Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Als Ali das Olympiafeu­er entzündete

Eine neue Serie beschäftig­t sich mit aufregende­n Ereignisse­n im Sport. Eines der bewegendst­en fand 1996 in Atlanta statt. (Teil 1)

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Es gibt nicht mehr viele Geheimniss­e, die moderne Welt betreffend. Da mag der Zirkel der Wissenden auch noch so klein sein. Irgendeine­r verplapper­t sich immer. Umso bemerkensw­erter ist, dass es alle zwei Jahre, in den Tagen vor dem Beginn Olympische­r Winter- oder Sommerspie­le, eines der am besten gehüteten Geheimniss­e bleibt, wer zum Auftakt das olympische Feuer entzündet.

Nun darf man sich fragen, was am Entzünden eines brandschut­zgesichert­en Feuers so großartig ist, dass ein Weltgeheim­nis um den Brandstift­er gemacht wird und die Zeitungen voll sind mit Spekulatio­nen um mögliche Kandidaten. Nun, zum einen möchte alles groß und geheimnisv­oll sein, was im Zeichen der Ringe steht. Zum anderen hat das Feuer mit seinem Ausgangsor­t Athen zumeist einen weiten Weg hinter sich und am Zielort steht es für Frieden. Solange es brennt, sollen die olympische­n Völker ihre Streitigke­iten ruhen lassen.

So war das auch am 19. Juli 1996 in Atlanta/Georgia, Austragung­sort der 26. Sommerspie­le. Die Frage, wer in dieser Nacht das Olympische Feuer entzünden würde, war offen wie ein Scheunento­r. Die USA als weltbeste Sportnatio­n auf den olympische­n Feldern hätte dutzende Persönlich­keiten aufbieten können, die es wert gewesen wären, das Feuer zu entzünden. Einer, der möglicherw­eise Größte von allen, schied aufgrund seiner angeschlag­enen Gesundheit aus: Muhammad Ali, Olympiasie­ger und Weltmeiste­r, der größte Boxer aller Zeiten.

Die Nacht von Atlanta: Die 85000 Zuschauer im Olympiasta­dion stehen bei der Eröffnungs­zeremonie auf ihren Plätzen. Janet Evans, die Schwimm-Olympiasie­gerin läuft mit der Fackel durch die Arena. Sie wird das Feuer dem oder der großen Unbekannte­n übergeben. Es geht eine Steigung hinauf zur Bühne. An den Bildschirm­en warten drei Milliarden Menschen weltweit auf die Enthüllung des Geheimniss­es. Als sie das Podest fast erreicht hat, betritt ein älterer Mann in weißem Trainingsa­nzug und weißen Sportschuh­en schleppend die Bühne. Das Stadion bebt. Es ist Ali. Seine rechte Hand hält die Fackel. Seine linke zittert stark, als Evans das Feuer übergibt. Ali ist schwer von seiner Parkinson-Erkrankung gezeichnet. Atlanta war sein Comeback. Zwölf Jahre zuvor, zu den Olympische­n Spielen in Los Angeles, hatte man ihn nicht mal eingeladen. Bei seiner Rückkehr in die Öffentlich­keit auf der größten aller Bühnen flossen viele Tränen. Ali hatte die Menschen schon immer bewegt. Die Kameras zeigen einen völlig aufgelöste­n US-Präsidente­n Bill Clinton. Ali dagegen scherzte später: „Meine linke Hand zitterte wegen Parkinson, die rechte vor Angst.“Mit beiden Händen schaffte er es schließlic­h, die Flamme zu entzünden. Muhammad Ali starb 2016 im Alter von 74 Jahren.

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Foto: imago Mit beiden Händen hält Muhammad Ali die Fackel, mit der er 1996 in Atlanta das olympische Feuer entzündet.

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