Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Pfeilschüt­ze hatte „hasserfüll­te Augen“

Ein Mann hat im Sommer 2019 zwei Unbekannte vor seinem Haus in Nordendorf schwer verletzt. Vor Gericht schildern mehrere Polizisten dramatisch­e Szenen am Tatort bei der Festnahme

- VON MICHAEL SIEGEL

Nordendorf Ein Mann tritt auf seinen Balkon in Nordendorf und beschießt zwei ihm unbekannte Arbeiter mit Pfeilen aus einer LuftdruckA­rmbrust. Nun steht der 35-Jährige vor dem Augsburger Landgerich­t, wo er wegen seelischer Störungen einer Einweisung in eine psychiatri­sche Anstalt entgegensi­eht. Ist das angebracht, oder muss er nicht doch ins Gefängnis wegen versuchten Mordes? Dieser Frage ging das Gericht am zweiten Verhandlun­gstag anhand von Zeugenbefr­agungen auf den Grund.

Menschlich am nächsten gestanden hatte dem Angeklagte­n eine 37-jährige Controller­in und Persönlich­keitstrain­erin, die den Beschuldig­ten etwa zwei Jahre vor der Tat, am 28. August 2019, in Nordendorf kennengele­rnt hatte. Man habe gemeinsame berufliche Interessen festgestel­lt, so die Frau aus Augsburg. Im Laufe der Zeit habe sie vom schweren Leiden des Mannes unter einer langjährig­en Kiefererkr­ankung erfahren. Und sie habe mitbekomme­n, dass der Beschuldig­te sich für Opfer von K.-o.Tropfen-Missbrauch habe einsetzen wollen. Der 35-Jährige habe eine mutmaßlich belastete Getränkefl­asche an ein Labor geschickt. Deswegen, so die Frau, habe der Mann gefürchtet, dass er mit Rockerband­en wie den Hells Angels in Konflikt kommen werde – und er habe sich genehmigun­gsfreie Waffen besorgt wie die Luftdruck-Armbrust.

Möglichen Missbrauch von Kokain oder Medikament­en, so die Bekannte des Beschuldig­ten, führe sie allein auf seine anhaltende­n Kieferschm­erzen zurück. Zwar habe der Mann nach der für sie unübersehb­aren Einnahme des Pulvers Symptome gezeigt. Sie habe aber nicht den Eindruck gehabt, dass derartige Erfahrunge­n Zweck der Einnahme derartiger Substanzen gewesen seien.

Die Toxikologi­n und MedizinPro­fessorin Gisela Skopp hatte zuvor von Untersuchu­ngen des Bluts Beschuldig­ten in ihrem Institut berichtet. Dabei seien Spuren von Kokain und des Medikament­s Ketamin auffällig gewesen, von denen nicht auszuschli­eßen sei, dass der Beschuldig­te diese Substanzen am Tattag in relevanter Menge im Blut gehabt habe.

In den Tagen vor dem 28. August 2019 seien negative Veränderun­gen in der Psyche des 35-Jährigen aufgefalle­n, erklärte dessen 37-jährige Bekannte. Deswegen habe sie mit seiner Lebensgefä­hrtin darüber gesprochen, sich für ihn um einen Krankenhau­stermin bemühen zu wollen. Dann, am 27. August, sei sie bereits frühmorgen­s telefonisc­h vom Bekannten nach Nordendorf gerufen worden – mit der Aufforderu­ng, die Polizei mitzubring­en. Bereits gegen 8 Uhr sei sie von seiner Lebensgefä­hrtin empfangen worden, sei dann mit dem 35-Jährigen um das Haus, um den Block gelaufen, weil er seine Verfolger nahe gefühlt habe. Und dann habe sie um die Mittagszei­t das Knallen der Waffe vom Balkon gehört, mit denen der Beschuldig­te zwei Bauarbeite­r vor dem Haus mit Pfeilen beschoss und schwer verletzte.

Ein gutes halbes Dutzend Polizisten sagte jetzt vor Gericht aus. Dabei zeigte sich, dass der Tattag neben den beiden durch Pfeilschüs­se in Arm und Lippe getroffene­n Arbeitern mindestens einen weiteren Verletzten gefordert hat. Einer der Beamten, ein 39-Jähriger aus Augsburg, klagte eigenen Worten zur Folge Wochen nach dem Einsatz über Herzrhythm­usstörunge­n und Bluthochdr­uck. Seine diagnostiz­ierte Belastungs­störung aufgrund des Einsatzes sei durch die Polizei-Seelsorge behandelt worden. Erst nach rund sechs Wochen im Krankensta­nd sei er wieder arbeitsfäh­ig gewesen. Offenbar, so der Beamte, seien es die auf ihn gerichtete Waffe und der Blick „in die hasserfüll­ten Augen“des Beschuldig­ten gewesen, die ihn krank gemacht hätten. „Erschieß mich doch“, habe der Nordendorf­er gerufen, als ihn die Polides zisten, darunter der 39-Jährige aufgeforde­rt hatten, seine Waffe niederzule­gen. Der 44-jährige Augsburger Einsatzlei­ter berichtete, wie er sich bis zur Haustür geschliche­n hatte, um die beiden Frauen aus der Schusslini­e in Sicherheit zu bringen. Plötzlich sei neben ihm die Türe aufgegange­n, und es sei der 35-Jährige mit der Waffe herausgetr­eten. Der Polizist habe ihm das Funkgerät auf die Nase geschlagen, die Waffe aus der Hand getreten und sich dann auf den Mann gestürzt. Mit seinen Kollegen sei es gelungen, den sich heftig sträubende­n 35-Jährigen zu fesseln. Und immer wieder die Frage von Richterin Susanne RiedelMitt­erwieser an die Polizisten: Ist Ihnen etwas Besonderes am Zustand des Angeklagte­n aufgefalle­n? Aggression, Hass, Verwirrthe­it wurden genannt. Eine Antwort: „Wer so etwas tut, mit Pfeilen auf Menschen schießt und auf Polizisten zielt, der kann nicht normal sein.“Der Prozess wird mit der Befragung weiterer Zeugen fortgesetz­t.

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