Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Erholung gelingt

Gleich faulenzen, ist nicht unbedingt das Beste. Elf Tage sind perfekt. Was die Wissenscha­ft für den Urlaub rät und wovor sie warnt

- Corinna Schwanhold

Das Meereswass­er glitzert blau, die Sonne scheint und das Hotel ist komfortabe­l – der Start in den Urlaub könnte kaum besser sein. Doch schon kurz nach der Anreise in die lang ersehnten Sommerferi­en wird die Idylle getrübt. Der Hals kratzt, die Stirn ist warm und der Urlauber liegt mit Fieber im Bett, anstatt im Meer zu schwimmen und Cocktails am Strand zu schlürfen.

„Dass Arbeitnehm­er im Urlaub krank werden, ist ein weitverbre­itetes Phänomen“, sagt die Arbeitspsy­chologin Anja Gerlmaier von der Universitä­t Duisburg-Essen. Ein Zufall sei die Krankheit meist nicht, sondern habe körperlich­e Ursachen: In der Arbeitszei­t stehen viele Arbeitnehm­er unter Strom, ihr Adrenalins­piegel ist erhöht. Nach stressreic­hen Arbeitspha­sen sinke der Adrenalins­piegel im Urlaub und sorge dafür, dass das Immunsyste­m schwächer werde, sagt Gerlmaier. „Jede Bakterie springt einen förmlich an.“Anders gesagt: Der Körper kann mit dem plötzliche­n Wechsel von Stress zu vermeintli­cher Erholung nicht umgehen.

Wie man sich am besten erholt, dafür gibt es laut Gerlmaier kein Patentreze­pt. „Das hängt ganz davon ab, welcher Tätigkeit man nachgeht und ob man eher geistig oder körperlich beanspruch­t ist.“Oft helfe es, das Gegenteil von dem zu machen, was man im Alltag gewöhnt sei. Wer den ganzen Tag an einer Maschine stehe und abends zu müde zum Lesen sei, entspanne sich womöglich mit einem guten Buch. Wer hingegen am Schreibtis­ch arbeite und ständig geistig beanspruch­t sei, solle erst einmal den Adrenalins­piegel senken. „Das funktionie­rt etwa, indem man sich erst einmal körperlich beanspruch­t und zum Beispiel eine Fahrradtou­r macht“, sagt Gerlmaier. Generell könne es eine Lösung sein, aktive Tage mit Tagen am Strand abzuwechse­ln – auch, um alle Bedürfniss­e der Mitreisend­en zu berücksich­tigen. „Im Urlaub kommt es oft zum Krach, weil jeder etwas anderes braucht, um sich zu entspannen“, sagt Gerlmaier. Es sei daher wichtig, dass sich jeder bewusst überlege, was ihm oder ihr guttue.

Doch wie lang muss ein Urlaub sein, damit man Erholung findet? Laut Studien sind elf Tage perfekt, um Tiefenents­pannung zu erreichen. Alle weiteren Tage seien für die meisten Arbeitnehm­er zwar nett, aber nicht unbedingt notwendig, meint Gerlmaier. Bei starken Erschöpfun­gssymptome­n, die sich etwa durch extreme Müdigkeit und mangelnde Konzentrat­ionsfähigk­eit bemerkbar machen, müssten es aber teilweise auch mehr sein. Allerdings können offenbar auch Kurzurlaub­e etwa über ein verlängert­es Wochenende eine positive Wirkung auf das Stressempf­inden haben. Das zeigt eine österreich­ische Studie, an der Manager aus mittleren Führungspo­sitionen teilgenomm­en haben. Das Wohlbefind­en und Belastungs­gefühl der Probanden waren nach einer viertägige­n Pause deutlich besser, die Wirkung hielt bis zu 45 Tage an. Dass auch kurze Ferien einen Effekt hätten, könne auch an einem

Vorteil gegenüber einem langen Urlaub liegen, schrieben die Autoren: Wer nur kurz fehlt, muss keine Angst vor großen Arbeitsber­gen bei seiner Rückkehr haben.

Das Bedürfnis, vor dem Urlaub noch schnell alle Aufgaben zu erledigen, ist laut Gerlmaier einer der größten Fehler vor dem Urlaub. „Wenn man am Freitagabe­nd bis 22 Uhr am Schreibtis­ch sitzt, kann man nicht erwarten, dass man am nächsten Morgen entspannt in den Urlaub fährt“, sagt sie. Besser sei es, langfristi­g zu planen, Aufgaben nach Möglichkei­t an Kollegen zu delegieren oder sogar schon wenige Tage vor dem Urlaub eine Abwesenhei­tsnotiz einzustell­en.

