Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Als Ali das Olympiafeuer entzündete
Eine neue Serie beschäftigt sich mit aufregenden Ereignissen im Sport. Eines der bewegendsten fand 1996 in Atlanta statt. (Teil 1)
Es gibt nicht mehr viele Geheimnisse, die moderne Welt betreffend. Da mag der Zirkel der Wissenden auch noch so klein sein. Irgendeiner verplappert sich immer. Umso bemerkenswerter ist, dass es alle zwei Jahre, in den Tagen vor dem Beginn Olympischer Winter- oder Sommerspiele, eines der am besten gehüteten Geheimnisse bleibt, wer zum Auftakt das olympische Feuer entzündet.
Nun darf man sich fragen, was am Entzünden eines brandschutzgesicherten Feuers so großartig ist, dass ein Weltgeheimnis um den Brandstifter gemacht wird und die Zeitungen voll sind mit Spekulationen um mögliche Kandidaten. Nun, zum einen möchte alles groß und geheimnisvoll sein, was im Zeichen der Ringe steht. Zum anderen hat das Feuer mit seinem Ausgangsort Athen zumeist einen weiten Weg hinter sich und am Zielort steht es für Frieden. Solange es brennt, sollen die olympischen Völker ihre Streitigkeiten ruhen lassen.
So war das auch am 19. Juli 1996 in Atlanta/Georgia, Austragungsort der 26. Sommerspiele. Die Frage, wer in dieser Nacht das Olympische Feuer entzünden würde, war offen wie ein Scheunentor. Die USA als weltbeste Sportnation auf den olympischen Feldern hätte dutzende Persönlichkeiten aufbieten können, die es wert gewesen wären, das Feuer zu entzünden. Einer, der möglicherweise Größte von allen, schied aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit aus: Muhammad Ali, Olympiasieger und Weltmeister, der größte Boxer aller Zeiten.
Die Nacht von Atlanta: Die 85000 Zuschauer im Olympiastadion stehen bei der Eröffnungszeremonie auf ihren Plätzen. Janet Evans, die Schwimm-Olympiasiegerin läuft mit der Fackel durch die Arena. Sie wird das Feuer dem oder der großen Unbekannten übergeben. Es geht eine Steigung hinauf zur Bühne. An den Bildschirmen warten drei Milliarden Menschen weltweit auf die Enthüllung des Geheimnisses. Als sie das Podest fast erreicht hat, betritt ein älterer Mann in weißem Trainingsanzug und weißen Sportschuhen schleppend die Bühne. Das Stadion bebt. Es ist Ali. Seine rechte Hand hält die Fackel. Seine linke zittert stark, als Evans das Feuer übergibt. Ali ist schwer von seiner Parkinson-Erkrankung gezeichnet. Atlanta war sein Comeback. Zwölf Jahre zuvor, zu den Olympischen Spielen in Los Angeles, hatte man ihn nicht mal eingeladen. Bei seiner Rückkehr in die Öffentlichkeit auf der größten aller Bühnen flossen viele Tränen. Ali hatte die Menschen schon immer bewegt. Die Kameras zeigen einen völlig aufgelösten US-Präsidenten Bill Clinton. Ali dagegen scherzte später: „Meine linke Hand zitterte wegen Parkinson, die rechte vor Angst.“Mit beiden Händen schaffte er es schließlich, die Flamme zu entzünden. Muhammad Ali starb 2016 im Alter von 74 Jahren.