Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sind Kleinstädt­e fahrradfre­undlich?

Während der Corona-Krise sind viele Menschen aufs Fahrrad umgestiege­n – vor allem in Städten. Und die versuchen, den Radlern entgegenzu­kommen. Wie es in der Region aussieht

- VON CHRISTINA HELLER-BESCHNITT

Augsburg Berlin macht’s, München auch, Stuttgart ebenfalls: Ziemlich viele Städte haben seit Beginn der Corona-Pandemie versucht, fahrradfre­undlicher zu werden. Zum Beispiel indem sie – wie Berlin, München und Stuttgart – spontan Autospuren in Radwege verwandelt haben. Und wie sieht es in Schwaben aus? Was tun die kleineren Städte und Gemeinden für Fahrradfah­rer? Wie fahrradfre­undlich ist die Region?

Auf der Suche nach einer Antwort fällt als Erstes der Fahrrad-KlimaTest auf. Alle zwei Jahre befragt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (kurz ADFC) Fahrradfah­rer, wie zufrieden sie etwa mit der Verkehrspo­litik, den Radwegen oder dem Verhältnis zwischen Fahrradfah­rern und anderen Verkehrste­ilnehmern in ihrer Stadt sind. Zuletzt veröffentl­ichte der ADFC 2018 Ergebnisse – 2020 findet wieder eine Umfrage statt. Besonders gut schnitten die schwäbisch­en Städte vor zwei Jahren nicht ab.

Mit der Durchschni­ttsnote 3,2 führt Bad Wörishofen das Ranking der schwäbisch­en Städte an, danach folgen Königsbrun­n (3,4), Günzburg und Mindelheim (beide 3,5). Auf den letzten Plätzen landen Nördlingen und Aichach (beide

Kaufbeuren (4,2) sowie Donauwörth und Kempten (beide mit der Note 4,3). In den Augen vieler Radfahrer liegt die Region also eher im hinteren Mittelfeld, wenn es um die Fahrradfre­undlichkei­t geht. Aber: Wirklich gut schneidet gar keine Stadt in Deutschlan­d ab. Gerade einmal vier deutsche Städte bekommen eine Note, die besser ist als 2,5. Alle vier liegen in NordrheinW­estfalen.

Einen zweiten Anhaltspun­kt für Fahrradfre­undlichkei­t liefert der Unfall-Atlas des Statistisc­hen Bundesamte­s. Klar: Je weniger Fahrradunf­älle in einer Stadt passieren, desto besser. Die Statistikb­ehörde erfasst alle Unfälle eines Jahres, bei denen Menschen verletzt wurden. Sie hält fest, ob die Personen leicht oder schwer verletzt waren, ob Fahrradfah­rer, Fußgänger oder Autofahrer beteiligt waren. Ein Blick auf die Karte zeigt: Die Städte, in denen in absoluten Zahlen die meisten Radunfälle in der Region passieren, sind Augsburg, Kempten, Memmingen, Kaufbeuren und Mindelheim.

Unfälle passieren vor allem dort, wo viel los ist – und der Radverkehr

ausreichen­d gesichert ist. Das ist eher in größeren Städten der Fall. Je weiter es aufs Land geht, desto mehr nimmt der Fahrradver­kehr ab – und die Unfälle werden seltener.

Der Mobilitäts­experte Tilman Bracher erklärt: „Während in den größeren Städten der Anteil der Fahrradfah­rer am Gesamtverk­ehr in den vergangene­n Jahren spürbar gestiegen ist, ist er in eher kleineren Städten und auf dem Land überwiegen­d konstant geblieben.“Bracher arbeitet für das Deutsche Institut für Urbanistik und leitet den Bereich Mobilität. Die Corona-Pandemie hat die Lage noch einmal verschärft. Vor allem in großen Städten boomt der Radverkehr. Der Grund: Viele Menschen sind vom öffentlich­en Nahverkehr aufs Rad umgestiege­n. Wer aber sowieso meistens Auto fährt, bleibt Autofahrer, erklärt Bracher. Und da es in vielen kleineren Städten in der Region keinen nennenswer­ten öffentlich­en Nahverkehr gibt, steigt auch fast keiner aufs Rad um.

