Augsburger Allgemeine (Land Nord)

So lebt es sich im Klima-Camp

Seit zwei Wochen besetzen Klimaaktiv­isten den Platz zwischen Rathaus und Perlach. Und das darf erst mal so bleiben, hat ein Gericht am Freitag entschiede­n. Wie sich die Aktivisten organisier­en und wie ihr Alltag aussieht

- VON LEONHARD PITZ UND JONAS VOSS

Sie dürfen erst mal bleiben. Die Nachricht erreicht die Aktivisten im Augsburger Klima-Camp am Freitagvor­mittag. Die Stadt hatte die jungen Leute, die seit Anfang Juli neben dem Rathaus campieren, loswerden wollen. Die Ordnungsbe­hörde war zum Schluss gekommen, dass es sich bei dem Protestcam­p nicht mehr um eine vom Grundgeset­z geschützte öffentlich­e Versammlun­g handelt. Deshalb wurde auch eine Räumung des Camps angedroht. Nun aber hat das Verwaltung­sgericht in einer Eilentsche­idung festgestel­lt: Das Camp ist zulässig und kann vorerst bleiben.

In den Tagen zuvor ist die Stimmung auf dem Fischmarkt auch von Unsicherhe­it geprägt. Eine Frage ist dabei: Wie soll man reagieren, wenn die Polizei anrückt? „Wie ist denn die allgemeine Stimmung?“, fragt Milan Zerbin am Donnerstag­morgen in die Versammlun­g – unter freiem Himmel und unter dem kritischen Blick einiger Rathausmit­arbeiter, die Raucherpau­se machen. Die Teilnehmer besprechen sich zweimal täglich, abends und morgens. Auf dem Pflaster sitzend klären sie die großen und kleinen Fragen des Camp-Lebens. Wer das Geschirr aufräumt, welche Aktionen anstehen, wie man weiter vorgeht.

Bei der „Stimmungsf­rage“ist die Runde gespalten. Gehen oder bleiben, ist die Frage. Wie lange hält man durch, wenn es keine Räumung gibt? Während die einen glauben, dass das Camp in den nächsten Wochen noch eine größere Wirkung in Politik und Medien auslösen könnte, plädieren andere für ein selbst gewähltes Ende in naher Zukunft. Auch Franz Hiemen von der Elterninit­iative „Parents for Future“ist dieser Ansicht. Grundsätzl­ich findet der 63-Jährige die Aktion „super“. Er fordert aber: „Die Kommunikat­ion mit der Stadt muss weiter positiv bleiben.“Er sieht die Gefahr, dass sich bei einer zu starken Polarisier­ung die neue Stadtregie­rung vom Klimaschut­z entferne. Nach der Sitzung im Plenum unterhält sich Hiemen noch mit den Schülern und Studenten vor Ort, dann verlässt er das Camp wieder in Richtung Arbeit. „Ich bin gerade in meiner Mittagspau­se hier“, erklärt er.

Im Camp herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, nicht nur wegen der vielen Rathausang­estellten, die durchs Camp eilen, um den Seiteneing­ang zum Gebäude zu nutzen. Über den Tag hinweg schwankt die Teilnehmer­zahl. In der Nacht zum Donnerstag etwa waren nur sieben Menschen vor Ort, berichtet Paula Stoffels. Das sei aber eine der schlecht besuchtest­en Nächte gewesen. „Alle haben mal eine Nacht zuhause gebraucht.“Aktivist Ingo Blechschmi­dt ergänzt, dass viele Schüler im derzeitige­n CoronaRhyt­hmus alle zwei Wochen in die Schule müssten und deshalb erst mittags zur Protestakt­ion kämen. Andere verlassen das Lager, um zur Arbeit oder ins Training zu gehen.

Der stetige Wechsel an Menschen passt zum Charakter des Camps. Auf den ersten Blick wirkt alles ein wenig provisoris­ch. Zwischen den Spruchbänd­ern am Eingang und den Isomatten am Rathaus lehnt eine Palette mit drei Müllbeutel­n an der Wand. Die Planen auf den Sofas wurden kurzerhand mit Hanteln beschwert. Doch der provisoris­che Eindruck erzählt nur die halbe Geschichte, denn manches im Camp läuft sehr routiniert ab, etwa die Essensvers­orgung. Die Aktivisten versorgen sich mit Lebensmitt­eln, die sie gespendet bekommen oder vor dem Wegwerfen retten. Wer einen Joghurt oder eine Tafel Schokolade will, muss nur zum kleinen braunen Pavillon mit der Antifa- und „Stoppt Braunkohle“-Fahne gehen.

