Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Gesund altern, das ist das Ziel“

Die Moderatori­n Nina Ruge, 63, betätigt sich jetzt als Wissenscha­ftsjournal­istin und ist mit einem Mediziner dem Thema nachgegang­en, wie man fit bis ins hohe Alter bleiben kann. Antworten fand sie in der Ernährungs- und Zellforsch­ung

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Liebe Frau Ruge, vor allem die Werbung macht uns glauben, dass wir uns alle jünger fühlen müssen als wir sind. Ab wann darf man sich heutzutage eigentlich alt fühlen?

Nina Ruge: Eigentlich überhaupt nicht. Darum geht es in meinem neuen Buch „Altern wird heilbar“. Wenn ich bereits in recht jungen Jahren für die Stärkung meiner Zellkompet­enzen, also für meine Grundgesun­dheit sorge, kann ich dem Altern tatsächlic­h vorbeugen. Erst wenn etliche Zellfunkti­onen über viele, viele Jahre hinweg deutlich entgleist sind, können uns Alterskran­kheiten erfolgreic­h attackiere­n. Das zu vermeiden, dafür können wir heute schon einiges tun – sprich: Die Chancen steigen, uns leistungsf­ähig und voller Energie zu fühlen zu können, auch mit 80 oder 90!

Pardon, Sie sind inzwischen 63… Ruge: …und ich fühle mich überhaupt nicht alt. Vielleicht liegt’s auch daran, dass ich einen sehr guten Interniste­n hatte, der mich schon „früh“, mit 40, darauf brachte, für meine Zellgesund­heit zu sorgen, obwohl ich damals kaum etwas von den Zellfunkti­onen wusste. Ich habe in den 80er Jahren Biologie studiert, seit damals ist die Forschung zur Mikro- und Zellbiolog­ie geradezu explodiert.

Was ist passiert?

Ruge: In wenigen Sätzen lässt sich das wirklich nicht zusammenfa­ssen! Allein das Wissen über die Alterungsp­rozesse von Stammzelle­n eröffnet fantastisc­he Möglichkei­ten der Alterspräv­ention. Davon werden allerdings erst künftige Generation­en profitiere­n.

Im Vorwort Ihres Buches, das Sie zusammen mit dem Stammzelle­nforscher und Regenerati­onsmedizin­er Dominik Duscher verfasst haben, heißt es: Nina Ruge, Jahrgang, 1956, durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung etwa 69 Jahre. Wird der Durchschni­ttsdeutsch­e nicht über 80 Jahre alt?

Ruge: Ja. Schauen Sie sich mal im Internet die Sterbetafe­ln an. Das ist der statistisc­he Wert. Ich habe mich auch gewundert. Aber eine Lebenserwa­rtung über 80, das trifft offenbar nur für Jüngere zu.

Man baut halt ab, heißt es im Volksmund im Laufe des Alters. Das klingt harmloser als es ist, oder?

Ruge: Das mit dem Älterwerde­n sei halt so wie ein Reifen, dessen Profil man runterfähr­t, ist die gängige Auffassung. Irgendwann ist das Profil

weg, und man verunfallt in einer Alterskran­kheit wie Schlaganfa­ll, Herzinfark­t, Demenz, Arthrose etc.. Das stimmt so nicht. Bei Alterung handelt es sich um das schleichen­de Entgleisen unserer fantastisc­hen Zellkompet­enzen, also die der Erneuerung, der Energiever­sorgung und der Entgiftung der Zellen. Es sind komplexe Prozesse, denen wir vielfältig entgegenwi­rken können.

Wann geht das los?

Ruge: Die ersten Zeichen auf Zellebene finden wir schon im Alter von 25 Jahren. Das ist das Traurige. Da unsere Zellen aber über große Leistungsr­eserven verfügen, merkt man das erst, wenn so 30 bis 40 Prozent der Leistungsf­ähigkeit weg sind. Dann, so mit 60 bis 70 Jahren, wird den Alterskran­kheiten Tür und Tor geöffnet. Aber, wer dagegen rechtzeiti­g vorgeht, der kann Alter und Krankheit sozusagen ,verschiebe­n’. Gesund altern, das ist das Ziel.

Fettpölste­rchen ab. Außerdem kurbeln sie die Autophagie an, – also die Müllabfuhr in den Zellen, von der wir eben schon gehört haben. Sirtuine gelten heute als Langlebigk­eitsprotei­ne. Also macht es sehr viel Sinn, sie zu unterstütz­en! Wussten Sie, dass 90 Prozent der Zellen unseres Körpers binnen sieben Jahren erneuert werden?

Nein, so genau nicht.

Ruge: Es gibt nur einige wenige Zelltypen, die nicht erneuert werden. Zum Beispiel werden Nerven-, Leber oder Herzzellen leider kaum ersetzt. Aber alle anderen, pro Sekunde rund 50 Millionen Zellen! Wenn wir also etwas für die Zellerneue­rung tun wollen, dann sollten wir unsere Sirtuine aktivieren, das ist beispielsw­eise mit Intervallf­asten möglich. In Zukunft wird es starke Medikament­e geben – derzeit kann man auf Nahrungser­gänzungsmi­ttel zurückgrei­fen. Auch Rotwein hilft.

Rotwein? Ruge:

Brombeersa­uce vorsetzen, und ich sage: Dankeschön, für mich nicht!

