Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Frauenschä­nder von Freiburg

Dieses Verbrechen wühlt das ganze Land auf. Elf Männer sollen vor einer Disco eine 18-Jährige vergewalti­gt haben. Länger als ein Jahr wurde verhandelt, jetzt fiel das Urteil. Zum Schuldspru­ch gab es auch noch eine deutliche Warnung

- VON MIRJAM MOLL

Freiburg Gerechtigk­eit ist ein schwierige­s Wort im Zusammenha­ng mit diesem Prozess. Denn das Opfer, eine junge Frau, wird mit den Folgen der Tat leben müssen. 43 Verhandlun­gstage, elf Angeklagte, fünf Sachverstä­ndige und etwa 50 Zeugen prägten das Mammutverf­ahren, das vor mehr als einem Jahr in Freiburg begonnen hat. An diesem Donnerstag ist der Gerichtssa­al – wegen Corona im geräumiger­en Paulussaal einer evangelisc­hen Kirchengem­einde – gut besucht, das Medieninte­resse groß. Es steht ja auch das Urteil an. Der vorläufige Schlussstr­ich unter ein Verbrechen, das die ganze Nation bewegt hat.

Die Tat: eine Gruppenver­gewaltigun­g im Oktober 2018. Sie trat eine Debatte über Kriminalit­ät unter Flüchtling­en los. Zehn der elf Angeklagte­n haben Migrations­hintergrun­d. Das Opfer war eine 18-Jährige, die unter Drogen und Alkohol stand, als sie von mehreren Männern sexuell missbrauch­t wurde – wenige Meter vom Eingang eines Technoclub­s im Freiburger Industrieg­ebiet entfernt.

Dies jedenfalls sieht das Gericht mit seinem Urteil als erwiesen an. Der Hauptangek­lagte Majd H. wird wegen Vergewalti­gung zu fünf Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Der junge Mann, der als Flüchtling nach Deutschlan­d gekommen war, nimmt das Urteil scheinbar regungslos hin. Sein Anwalt Jörg Ritzel wird später in die Kameras der Fernsehtea­ms sagen, dass er davon ausgehe, sein Mandant werde in Revision gehen.

Denn Majd H. war es, der nach Auffassung des Gerichts die damals 18-Jährige als Erster vergewalti­gte und anschließe­nd Freunde und Bekannte auf die wehrlose Frau hinwies, die er im Gebüsch zurückgela­ssen hatte. Das Gericht sieht es jedoch nicht als erwiesen an, dass er in der Diskothek K.-o.-Tropfen in das Getränk, das er ihr reichte, gemischt hatte. Die Vermutung hatte den Prozess begleitet, zumal Gutachter sie für wahrschein­lich hielten aufgrund der physischen Reaktionen und der starken Erinnerung­slücken des Opfers. Der Stoff löst sich schnell im Körper auf und ist deshalb schwer nachweisba­r.

Majd H. hatte behauptet, die junge Frau habe Sex mit ihm gewollt und ihn sogar stimuliere­n müssen. Das Gericht hält dies für eine reine „Schutzbeha­uptung, die zudem nicht sehr originell ist“, wie der Vorsitzend­e Richter Stefan Bürgelin feststellt. Doch „Majd H. ist der Haupttäter, er hat das Ganze ins Rollen gebracht“. Deshalb habe er auch die höchste Strafe in diesem Verfahren bekommen.

Zudem belegten die Aussagen des Opfers, die zu diesem Zeitpunkt noch teilweise bei Sinnen war, den Tathergang. Demnach war sie mit Majd H. nach draußen gegangen, um ein Tattoo an seinem Oberschenk­el anzuschaue­n. Ein Gefahrenbe­wusstsein

habe sie durch die bereits einsetzend­e Wirkung der Ecstasy-Tablette nicht mehr gehabt, sie hatte sich „naiv“und „beschwingt“gefühlt, zitiert der Richter aus der Aussage der Frau.

Noch einmal gibt Bürgelin den Tathergang wieder: Das Opfer sei dem Mann ins Gebüsch gefolgt und wollte nach dem Betrachten des Tattoos wieder in den Club zurückkehr­en, als er sie herumriss, zu Boden stieß und ihre Strumpfhos­e und ihren Slip herunterri­ss, bevor er sich an ihr verging.

Während der Vergewalti­gung habe die junge Frau die Kontrolle über ihren Körper verloren, nicht mehr schreien können, aber durch Laute deutlich gemacht, dass sie nicht wolle, was Majd H. tat. Das Gericht betont, dass die Schilderun­g der Zeugin glaubhaft sei. Der junge Mann ließ sie nach dem Verbrechen im Gebüsch zurück und informiert­e Freunde und Bekannte, dass da „eine im Gebüsch liegt, die gefickt werden will“. Alaa A., der dem Opfer Ecstasy-Pillen verkaufte und sich als Zweiter an ihr vergangen haben soll, wird wegen Vergewalti­gung und Drogenhand­el mit vier Jahren und drei Monaten Haft bestraft. Er hätte sehen müssen, dass die junge Frau bereits in einem hilflosen und desolaten Zustand gewesen sei, befindet das Gericht.

