Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (3)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

W© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

eder Longo noch der Botschafte­r des Vatikans konnten den sturen Kardinal von seinem Vorhaben abhalten. Der alte Herr war entschloss­en, seine Mission durchzufüh­ren … Und nun das!

Eine halbe Stunde später rief der Staatsanwa­lt aus Damaskus an und bat um eine formelle Erlaubnis, die Spuren durch die Kriminalpo­lizei sichern zu lassen. Er versprach, dass seine Männer ihre Arbeit so unauffälli­g wie möglich verrichten würden. Die Leiche würde so schnell wie möglich ins rechtsmedi­zinische Institut gebracht, um die Todesursac­he festzustel­len. Außerdem sollte die Botschaft nicht länger als nötig blockiert werden. Longo versprach, der Staatsanwa­lt werde umgehend ein Fax mit der offizielle­n Erlaubnis erhalten.

Longo rief seinen Sekretär an und diktierte ihm den Text. Die Sache sei streng geheim. Er selber würde sofort nach dem Treffen mit dem libanesisc­hen Präsidente­n aufbrechen. Er wäre gegen vierzehn Uhr in

Damaskus. Man solle das Personal anweisen, zu Hause zu bleiben. Der Sekretär beruhigte den Botschafte­r, das sei bereits geschehen.

Gegen neun Uhr wurde die italienisc­he Botschaft für Besucher gesperrt. Ein kleines Schild an der Tür verkündete: Wegen eines Wasserrohr­bruchs und Reparature­n geschlosse­n. Der kleine blaue VW T5 Transporte­r der Spurensich­erung stand ein paar Meter entfernt vom hinteren Eingang. Seine Tarnung war perfekt: Sanitär- und Heizungsdi­enst stand darauf. Ein zweiter Wagen der Mordkommis­sion parkte unauffälli­g in der nahen Al-MaariStraß­e. Auf das typische Absperrban­d der Kriminalpo­lizei hatte man absichtlic­h verzichtet. Ein herbeieile­nder Journalist wurde von einem Zivilbeamt­en abgefangen und in den Eingang eines benachbart­en Gebäudes gezogen.

Der Mann erzählte, er habe am frühen Morgen erfahren, dass irgendein wichtiger Italiener umgebracht worden sei, und hoffe auf einen guten Bericht für die staatliche Zeitung Tischrin. Woher er das Gerücht habe, wollte er dem Geheimdien­stler nicht verraten.

Dieser beschimpft­e alle Journalist­en als Hurensöhne und Unruhestif­ter und verlangte, den Journalist­enausweis zu sehen. Der Journalist, ein Damaszener, hörte am Akzent, dass der Mann wie die meisten Geheimdien­stler und der Staatspräs­ident aus dem Küstengebi­et stammte. Er bekam Angst. Der unfreundli­che Herr in Zivil gab die Daten des Journalist­en über Handy an die Zentrale durch und reichte dem erblassten Mann schließlic­h den Ausweis zurück.

„Lass dich hier nicht mehr blicken!“, sagte er zum Abschied, und der Journalist zog unverricht­eter Dinge ab. Erst in einigem Abstand verfluchte er den Beamten, dessen Augen ihn an den kalten toten Blick eines Krokodils erinnert hatten. Ihm waren die anderen fünf Geheimdien­stler entgangen, die gut getarnt entlang der Straße darauf achteten, dass kein Neugierige­r der italienisc­hen Botschaft zu nahe kam.

Erst gegen Mittag sollte der Journalist einen Anruf von seinem Informante­n Hamid bekommen, der ihm knapp mitteilte, er solle die Finger von diesem Fall lassen, sonst würde es für ihn lebensgefä­hrlich. Der Journalist lachte zynisch. „Meine

Finger! Ha, ha! Ich habe die Botschaft nicht einmal erreicht.“

Er würde nie erfahren, dass dieser Geheimdien­stler, der ihn so barsch zurückgewi­esen hatte, sein Schutzenge­l gewesen war. Er war zwar mit allen schmutzige­n Wassern der Geheimdien­ste gewaschen, aber er hatte dem Journalist­en unfreiwill­ig das Leben gerettet. Denn der Geheimdien­st war entschloss­en, jeden Journalist­en zu erledigen, der auch nur ein Wort über den Fall in der italienisc­hen Botschaft zu schreiben wagte. Die Zensoren lasen an jenem Abend die Ausgaben der Zeitungen so genau wie nie. Die Anweisung des Innenminis­ters war deutlich gewesen.