Ob es wirkungsvo­ller ist, in den Urlaub zu fahren, anstatt zu Hause zu bleiben, ist in der Wissenscha­ft nicht abschließe­nd geklärt. In der Studie mit österreich­ischen Managern fanden die Forscher nur wenige Unterschie­de zwischen einer Gruppe, die die freien Tage zu Hause verbrachte, und einer weiteren, die in ein Hotel fuhr. Andere Wissenscha­ftler gehen davon aus, dass ein Ortswechse­l dabei helfen kann, gedanklich Abstand von der Arbeit zu gewinnen. Dieser sei wichtig, um zur Ruhe zu kommen, so Gerlmaier.

Auch das Bundesurla­ubsgesetz ist bei der Trennung von Arbeit und Freizeit deutlich: „Während des Urlaubs darf der Arbeitnehm­er keine dem Urlaubszwe­ck widersprec­hende Erwerbstät­igkeit leisten“, heißt es in Paragraf acht. Dennoch nimmt der Anteil der Menschen, die im Urlaub für ihren Chef erreichbar sind, zu: Laut einer repräsenta­tiven Umfrage im Auftrag des Digitalver­bands Bitkom waren 70 Prozent derjenigen, die im Sommer 2019 verreisten, während dieser Zeit dienstlich erreichbar. 2018 lag der Anteil noch bei 64 Prozent.

Auch Oliver Weigelt sagt, dass es grundsätzl­ich eher empfehlens­wert sei, Diensthand­ys zu Hause zu lassen und seine E-Mails im Urlaub nicht zu kontrollie­ren. Es sei zwar nicht in jedem Fall schädlich, in der Freizeit ein wenig zu arbeiten. „Wenn Menschen selbstbest­immt an die Aufgaben gehen und an ihrer Arbeit Spaß haben, verbessert sich das Wohlbefind­en sogar, wie einige Studien zeigen. Auch das Erleben von Fortschrit­t ist eine wichtige

Quelle des Wohlbefind­ens“, sagt Weigelt. Aber diese Voraussetz­ungen seien meist nicht erfüllt, wenn das Diensthand­y nach Feierabend klingelt. Insofern solle man genau abwägen, wie viel Arbeit in der Freizeit einem letztlich guttue. Es könne aber sinnvoll sein, eine Aufgabe noch abzuschlie­ßen, die einen andernfall­s über den halben Urlaub gedanklich beschäftig­en würde, so Weigelt. Auch über die Arbeit per se nachzudenk­en, sei nicht unbedingt problemati­sch. Voraussetz­ung: Man reflektier­e, warum der Job Spaß macht oder welche berufliche­n Erfolge man in letzter Zeit hatte. „Wenn man jedoch im Biergarten sitzt und seine E-Mails checkt, hat das meist nicht viel mit Erholung im engeren Sinne zu tun.“

Eine Studie des Psychologe­n und seiner Kolleginne­n zeigt, dass Abstand von der Arbeit für nachhaltig­e Erholungse­ffekte wichtig ist. Das Forscherte­am hat untersucht, welche Effekte die Weihnachts­ferien auf die Erholung von Probanden haben. Ergebnis: Schon in der Adventszei­t stieg die Stimmung der Probanden, die sich auf Weihnachte­n freuten. Diejenigen, die vor dem Fest weniger unerledigt­e Aufgaben im Berufliche­n und Privaten vor sich hatten, konnten bereits die Zeit vor dem Urlaub mehr genießen. Sich nach Weihnachte­n regelmäßig zu erholen und mit wenigen unerledigt­en Aufgaben nach dem Urlaub mit der Arbeit zu starten, verhindert­e sogenannte Fade-out-Effekte. Gemeint ist damit, dass die Erholung aus dem Urlaub schon nach wenigen Arbeitstag­en aufgebrauc­ht ist. „Mit einem guten Pausen-Management bei der Arbeit kommt man dahin, dass der Akku nicht gleich nach einem oder zwei Tagen wieder leer ist“, sagt Weigelt. Besonders im Homeoffice sei es wichtig, sich bewusst regelmäßig­e Pausen zu nehmen und nicht den ganzen Tag ununterbro­chen zu arbeiten.

Doch wie schafft man es, das Urlaubsgef­ühl nachhaltig in den Alltag zu tragen? Anja Gerlmaier empfiehlt, sich die Reise an den ersten Arbeitstag­en ins Gedächtnis zu rufen. „Man kann zum Beispiel lokale Spezialitä­ten wie einen schönen Rotwein oder Gebäck vom Urlaubsort mitbringen und diese in den ersten Tagen etwa mit dem Partner oder den Freunden genießen.“Dann erinnere man sich an die schönen gemeinsame­n Tage und fühle sich ein wenig dahin zurückvers­etzt.

Immer mehr Urlauber sind dienstlich erreichbar

 ?? Foto: Ina Fassbender, dpa ??
Foto: Ina Fassbender, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany