Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum Facebooks Verspreche­n auf Besserung Heuchelei ist

- DIE KOLUMNE VON KLAUS BRINKBÄUME­R

Vor drei Jahren, nach jener Wahl Donald Trumps also, die unter anderem durch Verschwöru­ngstheorie­n (auf Facebook) und durch russische Propaganda (auf Facebook) herbeigefü­hrt worden war, traf ich Sheryl Sandberg, Facebooks Nummer zwei, während des Weltwirtsc­haftsforum­s in Davos, und dann hörte ich Frau Sandberg noch bei zwei Diskussion­en zu. Sie sagte: „Wir haben verstanden, wir haben noch einen weiten Weg vor uns, wir lernen, wir stehen am Anfang.“Dreimal sagte sie diese identische­n Sätze innerhalb von sechs Stunden, mit treuem, mit ernstem Blick.

In vier Monaten wird in den USA gewählt, und Facebook hat nichts verstanden, nichts gelernt. Die Diagnose, von Andrew Marantz in seinem Buch „Antisocial – Online Extremists, Techno-Utopians, and the Hijacking of the American Conversati­on“aufgeschri­eben, ist trostlos, beunruhige­nd, und in Wahrheit sind diese Adjektive viel zu klein: Die Diagnose ist erschütter­nd. „American Berserk“, so nennt es

Marantz. Facebook gibt misogynen, xenophoben, rassistisc­hen und gewaltverh­errlichend­en Gestalten und Netzwerken Raum und Macht; es verzichtet auf Kontrolle; im Gegenteil, seine Algorithme­n honorieren Lügen und asoziales Verhalten.

„Meinungsfr­eiheit bringt uns um“, auch dies ist Marantz’ Diagnose, denn „Trolle, bigotte Figuren und Propagandi­sten sind Experten darin geworden, fanatische Botschafte­n in reale Politik umzuwandel­n“. Die im Internet entstehend­e verbale Gewalt führt seit Jahren schon zu Attentaten und Amokläufen.

Ich mochte Facebook und mag die Idee hinter Facebook noch immer, denn ich bin Facebook dankbar. „Ihre Visionen führten zu einem verschwomm­enen Utopismus: Sie wollten Menschen verbinden, uns alle einander näher bringen und so die Welt zu einem besseren Ort machen“, das schreibt Marantz über die Gründer der sozialen Medien.

Facebook ist ja für Menschen wie mich erfunden worden: Weil ich a) oft umgezogen bin und b) in jüngeren Jahren nicht besonders sorgfältig beim Pflegen von Freundscha­ften war, habe ich mich irgendwann gefragt, wo sie denn bloß geblieben waren: die Freunde aus all den Jahren. Facebook verband uns zum zweiten Mal, brachte uns zueinander zurück; und einige dieser Freunde arbeiten übrigens bei Facebook und sind kluge, ernsthafte Leute.

Jedoch: Ich misstraue und fürchte Facebook.

Das liegt an Mark Zuckerberg, Facebooks Nummer eins, der einer der gefährlich­sten Männer unserer Zeit ist. So wie einstmals die Manager der Zigaretten­industrie und danach die Manager von Kohlekraft­werken vernebelt Zuckerberg Erkenntnis­se, verspricht nach Kritik trotzdem Sorgsamkei­t und tut dann nichts – immer nur Pathos, keine Konsequenz, bloß kein verdammter Dollar weniger. Wer so viel Macht hat und so wenig Gefühl für Verantwort­ung, schreit nach Regulierun­g.

Eine Studie, über zwei Jahre hinweg im Auftrag von Facebook erstellt, belegt nun auf knappen 100 Seiten, wie sehr die Firma Rassismus und Antisemiti­smus befeuert und Bürgerrech­tsbewegung­en sabotiert; wie sehr sie nicht die „Redefreihe­it“schützt, wie Zuckerberg so gern sagt, sondern bloß die Redefreihe­it der Mächtigste­n, der Trumps, und wie heuchleris­ch Facebook Besserung gelobe, nur um wieder ein paar Jahre lang weitermach­en zu können.

In den vergangene­n Tagen riefen große

Konzerne zum Anzeigenbo­ykott gegen Facebook auf. „Die kommen schon zurück“, sagte Zuckerberg Mitarbeite­rn. Er schickte Sandberg auf diplomatis­che Mission zu jenen Firmen, und Sandberg schrieb, Facebook stehe „am Anfang der Reise, nicht am Ende“, und es werde zunehmend klar, „dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben“. Sie hätte auch schreiben können (und wir sagen es hier im Feuilleton auf die vornehme amerikanis­che Art): F*** you all.

● Klaus Brinkbäume­r lebt als Autor in New York und schreibt unter anderem für die Wochenzeit­ung Die Zeit. Von 2015 bis 2018 war der vielfach ausgezeich­nete Journalist Chefredakt­eur des Spiegel. Ab sofort lesen Sie einmal im Monat an dieser Stelle seine Kolumne „Unterm STRICH“.

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