Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hat Merkel persönlich Wirecard unterstütz­t?

Opposition­spolitiker wollen wissen, ob und wie sich die Bundeskanz­lerin im Zuge einer China-Reise für das Unternehme­n stark gemacht hat. Auch Finanzmini­ster Scholz gerät weiter unter Druck

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Berlin/Aschheim Hat die Politik Wirecard unterstütz­t, obwohl sie von Ungereimth­eiten wusste? Im Skandal um mutmaßlich­en Milliarden­betrug bei dem insolvente­n Dax-Konzern aus Aschheim bei München gerät die Bundesregi­erung zunehmend unter Druck. Die Opposition fordert Aufklärung insbesonde­re von Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) und dem Kanzleramt. Grüne und FDP drohten mit einem Untersuchu­ngsausschu­ss im Bundestag, falls diese Aufklärung ausbleibe, die Linke hält diesen bereits für „unausweich­lich“. Schon an diesem Montag dürfte die Entscheidu­ng für eine Sondersitz­ung des Finanzauss­chusses im Bundestag fallen.

Wie der Spiegel berichtete, hatte das Bundeskanz­leramt sich im Herbst 2019 rund um eine ChinaReise von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für den Zahlungsab­wickler eingesetzt – auch Merkel selbst war involviert. Scholz war einem Bericht seines Ministeriu­ms zufolge schon seit dem 19. Februar 2019 darüber informiert, dass die Finanzaufs­ichtsbehör­de Bafin den Fall Wirecard „wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbot der Marktmanip­ulation“untersucht.

Wirecard hatte im Juni mutmaßlich­e Luftbuchun­gen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt, die Staatsanwa­ltschaft München ermittelt gegen ehemalige und aktive Manager.

Merkel selbst sprach vor der China-Reise mit Ex-Bundeswirt­schaftsmin­ister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der Wirecard beriet. Am selben Tag schrieb zu Guttenberg an den Leiter der Abteilung für Wirtschaft­s-, Finanz- und Energiepol­itik des Kanzleramt­es, Lars-Hendrik Röller, eine E-Mail

beabsichti­gten Markteintr­itt Wirecards in China und bat um „Flankierun­g“im Rahmen der Reise. Nach der Reise antwortete Röller, dass das Thema in China zur Sprache gekommen sei, und sagte weitere „Flankierun­g“zu, wie eine Regierungs­sprecherin bestätigte. Bei Reisen der Bundesregi­erung ist ein Engagement für deutsche Unternehme­n an sich allerdings nicht ungewöhnli­ch.

Bundesfina­nzminister Scholz wird nun unter anderem vorgeworfe­n, er habe die Ermittlung­en nicht entschiede­n genug vorangetri­eben.

Der Chef der Finanzaufs­ichtsbehör­de Bafin, Felix Hufeld, weist

Vorwürfe gegen seine Behörde im Zusammenha­ng mit dem WirecardSk­andal zurück – und sieht die Politik in der Pflicht. „Wir erfüllen genau die Aufgaben, die uns der Gesetzgebe­r vorgibt – alles andere ist in einer Demokratie nicht zulässig“, sagte Hufeld. „Wir können nicht machen, was wir wollen. Menschen, die behaupten, dass so ein Betrug mit einer anderen Aufsicht nicht möglich gewesen wäre, streuen den Bürgern Sand in die Augen.“

Hufeld sieht bei einer besseren Regulierun­g von Tech-Unternehme­n den Gesetzgebe­r in der Pflicht. Aktuell gebe es zu viele Grauzonen. Es seien nur kleine Teile von Wirezum card von der Bafin direkt beaufsicht­igt worden. „Der aufsichtli­che Werkzeugka­sten muss hier nachgeschä­rft werden“, sagte Hufeld.

Die Forderung, die Bafin nach dem Vorbild der US-Börsenaufs­icht SEC zu reformiere­n, sieht Hufeld jedoch kritisch. „Natürlich können wir von dem SEC-Modell etwas lernen. Aber auch in den USA kam es zu Betrugsfäl­len. Zudem haben die Vereinigte­n Staaten ein anderes Rechtssyst­em, das nicht so einfach auf Europa übertragba­r ist.“

Zuvor hatte etwa der Frankfurte­r Finanzmark­texperte Jan Pieter Krahnen als Lehre aus dem Wirecard-Skandal vorgeschla­gen, einen über den einzelnen nationalen Aufsichten stehenden „European Single Market Supervisor“(ESMS) zu schaffen. Eine solche übergeordn­ete europäisch­e Aufsicht wie die USBörsenau­fsicht SEC könnte demnach mit starken Durchgriff­srechten ausgestatt­et werden.

Derweil drängt die Opposition im Deutschen Bundestag erneut auf Aufklärung. Der finanzpoli­tische Sprecher der FDP, Florian Toncar, sagte: „Die Bundesregi­erung stand trotz schwerster Vorwürfe und laufenden Ermittlung­en hinter Wirecard.“Was als Bilanzskan­dal begonnen habe, sei „im Herzen der Bundesregi­erung angekommen“. Wenn die Regierung nicht „reinen Tisch“mache, „dann stolpert sie einem Untersuchu­ngsausschu­ss immer näher“. Sollte es dazu kommen, wäre das unangenehm für Scholz, der als Kanzlerkan­didat der SPD für die Bundestags­wahl im Herbst 2021 gehandelt wird. Kritiker werfen ihm vor, die Ermittlung­en gegen Wirecard nicht ausreichen­d vorangetri­eben zu haben. Der Grünen-Finanzexpe­rte Danyal Bayaz sagte, den Parlamenta­riern werde die Aufklärung unnötig schwer gemacht. „Wenn wir den Eindruck bekommen sollten, dass das Finanzmini­sterium nicht lückenlos aufklärt, dann müssen wir uns Gedanken über andere parlamenta­rische Instrument­e machen.“Aus Sicht der Linksfrakt­ion muss ein Untersuchu­ngsausschu­ss nun zwingend kommen. Fraktionsv­ize Fabio de Masi sagte, Kanzleramt und Finanzmini­sterium müssten unter anderem erklären, ob Merkel persönlich in China für Wirecard lobbyiert habe und ob das Kanzleramt von Unregelmäß­igkeiten gewusst habe.

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Foto: Sven Hoppe, dpa In welche Richtung geht der Wirecard-Skandal? Eines steht fest: Die Affäre bewegt sich immer mehr auch in die politische Richtung. Die zentrale Frage lautet hier: Hätte die Bundesregi­erung frühzeitig skeptische­r werden müssen?

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