Aber natürlich werden umso weniger Menschen überlegen, Fahrrad zu fahren, je unsicherer das Radeln wahrgenomm­en wird. Und je schlechter die Infrastruk­tur für Fahrradfah­rer ist. Und gerade was die Infrastruk­tur angeht, hinken die kleinen Städte noch um Jahre hinter den größeren hinterher, sagt Bra4,0), cher. „Die Förderung des Radverkehr­s kam lange Zeit in der Praxis nicht vor“, erklärt er. Und schiebt dann hinterher: „In Bayern sollen künftig auch alle kleineren Orte untereinan­der Radverkehr­sverbindun­gen bekommen – im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern ist das vorbildlic­h.“Denn der Freistaat hat ein Ziel: Bis 2025 soll der Fahrradver­kehr 20 Prozent des Gesamtverk­ehrs ausmachen. Und nicht mehr nur elf Prozent wie derzeit.

Doch bis dahin ist noch viel zu tun – das wird deutlich, wenn man sich mit Menschen aus verschiede­nen Kreisverbä­nden des ADFC unterhält. Dann zeigt sich zwar, dass viele Städte das Thema Radverkehr inzwischen ernster nehmen, doch das kommt erst nach und nach. Ein Beispiel dafür ist Günzburg. Die Stadt möchte bis 2025 Fahrradsta­dt werden. Deshalb hat sie sich die Probleme der Radler angehört und ein Planungsbü­ro beauftragt, ein Konzept für die Stadt zu erstellen. „Davor waren die Radwege auf einem Stand, den wir mal gemeinsam in den 90er Jahren erarbeitet haben“, sagt Alexander Besdetko vom ADFC-Kreisverba­nd GünzburgDi­llingen. In der Innenstadt ließe sich vieles auch bequem per Fahrrad erreichen, doch gerade wenn es darum geht, dass auch die Stadtteile angebunden sind, fehle noch die Innicht frastruktu­r, bemängelt Besdetko. Ein typisches Problem von kleineren Städten, sagt der Radverkehr­sexperte Bracher.

Die zweite Erkenntnis aus den Gesprächen mit ehrenamtli­chen Mitglieder­n des ADFC ist: In vielen Städten und Gemeinden tut sich nur etwas, wenn die Verantwort­lichen in der Kommunalve­rwaltung entweder selbst Fahrrad fahren oder die Ehrenamtli­chen sich sehr stark engagieren. Ein gutes Beispiel dafür ist Memmingen. Die Stadt wird oft als Vorbild genannt. Schon seit den 80er Jahren ist der ADFC dort sehr aktiv. Am Anfang hat er vor allem Fahrradaus­flüge angeboten. Und immer noch treffen sich jeden Mittwochab­end Radler auf dem Marktplatz und fahren zusammen. Nach und nach hat sich der Fahrrad-Club auch verkehrspo­litisch mehr eingemisch­t, viele Anliegen an die Stadtverwa­ltung herangetra­gen. Doch erst seit die Stadt einen eigenen Fahrradbea­uftragten eingestell­t hat, werden die Fahrradfah­rer auch ernst genommen – ähnlich ist es in anderen Gemeinden und Landkreise­n. Auch Bracher sieht im fehlenden Personal einen Hauptgrund dafür, dass sich das Fahrrad oft noch schwer tut. „Bis es wirklich flächendec­kend ein funktionie­rendes Radverkehr­snetz gibt, wird es eher noch zehn als zwei Jahre dauern“, sagt er.

Unfälle passieren vor allem dort, wo viel los ist

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Archiv-Foto: Matthias Becker Viele kleinere Städte versuchen, fahrradfre­undlicher zu werden. Aber klappt das auch?

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