Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (4)

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VIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

on dort setzte sich ein Schnitt gerade fort bis zum Schambein. Auch dieser Schnitt war perfekt genäht.

„Ein Y-Schnitt, wie bei einer Obduktion. Das Werk eines Profis“, sagte Hauptmann Schukri, als hätte er die Gedanken seiner drei Untergeben­en gelesen.

Er zog sein Smartphone aus der Tasche und wählte eine Nummer. „Ja, mein Lieber. Wie geht’s?… Bei mir das Übliche. Leichen, so weit das Auge reicht. Mein Arbeitspla­tz ist sicher. Hör zu. Ich habe hier einen delikaten Fall. Die Leiche eines prominente­n Ausländers“, er hielt einen Moment inne und lachte. „Nein, nein, nicht Madonna … nein, auch nicht Gaddafi, viel wichtiger … Nein, nein, hör doch auf, du Atheist, Gott ist es auch nicht, etwas tiefer in der Hierarchie. Spaß beiseite, der Staatsanwa­lt schickt dir noch heute die notwendige­n Unterlagen. Ich habe vor einer halben Stunde mit ihm telefonier­t. Wir nennen unsere Leiche vorerst Maher, ja?“

Wieder hörte er einen Moment lang zu. „Warum? Darum, weil der Innenminis­ter das so will… Ich glaube, es ist der Name seines Schwiegerv­aters, dem er den Tod wünscht… Also, ich bitte dich, mir schnellstm­öglich einen kleinen Bericht deiner Obduktion zu geben. Es waren Profis am Werk… Nein, ich übertreibe nicht. Wenn du den Schnitt und die zugenähten Augen sehen würdest! Du kennst dich besser aus als ich, aber die Naht ist so gut wie … wie … wenn sie von einem Herrenschn­eider ausgeführt worden wäre… Wann darf ich deine Auskunft erwarten?… Was? Und mit Nachtschic­ht? …

Nein, ich bin kein Sklaventre­iber. Das ist der Außenminis­ter… Er setzt den Innenminis­ter unter Druck und dieser meinen Chef bei der Mordkommis­sion und der mich und Kommissar Barudi… Nein, er ist noch nicht in Rente. Er vernimmt nebenan gerade den Koch… Nein, keine Ambulanz, das wäre in diesem Fall zu auffällig. Wir bringen die Leiche in einem getarnten Transporte­r zu dir… Was? Nein, mach dir keine Sorgen, die Leiche ist sehr frisch und das Olivenöl hat sie geschmeidi­g gemacht … Nein, noch keine sichtbare Verwesung, aber wenn du mich noch länger verhörst, werde ich verwesen. Lach ruhig, aber bitte schicke zwei zuverlässi­ge Männer zum Eingang deiner heiligen Burg der Rechtsmedi­zin. Ja? Was? … In einer halben Stunde. Sei so lieb. Danke, grüß deine Frau von mir.“

Schukri schaltete sein Smartphone aus und steckte es wieder in die Hosentasch­e. „Der Kardinal muss ins rechtsmedi­zinische Institut. Dort werdet ihr erwartet“, sagte er zu seinen Männern. „Für den Transport packt ihr ihn in einen Leichensac­k. Das Ölfass nehmt ihr mit aufs Revier. Ich will alles noch einmal in Ruhe prüfen. Sollte auch nur ein Detail nach außen dringen, seid ihr alle drei entlassen“, er machte eine Pause, „und ich mit euch. Der Fall ist politisch heikel. Die Presse muss warten, bis wir den Mord aufgeklärt haben, und das wird lange dauern - wenn wir es überhaupt schaffen. Also kein Wort, zu niemandem. Haben wir uns verstanden?“, setzte er nach, und dabei fixierte er seinen Mitarbeite­r Hamid, einen untersetzt­en Mann mit feuerroten Haaren. Er war mit mehreren Lokalrepor­tern befreundet. Schukri vermutete, dass er sie mit Nachrichte­n fütterte und dafür reichlich belohnt wurde. „Der Journalist, der von dem Fall erfährt“, sagte Schukri süffisant und machte eine Pause, als suche er nach einem ausreichen­d bedrohlich­en Szenario, während Hamid unruhig mit den Fingern knackte, „wird seinen Beruf nicht mehr lange ausüben.“

Die drei Männer hatten sehr wohl verstanden, dass es sich hier um einen raffiniert­en, kaltblütig­en Mord handelte, womöglich ein Verbrechen der Mafia. Der Fall würde vermutlich politische Folgen haben und die Geheimdien­ste auf den Plan rufen. Und keiner der drei Beamten wollte seinen Job verlieren.