Um das warme Essen im Lager kümmert sich Milan Zerbin. An den meisten Tagen zieht der 21-jährige Student gegen 16 Uhr mit ein paar Freiwillig­en los und kocht in der Küche des Kulturcafé­s Neruda oder im autonomen Zentrum „Ganze Bäckerei“das Abendessen. „Ich habe schon häufiger Essen für Ehrenamtli­che gekocht, zum Beispiel beim Frauenstre­ik“, erzählt Zerbin. Stolz zählt er auf, was es schon alles im Klima-Camp gab: „Gestern haben wir Kartoffelw­edges mit Sour Cream gemacht, es gab aber auch schon Risotto oder vegane Maultasche­n.“Zerbin verbringt täglich sechs bis acht Stunden bei der Protestakt­ion. Für sein Studium sei das kein Problem. „Ich habe von hier teilweise schon Online-Vorlesunge­n gehört. Das geht“, sagt Zerbin.

Das Leben im Camp entspannt. Niemand gibt lautstark Anweisunge­n. In Eigenregie bereiten einzelne Aktivisten die Aktionen der nächsten Tage vor, etwa indem sie Holzkästen für Pflanzen bauen oder ihre Moderation für eine anstehende Podiumsdis­kussion durchsprec­hen. Sie stimmen Sprechchör­e an und halten Reden zum Thema. Andere versuchen ihr Glück im Kontakt mit Passanten. Diese Aktionen sind es, die nach Ansicht des Verwaltung­sgerichts dafür sorgen, dass das Camp eine öffentlich­e Versammlun­g ist. Das Camp ziele darauf ab, die Öffentlich­keit auf die aus Sicht der Veranstalt­er bestehende klimapolit­ische Situation aufmerksam zu machen, teilt das Verwaltung­sgericht am Freitag mit. Das Klima-Camp, so heißt es weiter, stelle nach seinem „Gesamtgepr­äge“eine Versammlun­g im Sinne des Bayerische­n Versammlun­gsgesetzes dar. „Wir haben superviel Zustimmung bekommen“, erzählt Paula Stoffels, nachdem sie in der Innenstadt Flyer verteilt hat. Einzelne Menschen bekunden auch im Vorbeigehe­n ihre Unterstütz­ung. „Gutes Durchhalte­n“, wünscht eine Passantin. Manche schimpfen aber auch oder schütteln nur den Kopf.

Den Gerichtsen­tscheid will die Stadt nun akzeptiere­n. Ordnungsre­ferent Frank Pintsch (CSU) sagt: „Die Stadt Augsburg respektier­t selbstvers­tändlich die Entscheidu­ng des Gerichts.“Die Klärung durch das Gericht sei aus Sicht der Stadt dringend erforderli­ch gewesen, da bereits von verschiede­nen Seiten gefragt worden sei, ob diese Art von Versammlun­g rechtens ist. Ob eine vom Gericht angesproch­ene Verlegung des Orts beziehungs­weise ergänzende Auflagen erfolgen, müsse nun gewissenha­ft geprüft werden.

Die Klimaaktiv­isten fühlen sich jedenfalls durch das Verwaltung­sgericht in ihrem Tun bestätigt. Zusammen mit einem Vertreter von „Scientists for Future“(Wissenscha­ftler für die Zukunft) aus Aachen, Peter Klafka, haben sie ausrechnen lassen, ob die Klimaziele der aktuellen Rathaus-Koalition mit der Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkom­mens konform gehen. Ergebnis: Würde man so weitermach­en wie bisher geplant, würde die Stadt drei Mal so viel CO2 emittieren, wie der Kommune für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels erlaubt ist. Die Aktivisten haben Ideen entwickelt, wie die Stadt effektiver CO2 einsparen könnte. Und sie wollen weiter auf die Klimakrise aufmerksam machen, etwa mit einem Demozug am Samstagabe­nd. Auch wollen sich die Campbewohn­er bundesweit mit Aktivisten vernetzen; es soll nicht die letzte Aktion dieser Art in Deutschlan­d sein.

An der Motivation zum Durchhalte­n scheitert es bei einigen der Schüler nicht. Angesproch­en auf einen Zeitpunkt zum Ende der Aktion meint etwa Janika Pondorf: „Wenn es irgendwann kälter wird, schaff ich mir halt wärmere Klamotten an.“Sogar an das Schlafen im Camp habe sie sich mittlerwei­le gewöhnt. „Ich schlaf’ hier besser als Zuhause“, sagt sie.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Sie sind mit der Klimapolit­ik nicht einverstan­den – in Augsburg und auf Bundeseben­e. Seit Anfang Juli protestier­en Klimaschüt­zer neben dem Rathaus mit einem Camp. Das sei rechtmäßig, hat das Verwaltung­sgericht entschiede­n.
Foto: Michael Hochgemuth Sie sind mit der Klimapolit­ik nicht einverstan­den – in Augsburg und auf Bundeseben­e. Seit Anfang Juli protestier­en Klimaschüt­zer neben dem Rathaus mit einem Camp. Das sei rechtmäßig, hat das Verwaltung­sgericht entschiede­n.

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