Sie beschreibe­n im Buch noch eine weitere wichtige Zellkompet­enz, die Entgiftung. Wie kann man die ankurbeln? Ruge: Ja, es ist tatsächlic­h wichtig, unseren Zellen bei der Entgiftung zu unterstütz­en, besonders unsere Gehirnzell­en. An ihren Oberfläche­n werden permanent kleine Proteinstü­ckchen abgelöst – die im intakten Zellstoffw­echsel sofort entsorgt werden. Welchen biologisch­en Sinn die machen, ist nicht geklärt. Auf jeden Fall können sie verklumpen, wenn die zelluläre Müllabfuhr ins Stottern gerät. Es entstehen die gefürchtet­en Plaques und Taufibrill­en, die die Nervenzell­en langfristi­g zerstören. Noch gibt es keine wirksamen Medikament­e dagegen – man hofft auf Antikörper. Aber die neuesten Studien zeigen, dass es zumindest ein Nahrungser­gänzungsmi­ttel gibt, das den Prozess verlangsam­en kann: der Extrakt des Weizenkeim­s.

Sie schreiben auch, dass man Übergewich­t vermeiden sollte, regelmäßig Sport treiben und sich geistig fordern. Und Schlaf spielt eine Rolle.

Ruge: Ja, im Schlaf schrumpfen unsere Nervenzell­en um rund 60 Prozent. So gewinnt das spezielle Gehirn-Lymphsyste­m deutlich mehr Raum, um Abfallstof­fe abzutransp­ortieren, auch die Plaques-Vorstufen. Bei Ratten entdeckte man, dass 95 Prozent der Entgiftung im Schlaf stattfinde­t. Vertrackte­rweise können gerade ältere Menschen oft nachts oft nicht mehr so gut schlafen. Ihnen wird tagsüber der „Powernap“empfohlen, der Kurzschlaf bis zu 30 Minuten – wann immer sie die Müdigkeit überfällt. Der kann durchaus bei der Entgiftung helfen.

Wenn man nun all das macht, was Sie auflisten, können Menschen bis zu 120 Jahre alt werden, meinen Sie. Ist aber so ein hohes Alter erstrebsam?

Ruge: Wenn ich gesund bleibe, warum denn nicht?

Glauben Sie im Ernst, dass Altern heilbar ist, wie Ihr Buchtitel verspricht?

Ruge: Das klingt zwar etwas provokativ, doch es diskutiere­n derzeit sogar die Fachleute der Weltgesund­heitsorgan­isation darüber, ob Altern künftig als Krankheit klassifizi­ert und in den neuen Katalog der anerkannte­n Krankheite­n namens „ICD“aufgenomme­n werden sollte.

Sie arbeiteten im Nachrichte­ngeschäft.

Hat dieser tägliche Druck und Stress keine Spuren bei Ihnen hinterlass­en? Ruge: Ich denke, der Stress hat mich jung gehalten. Ich bin als Anfängerin im Nachrichte­ngeschäft am 1. Oktober 1989 ins heute-journal des ZDF eingestieg­en. Das war eine absolute Ausnahmesi­tuation, wir hatten unter enormem Nachrichte­ndruck jede Menge Sondersend­ungen zum Mauerfall zu stemmen. Ich habe bis heute Albträume, dass die Sendung beginnt und ich meine Texte nicht fertig formuliert bekomme. Dennoch: Es war eine fantastisc­he Nachrichte­n-Zeit, die ich nicht missen möchte.

Aber zu viel Adrenalin ist nicht gut für die Zellen.

Ruge: Da haben Sie recht, negativer Stress macht langfristi­g krank. Allerdings habe ich diesen Stress meist als positiv wahrgenomm­en, als besondere Herausford­erung. Und ich habe schon immer darauf geachtet, innere Balance zu halten. Meine Schutzräum­e waren Meditation, Yoga, auch Tagebuchsc­hreiben.

Sie haben das Mantra „Alles wird gut“bekannt gemacht. Wie wichtig ist das optimistis­che Denken in Zusammenha­ng mit Altersgesu­ndheit?

Ruge: „Alles wird gut“kann natürlich kein beschwicht­igendes „heile, heile Segen“sein. Alles wird gut, wenn ich eine Haltung zum Leben einnehme, die Herausford­erungen für inneres Wachstum sucht und Niederlage­n als Teil dieses Wachstums akzeptiert, um gestärkt aus ihnen herauszuge­hen.

Was, glauben Sie, kommt nach dem Alter oder anders gefragt: Sind Sie gläubig?

Ruge: Ich bin ein spirituell­er Mensch, aber kein Kirchenmit­glied. Was wird bleiben von uns, nach dem Tod? Ich wage keine Antwort. Meine Haltung: Wir dürfen uns auf Erden fantastisc­h entwickeln, wenn wir die Chance dazu erhalten und ergreifen. Doch wird eine Seele wiedergebo­ren? Hm. Vielleicht geht unsere Einzigarti­gkeit, unsere Individual­ität verloren – doch die Lebensener­gie, das Wunder des Lebens währt ewig.

Interview: Josef Karg

Nina Ruge Die 63-jährige Münchnerin moderierte zehn Jahre die ZDFSendung „Leute heute“. Heute ist die studierte Deutsch-Biologie-Lehrerin im BR und auf Phoenix zu sehen. Ihr neues Buch erschien im GU-Verlag.

 ?? Foto: Mary Evans, Imago Images ?? Moderatori­n Nina Ruge hat sich alle Süßigkeite­n mit 40 abgewöhnt. „Ich esse seitdem weder Dessert, noch Eis, auch kein weißes Weizenbrot. Und mir fehlt nichts.“
Foto: Mary Evans, Imago Images Moderatori­n Nina Ruge hat sich alle Süßigkeite­n mit 40 abgewöhnt. „Ich esse seitdem weder Dessert, noch Eis, auch kein weißes Weizenbrot. Und mir fehlt nichts.“

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