Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Sind Kleinstädte fahrradfreundlich?
Während der Corona-Krise sind viele Menschen aufs Fahrrad umgestiegen – vor allem in Städten. Und die versuchen, den Radlern entgegenzukommen. Wie es in der Region aussieht
Augsburg Berlin macht’s, München auch, Stuttgart ebenfalls: Ziemlich viele Städte haben seit Beginn der Corona-Pandemie versucht, fahrradfreundlicher zu werden. Zum Beispiel indem sie – wie Berlin, München und Stuttgart – spontan Autospuren in Radwege verwandelt haben. Und wie sieht es in Schwaben aus? Was tun die kleineren Städte und Gemeinden für Fahrradfahrer? Wie fahrradfreundlich ist die Region?
Auf der Suche nach einer Antwort fällt als Erstes der Fahrrad-KlimaTest auf. Alle zwei Jahre befragt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (kurz ADFC) Fahrradfahrer, wie zufrieden sie etwa mit der Verkehrspolitik, den Radwegen oder dem Verhältnis zwischen Fahrradfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern in ihrer Stadt sind. Zuletzt veröffentlichte der ADFC 2018 Ergebnisse – 2020 findet wieder eine Umfrage statt. Besonders gut schnitten die schwäbischen Städte vor zwei Jahren nicht ab.
Mit der Durchschnittsnote 3,2 führt Bad Wörishofen das Ranking der schwäbischen Städte an, danach folgen Königsbrunn (3,4), Günzburg und Mindelheim (beide 3,5). Auf den letzten Plätzen landen Nördlingen und Aichach (beide
Kaufbeuren (4,2) sowie Donauwörth und Kempten (beide mit der Note 4,3). In den Augen vieler Radfahrer liegt die Region also eher im hinteren Mittelfeld, wenn es um die Fahrradfreundlichkeit geht. Aber: Wirklich gut schneidet gar keine Stadt in Deutschland ab. Gerade einmal vier deutsche Städte bekommen eine Note, die besser ist als 2,5. Alle vier liegen in NordrheinWestfalen.
Einen zweiten Anhaltspunkt für Fahrradfreundlichkeit liefert der Unfall-Atlas des Statistischen Bundesamtes. Klar: Je weniger Fahrradunfälle in einer Stadt passieren, desto besser. Die Statistikbehörde erfasst alle Unfälle eines Jahres, bei denen Menschen verletzt wurden. Sie hält fest, ob die Personen leicht oder schwer verletzt waren, ob Fahrradfahrer, Fußgänger oder Autofahrer beteiligt waren. Ein Blick auf die Karte zeigt: Die Städte, in denen in absoluten Zahlen die meisten Radunfälle in der Region passieren, sind Augsburg, Kempten, Memmingen, Kaufbeuren und Mindelheim.
Unfälle passieren vor allem dort, wo viel los ist – und der Radverkehr
ausreichend gesichert ist. Das ist eher in größeren Städten der Fall. Je weiter es aufs Land geht, desto mehr nimmt der Fahrradverkehr ab – und die Unfälle werden seltener.
Der Mobilitätsexperte Tilman Bracher erklärt: „Während in den größeren Städten der Anteil der Fahrradfahrer am Gesamtverkehr in den vergangenen Jahren spürbar gestiegen ist, ist er in eher kleineren Städten und auf dem Land überwiegend konstant geblieben.“Bracher arbeitet für das Deutsche Institut für Urbanistik und leitet den Bereich Mobilität. Die Corona-Pandemie hat die Lage noch einmal verschärft. Vor allem in großen Städten boomt der Radverkehr. Der Grund: Viele Menschen sind vom öffentlichen Nahverkehr aufs Rad umgestiegen. Wer aber sowieso meistens Auto fährt, bleibt Autofahrer, erklärt Bracher. Und da es in vielen kleineren Städten in der Region keinen nennenswerten öffentlichen Nahverkehr gibt, steigt auch fast keiner aufs Rad um.
Aber natürlich werden umso weniger Menschen überlegen, Fahrrad zu fahren, je unsicherer das Radeln wahrgenommen wird. Und je schlechter die Infrastruktur für Fahrradfahrer ist. Und gerade was die Infrastruktur angeht, hinken die kleinen Städte noch um Jahre hinter den größeren hinterher, sagt Bra4,0), cher. „Die Förderung des Radverkehrs kam lange Zeit in der Praxis nicht vor“, erklärt er. Und schiebt dann hinterher: „In Bayern sollen künftig auch alle kleineren Orte untereinander Radverkehrsverbindungen bekommen – im Vergleich zu anderen Bundesländern ist das vorbildlich.“Denn der Freistaat hat ein Ziel: Bis 2025 soll der Fahrradverkehr 20 Prozent des Gesamtverkehrs ausmachen. Und nicht mehr nur elf Prozent wie derzeit.
Doch bis dahin ist noch viel zu tun – das wird deutlich, wenn man sich mit Menschen aus verschiedenen Kreisverbänden des ADFC unterhält. Dann zeigt sich zwar, dass viele Städte das Thema Radverkehr inzwischen ernster nehmen, doch das kommt erst nach und nach. Ein Beispiel dafür ist Günzburg. Die Stadt möchte bis 2025 Fahrradstadt werden. Deshalb hat sie sich die Probleme der Radler angehört und ein Planungsbüro beauftragt, ein Konzept für die Stadt zu erstellen. „Davor waren die Radwege auf einem Stand, den wir mal gemeinsam in den 90er Jahren erarbeitet haben“, sagt Alexander Besdetko vom ADFC-Kreisverband GünzburgDillingen. In der Innenstadt ließe sich vieles auch bequem per Fahrrad erreichen, doch gerade wenn es darum geht, dass auch die Stadtteile angebunden sind, fehle noch die Innicht frastruktur, bemängelt Besdetko. Ein typisches Problem von kleineren Städten, sagt der Radverkehrsexperte Bracher.
Die zweite Erkenntnis aus den Gesprächen mit ehrenamtlichen Mitgliedern des ADFC ist: In vielen Städten und Gemeinden tut sich nur etwas, wenn die Verantwortlichen in der Kommunalverwaltung entweder selbst Fahrrad fahren oder die Ehrenamtlichen sich sehr stark engagieren. Ein gutes Beispiel dafür ist Memmingen. Die Stadt wird oft als Vorbild genannt. Schon seit den 80er Jahren ist der ADFC dort sehr aktiv. Am Anfang hat er vor allem Fahrradausflüge angeboten. Und immer noch treffen sich jeden Mittwochabend Radler auf dem Marktplatz und fahren zusammen. Nach und nach hat sich der Fahrrad-Club auch verkehrspolitisch mehr eingemischt, viele Anliegen an die Stadtverwaltung herangetragen. Doch erst seit die Stadt einen eigenen Fahrradbeauftragten eingestellt hat, werden die Fahrradfahrer auch ernst genommen – ähnlich ist es in anderen Gemeinden und Landkreisen. Auch Bracher sieht im fehlenden Personal einen Hauptgrund dafür, dass sich das Fahrrad oft noch schwer tut. „Bis es wirklich flächendeckend ein funktionierendes Radverkehrsnetz gibt, wird es eher noch zehn als zwei Jahre dauern“, sagt er.
Unfälle passieren vor allem dort, wo viel los ist