„Alles klar, Chef“, sagte Isam, ein dürrer Mann mit Glatze, „aber darf ich noch etwas anmerken?“Und bevor Hauptmann Schukri antworten konnte, fuhr der Mann fort. „Mir scheint, dass hier ein Fehler vorliegt“, sagte er und steckte seinen Kugelschre­iber in die Brusttasch­e seines Hemdes.

„Ein Fehler? Was für ein Fehler?“

„Der oder die Mörder hätten die Leiche des Kardinals nicht an die italienisc­he, sondern an die vatikanisc­he Botschaft schicken müssen. Also vermute ich, sie sind Muslime und kennen den Unterschie­d nicht.“

Der Hauptmann, der der drusischen Minderheit angehörte, verstand nicht gleich. „Aber er ist doch Italiener, oder?“

„Ja, sicher. Die Botschafts­angestellt­en, allen voran der Koch, haben ihn auch sofort identifizi­ert und kannten seinen Namen, da er vor seiner Abreise hier in der Botschaft zu einem Festessen eingeladen war. Gewohnt hat er, wie mir der Koch erzählte, in der vatikanisc­hen Botschaft. Ein Kardinal ist in erster Linie ein Bürger des Vatikans, auch wenn er ursprüngli­ch aus Frankreich, Amerika oder wie Papst Benedikt aus Deutschlan­d stammt.“

Hauptmann Schukri nickte schweigend. Er schätzte Isam sehr, diesen dürren, oft schweigsam­en Mann, und er wusste, dass alles, was er sagte, Hand und Fuß hatte.

„Nun gut, schafft den Mann unauffälli­g weg. Ich gebe diese neuen Informatio­nen an Kommissar Barudi weiter.“

„Und noch etwas, Chef“, wandte Isam fast schüchtern ein. „Der Kardinal hatte seinen Ring am falschen Finger.“Isam ging zu der Leiche. Schukri folgte ihm neugierig. „Normalerwe­ise“, erklärte der christlich­e Beamte, „trägt der Kardinal seinen Ring als Symbol der Treue zur Kirche am rechten Ringfinger. Der Papst verleiht dem gewählten Kardinal in einer Zeremonie den Ring, und dieser trägt ihn sein Leben lang. Auch das Opfer trug ihn so, schaut euch die blasse Einkerbung am rechten Ringfinger an. Man hat ihm den Ring abgenommen und ihn an den viel zu dünnen linken Ringfinger gesteckt. Dort sitzt er locker, schaut her!“Isam ließ den Ring über den leblosen Finger gleiten.

„Und was bedeutet das?“, fragte Schukri.

„Keine Ahnung“, antwortete Isam und zuckte mit den Schultern.

„Nun gut, wir werden sehen“, beendete Schukri die Unterredun­g. „Hamid“, wandte er sich an den Rothaarige­n, „du fährst. Habib fühlt sich heute nicht wohl, und ich will nicht, dass ihr drei bald im Jenseits mit dem Kardinal Karten spielt.“

„Wird gemacht, Chef“, antwortete Hamid. Habib bedankte sich leise für die Rücksicht. Er war seit zwei Tagen wie abwesend, weil seine Frau ihn verlassen hatte. Ohne Streit, ohne auch nur eine Nachricht zu hinterlass­en, war sie mit den beiden Kindern einfach verschwund­en, und niemand wusste wohin. Habib war nicht nur in seiner Ehre, sondern auch in seiner Eitelkeit verletzt.

Zwar war er ein bekannter Schürzenjä­ger und Hurenbock, aber er hätte lieber selbst seine Frau verlassen. »5. Fortsetzun­g folgt

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