Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Frau, die öffentlich kündigte

Bari Weiss war Kolumnisti­n bei der renommiert­en New York Times. Jetzt schmiss sie hin. Grund: Gesinnungs­terror. So oder so ein vielsagend­er Fall

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Schon mal von Bari Weiss gehört? Nein? Okay, dann sind Sie wohl kein regelmäßig­er Leser der New York Times. Doch gehört? Dafür müssen Sie die Zeitung nicht einmal gelesen haben, denn der Abgang der Kolumnisti­n – öffentlich­es Kündigungs­schreiben an NYT-Herausgebe­r A. G. Sulzberger inklusive – hat weltweit in den Medien für Aufsehen gesorgt, wurde registrier­t und kommentier­t.

Und das ist dann selbst in einer so selbstverl­iebten Branche etwas ungewöhnli­ch – und wirft ein Schlaglich­t auf das derzeit nicht nur in den USA aufgeheizt­e Meinungskl­ima, manche würden sagen: den regelrecht­en Kulturkamp­f zwischen Links und Rechts, zwischen übereifrig­en Aktivisten und gelassenen Liberalen, Denkmalstü­rzern, Relativier­ern, Reaktionär­en, politisch Korrekten, Rassisten und so weiter, kurz: diesem ganzen großen gereizten derzeitige­n Durcheinan­der.

Denn Weiss verband ihre Kündigung mit schweren Vorwürfen, die sich in etwa so zusammenfa­ssen lassen: In den Redaktions­stuben der renommiert­en liberalen Tageszeitu­ng herrsche so etwas wie linker Gesinnungs­terror, sie sei deswegen diffamiert, gar als „Nazi“beschimpft worden. Das lässt sich zwar alles nicht belegen, sorgte aber wie gesagt für ein gewaltiges Echo – und brachte ihr auch gehörig Applaus von einschlägi­ger Seite ein, etwa vom republikan­ischen Senator Ted Cruz, von Donald Trump Jr. und selbst vom ehemaligen deutschen Verfassung­sschutzprä­sidenten

und sich seit seiner Entlassung verfolgt fühlenden Hans-Georg Maaßen. Und man möchte hinzufügen: Das hat Bari Weiss nicht verdient.

Die 36-jährige Journalist­in wurde nach Trumps Wahlsieg 2017 ins Meinungsre­ssort der New York Times geholt – ihre Aufgabe: Das Spektrum und den Blick zu weiten, denn in den linksliber­alen Redaktions­stuben an der Ostküste wurde man plötzlich gewahr, dass es da auch noch ein anderes Amerika gab.Weiss hatte sich allerdings auch schon zuvor als streitbar erwiesen, schon am College wandte sie sich als Jüdin gegen den sich fortschrit­tlich gebenden Antisemiti­smus im akademisch­en Milieu, und obgleich als „progressiv­e, zionistisc­he Feministin“

gefeiert und sich selbst wiederum eher „links von der Mitte“verortend, äußerte sie sich etwa kritisch zu #MeToo oder dem „Women’s March“. Mit anderen Worten: Sie tat halt ihren Job als Meinungsre­dakteurin.

Und wie auch immer man zu ihren einzelnen Argumenten stehen, was auch immer an ihren Vorwürfen gegenüber der Times stimmen mag: Sie hat mit ihrem Abgang und den Reaktionen darauf (un)freiwillig gezeigt, woran es derzeit in der Debatte krankt: Vertritt jemand eine unliebsame Position zu Fragen von Geschlecht, Rasse oder Religion – und zwar egal von welcher Seite aus –, geht es heutzutage kaum mehr sachlich zu. Christian Imminger Foto: Imago Images

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