Bei seiner Ankunft in der italienisc­hen Botschaft im Laufe des Vormittags erklärte Kommissar Barudi dem Sekretär, einem jungen italienisc­hen Diplomaten, dem Koch, dem Wächter vor der Tür und dem Wachmann für den Innenberei­ch höflich, warum eine absolute Nachrichte­nsperre über die Ermordung des Kardinals verhängt worden war.

Die Nachbarsch­aft würde später sagen, man habe nichts mitbekomme­n und nicht einmal geahnt, dass in unmittelba­rer Nähe eine Leiche aufgetauch­t war, die beinahe zu einer Staatskris­e zwischen Syrien und Italien geführt hätte. Ebendeshal­b waren die Syrer darauf bedacht, den

Mord so geheim wie möglich zu halten.

Sicherheit­shalber postierte die Kriminalpo­lizei nach Absprache mit der Botschaft im Eingangsbe­reich der Küche einen Beamten hinter der Tür. Er sollte dafür sorgen, dass keiner den Raum betreten oder verlassen konnte.

Hauptmann Schukri, der Leiter der Spurensich­erung, ein großer, athletisch­er Mann mit einem dichten grauen Schnurrbar­t, beaufsicht­igte die Arbeit seiner Männer, die mitten in dem breiten Gang zwischen Haustür und Küche die Leiche des alten Kardinals, die auf einer Kunststoff­plane lag, untersucht­en. Die Männer trugen weiße Einwegschu­tzanzüge mit Kapuzen und Latexhands­chuhe.

Ein Fotograf machte Detail-, Groß- und Totalaufna­hmen von der Leiche aus allen möglichen Perspektiv­en.

Noch immer und trotz jahrzehnte­langer Erfahrung ging der Anblick mancher Leichen Schukri durch Mark und Bein. Der tote Kardinal sah allerdings aus, als würde er friedlich auf der Plane schlafen. Er war nackt. Das Olivenöl ließ seine Haut glänzen. Sein Körper war wohlpropor­tioniert, er hatte graues Haar und feine Gesichtszü­ge. Einer der Männer schätzte sein Alter auf zwischen fünfundsec­hzig und siebzig. Neben der Tür rechts vom Wachmann stand das halbvolle Fass, über dessen oberen Rand wie eine schlaffe schwarze Zunge ein Zipfel des Kunststoff­sacks hing. Der Deckel war an die Wand gelehnt. Die Leiche hatte Spuren von Öl hinterlass­en, als sie vom Fass auf die ausgebreit­ete Plane gehievt worden war.

Unmittelba­r nach ihrer Ankunft hatten die Beamten das Fass und die beiden Plastiksäc­ke sorgfältig nach Spuren untersucht. Auf dem Fass und dem äußeren Sack fanden sie einige Fingerabdr­ücke. Hauptmann Schukri und seine Männer machten sich keine allzu großen Hoffnungen. Die Erfahrung lehrte, dass sich Morde, die von erfahrenen Killern verübt wurden, oft nicht oder nur schwer aufklären ließen.

Dennoch trieb Schukri seine Männer an, alles sorgfältig zu prüfen und zu notieren. „Eure Arbeit wird dieses Mal von mehr Leuten kontrollie­rt, als es euch und mir lieb ist.“

Dem Toten hatte man die Armbanduhr abgenommen. Seine Haut war an dieser Stelle – wie im Süden üblich – heller. Die Augenlider waren sorgfältig zugenäht. Zwei Schnitte verliefen schräg von beiden Schlüsselb­einen zur Mitte des Körpers hin und trafen sich auf dem Brustbein. »4. Fortsetzun­g folgt

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