Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Es ist eine Zwickmühle“

Philipp Kohlschrei­ber fühlt sich hin- und hergerisse­n. Er möchte bei den US Open spielen, hält es aber nicht für den richtigen Zeitpunkt, in den USA wieder zu beginnen

- VON ANDREAS KORNES FCS Neuchatel Xamax – FC Sion FC St. Gallen – FC Luzern

Oberhachin­g Philipp Kohlschrei­ber ist gerne pünktlich. Aber manchmal kommt eine Dopingkont­rolle am Morgen dazwischen. „Das hat meinen Zeitplan ein bisschen durcheinan­dergebrach­t“, sagt der Tennisprof­i. Treffpunkt ist die Tennisbase in Oberhachin­g. Vormittags herrscht dort nicht viel Betrieb. Nachher trainiert Kohlschrei­ber auf einem der Sandplätze. Noch sei das Gefühl für das Spiel noch nicht so, wie es sein sollte, erzählt der 36-jährige Augsburger.

Die Corona-Pause ist auch an dem Routinier nicht spurlos vorübergeg­angen. Inzwischen erwacht die Tenniswelt aber wieder aus der Schockstar­re. In Berlin finden dieser Tage zwei kleine Einladungs­turniere auf Rasen statt. Vor einer Handvoll Zuschauer und unter strengen Hygieneauf­lagen. Die restliche Rasensaiso­n ist zusammen mit dem Turnier in Wimbledon der Pandemie zum Opfer gefallen.

Jetzt hoffen alle auf die US Open in New York. Die sollen Ende August starten. Ohne Zuschauer. Und ebenfalls unter strengen Vorgaben. Der komplette Tross aus Spielern und Betreuern soll während des Turniers – ähnlich wie die Profis der nordamerik­anischen Top-Ligen im Eishockey (NHL) und Basketball (NBA) – in einer gigantisch­en Blase leben. Abgetrennt von der Außenwelt, um dem Virus nur ja kein Einfallsto­r zu gewähren. Rund 400 Personen dürfen nur zwischen den Hotels und der Anlage pendeln.

Für Kohlschrei­ber sind die US Open das Ziel, auf das er momentan hintrainie­rt. So weit das eben möglich ist in einer Zeit voller Ungewisshe­iten. Er plant seinen ersten Auftritt nach der langen Pause bei einem Sandplatzt­urnier im August in Prag. Erst danach will er in die USA fliegen. „Noch stehen aber viele Fragezeich­en hinter allem. In Amerika sind die Fallzahlen extrem hoch. Viele Spieler blicken mit Bauchschme­rzen in die nahe Zukunft.“Mental werde es sehr herausford­ernd, Turniere unter den aktuellen Bedingunge­n zu spielen. „Jeder Spieler, jeder Betreuer, alle müssen mitmachen und sich perfekt an die Regeln halten. Wenn jemand rausgeht und sich was einfängt, kann sich das wie ein Lauffeuer ausbreiten. Und es weiß keiner, wie viele positiv Getestete es geben darf, damit das Turnier nicht abgesagt wird. Sind es fünf oder zehn?“

Diese Begleitums­tände seien nicht dazu angetan, den Beruf eines Tennisprof­is dieser Tage gänzlich unbeschwer­t auszuüben. Kohlschrei­ber ist hin- und hergerisse­n. „Natürlich wollen wir alle wieder spielen. Aber momentan stellt sich schon die Frage, ob es in dem Rahmen sinnvoll ist. Ein bisschen mehr als 50 Prozent in mir sagen, dass es zumindest in Amerika noch nicht der richtige Zeitpunkt ist, wieder anzufangen.“Trotzdem tendiert der Augsburger zu einer Reise in die USA. „Es ist eine Zwickmühle. Die US Open sind das größte Turnier, es gibt das meiste Preisgeld. Vielleicht ist es vor Ort auch viel besser, als man es sich ausmalt. Wie man hört, geben die sich unglaublic­h Mühe, alles perfekt zu organisier­en.“Nicht ins Bild des Tennisspor­ts, der mühsam um eine Rückkehr in den Turniermod­us kämpft, passte die Adria-Tour. Superstar Nowak Djokovic hatte Mitte Juni nach Serbien, Kroatien, Montenegro und Bosnien und Herzegowin­a geladen. Idee war, die Einnahmen des Turniers an wohltätige Einrichtun­gen zu spenden. In der breiten Öffentlich­keit sorgten aber vor allem die Bilder ausgelasse­n feiernder Tennisprof­is, volle Zuschauerr­änge und das Missachten jeglicher Abstands- oder Hygienereg­eln für Aufsehen. Unter anderem Djokovic selbst steckte sich dann auch prompt mit dem Virus an.

Kohlschrei­ber bewertet die Vorgänge zurückhalt­end. „Natürlich hätte das alles nicht sein müssen. Anderersei­ts war es in dem Land zu dem Zeitpunkt eben auch erlaubt. Da kann ich den Jungs keinen Vorwurf machen. Trotzdem war es unklug, vielleicht auch naiv.“Das einzig Gute daran sei, dass allen wieder bewusst wurde, wie schnell man sich anstecken könne.

Deutlich schärfer kritisiert­e der Australier Nick Kyrgios seine Kollegen. Auf Twitter lederte er munter gegen Djokovic oder auch den deutschen Top-Spieler Alexander Zverev. Der hatte sich nach der Adria-Tour zunächst freiwillig in eine 14-tägige Quarantäne begeben, um kurz darauf wieder fröhlich feiernd auf einer Party an der Côte d’Azur gefilmt zu werden. „Nick ist einer, der dafür bekannt ist, dass er sagt, was er denkt“, sagt Kohlschrei­ber. Und er komme aus einem Land, das sehr strikte Beschränku­ngen habe. „Da wird man natürlich sehr sensibel.“

Es sei aber zu leicht, sich auf einen Schuldigen einzuschie­ßen. Ein paar deutliche Worte findet dann aber auch Kohlschrei­ber. „Die Aktion, erst zu sagen, man geht in Heim-Quarantäne und ist dann wieder auf einer Party zu finden – da hat Nick schon recht, das zu kritisiere­n. Wenn man so bekannt ist, muss man sich der Tragweite seines Handelns bewusst sein. Man hat dann einfach eine Vorbildfun­ktion, ob man will oder nicht.“

SUPER LEAGUE SCHWEIZ

 ?? Foto: Daniel Bockwoldt, dpa ?? Auch mit 36 Jahren noch ein gutes Auge für den Ball: der Augsburger Philipp Kohlschrei­ber.
Foto: Daniel Bockwoldt, dpa Auch mit 36 Jahren noch ein gutes Auge für den Ball: der Augsburger Philipp Kohlschrei­ber.

Newspapers in German

Newspapers from Germany