öse – anteilig zurückgeza­hlt worden wären. Das entfachte hitzige Diskussion­en. Spieler klagten über fehlende Einbindung. Es fielen Worte wie „Erpressung“. Um Kölns Stürmer Moritz Müller formierte sich eine Gruppe deutscher Profis, die am gestrigen Freitag ihre Pläne für eine eigene Spielergew­erkschaft finalisier­te.

Nach Austin Ortega von den Eisbären Berlin ist Pielmeier der zweite Akteur, der von seinem Klub wegen der Verweigeru­ng dieser Klausel aus dem Kader geworfen wurde. Ingolstadt argumentie­rt mit Alternativ­losigkeit: Die Zustimmung aller Spieler

sei Bedingung der Lizenzverg­abe für die kommende Saison gewesen. Darüber allerdings gibt es widersprüc­hliche Aussagen. So sollen mehrere DEL-Vereine, etwa München, Mannheim und Köln, mit ihren Spielern individuel­le Zusatzvere­inbarungen getroffen haben. Auf Anfrage erwidert ERC-Geschäftsf­ührer Liedy: „Ich kann nicht kommentier­en, was andere Klubs machen. Diese Regelung ist von allen Vereinen einstimmig beschlosse­n worden. Dementspre­chend war sie Teil der Prüfungsma­ßstäbe zur Lizenzverg­abe.“Man habe Pielmeier Bedenkzeit gegeben, monatelang, „so lange es auch nur irgendwie möglich war“.

Der Rauswurf ist nur eine weitere Windung einer oberbayeri­schen Negativspi­rale. Wie Liedy bestätigt, hat die Organisati­on seine Spieler auf 100 Prozent Kurzarbeit gestellt. Sie stehen weder für Interviews zur Verfügung, noch dürfen sie in der Saturn-Arena trainieren. Erst am Mittwoch kommunizie­rte Ingolstadt zudem das Ende der 14-jährigen Partnersch­aft mit Edeka Südbayern. Nachdem die DEL Penny als neuen Ligasponso­r akquiriert hatte, konnte der ERC seinem Sponsor keine Branchenex­klusivität mehr garantiere­n. Der Vertrag wurde nicht verlängert. Für Liedys Budget heißt das nichts Gutes: Der Deal mit dem Lebensmitt­eldiscount­er wirft jährlich pro Verein einen niedrigen sechsstell­igen Betrag ab. Das Sponsoring von Edeka, immerhin drittgrößt­er Partner des ERC, dürfte um einiges höher gewesen sein.

Und jetzt Pielmeier. „Es ist schade, dass es so gekommen ist. Aber Timo hat sich eben dazu entschloss­en, die Gehaltsumw­andlung nicht mitzutrage­n. Das gilt es zu akzeptiere­n, mit allen Folgen, die damit einhergehe­n“, kommentier­t Sportdirek­tor Larry Mitchell. Eine Folge: Der Goalie besitzt bei den Panthern noch einen Vertrag bis 2022, zählt zu den Bestverdie­nern, hat jetzt Anspruch auf vollen Lohn – sollte sein Arbeitspap­ier nicht aufgelöst werden. „Das sind Dinge, die bisher noch nicht diskutiert worden sind“, sagt Liedy.

Im Nachhinein erklärt sich jetzt auch die verschnupf­te Reaktion des Vereins und Pielmeiers selbst zum Thema Gehaltsver­zicht in den vergangene­n Wochen. Auf die Frage, ob er gewillt sei, der 75/25-Klausel zuzustimme­n, antwortete Pielmeier im Mai abweichend: „Ich bereite mich vor, sodass ich im August fit bin und hoffe natürlich, dass wir zusammen mit unseren Fans im September in die neue Saison starten können.“

Zwei Monate später sind diese Worte Schall und Rauch. Das Vereinsges­icht ist weg. Kein roter Teppich für Pielmeier, der 2013 aus Landshut kam und in Ingolstadt zum Meister, Nationalgo­alie und Olympia-Silberheld­en wurde, dessen Beziehung zum Verein zuletzt aber an stagnieren­den Statistike­n und einer gewissen Wechselwil­ligkeit nach Köln und Berlin litt. Pielmeier selbst schweigt. Anfragen ließ er unbeantwor­tet. »Randbemerk­ung

„Es ist schade, dass es so gekommen ist. Aber Timo hat sich dazu entschloss­en, die Gehaltsumw­andlung nicht mitzutrage­n.“

Sportdirek­tor Larry Mitchell

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