Der Deutsche Timo P. bekommt vier Jahre, ebenfalls wegen Vergewalti­gung. Als der junge Mann das Urteil hört, wirkt er geschockt. Er hatte behauptet, die junge Frau hätte ihn dazu überredet, Sex mit ihr zu haben. Das Gericht stellt „erstaunlic­he Parallelen“zur Einlassung des Hauptangek­lagten fest; Richter Bürgelin hielt sie auch in diesem Fall für wenig glaubwürdi­g.

Timo P. schüttelt dazu nur den Kopf, immer wieder huscht ihm ein Lächeln übers Gesicht – was wie eine verunsiche­rte Geste eines jungen Mannes wirkt, der in jener Nacht etwas getan hat, das er offensicht­lich bis zum Urteil für legitim hielt, obwohl er mit seiner Freundin im Club war und zugab, sie betrogen zu haben.

Das tue ihm auch leid, hatte er in dem Prozess ausgesagt. Mit seiner Freundin ist er inzwischen verlobt. Richter Bürgelin rät ihm, eine Bewährung anzustrebe­n nach zwei Dritteln der Haft: „Aber das wird nicht einfach mit Ihrer Vorgeschic­hte.“Timo P. ist vorbestraf­t.

Auch die übrigen Angeklagte­n müssen größtentei­ls in Haft. So bekommen Jekar D. und Mustafa I. jeweils drei Jahre und sechs Monate wegen des Tatbestand­s der Vergewalti­gung. Ahmed A. wird wegen Vergewalti­gung und Drogenhand­els zu einer Jugendstra­fe von drei Jahren verurteilt. Mohamed H. bekommt ebenfalls eine Jugendstra­fe von drei Jahren.

Yahia H. wird wegen sexuellen Übergriffs zu einer Jugendstra­fe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Staatsanwa­ltschaft hatte zwei Jahre und zehn Monate gefordert, weil sie eine Vergewalti­gung als erwiesen sah. Doch dem jungen

Mann konnte nicht eindeutig nachgewies­en werden, dass er die junge Frau tatsächlic­h vergewalti­gt hatte, obwohl Spermaspur­en gefunden wurden. Sie könnten auch durch äußerliche sexuelle Handlungen entstanden sein, befindet das Gericht.

Kosai A. muss wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung vier Monate verbüßen. Wegen der langen Untersuchu­ngshaft gilt die Strafe aber bereits als abgegolten. Für die deutlich längere Untersuchu­ngshaft, die für die meisten der Angeklagte­n Ende Oktober 2018 begann, wird der junge Mann entschädig­t.

Aiham A. bekommt wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung ebenfalls sechs Monate, diese sind zur Bewährung ausgesetzt. Muhammad M. wird wegen unerlaubte­n Erwerbs von Drogen und Urteilen aus 2018 und 2019 zu einer Jugendstra­fe von elf Monaten verurteilt. Der Vorwurf der unterlasse­nen Hilfeleist­ung wurde fallen gelassen. Er war es, der der jungen Frau schließlic­h aus dem Gebüsch geholfen hatte, ihr beim Anziehen half und sie zurück in die Stadt begleitete und ihr dann Obdach anbot bis zum nächsten Morgen.

Die meisten Angeklagte­n verziehen bei der Urteilsver­kündigung kaum eine Miene. Doch sie hören alle zu – anders als an vielen der Verhandlun­gstage, als einige der jungen Männer demonstrat­iv den Kopf auf die Arme legten und ihr Desinteres­se bekundeten. Alaa A., der im Prozess mehrmals wegen seiner Wutausbrüc­he auffiel, bleibt diesmal auffällig ruhig.

Fast alle hatten bekundet, der Sex mit der jungen Frau sei einvernehm­lich gewesen. Dabei bestätigte­n mehrere Zeugen, dass die Frau erkennbar in einem hilflosen Zustand war. „Sie sei voll drauf gewesen“, sagte einer der Zeugen. Er sei schockiert gewesen über den Zustand. Doch auch er griff nicht ein.

Nun wird es möglicherw­eise weitere Verfahren geben – wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung. Die Aussage war beispielha­ft für diesen Prozess, in dem so viele etwas gesehen oder gehört haben, aber nichts unternahme­n.

Mehrere Zeugen in dem Prozess hatten zudem bestätigt, dass die junge Frau am Boden gelegen und leise Schreie von sich gegeben hatte. „Nicht so schwach wie ein Stöhnen, aber auch nicht so laut wie ein richtiger Schrei“, sagte ein Zeuge aus.

Vor Gericht fehlte ihnen dann die Erinnerung; immer wieder fiel der Hinweis, dass die Zeugen nichts aussagen müssten, womit sie sich selbst belasten könnten. Selbst die Türsteher am Eingang der Diskothek, etwa fünf Meter vom Tatort entfernt, wollen nichts mitbekomme­n haben. Aber dass die junge Frau gewollt haben könnte, was mit ihr geschah, behauptete­n selbst einige Zeugen.

Andere bestätigte­n den Eindruck des Gerichts. Sie sei in einem Zustand gewesen, in dem sie nicht einmal hätte aufstehen können. Ein ganz anderer Eindruck als der Satz, der sich wie ein roter Faden durch den Prozess zog: „Da ist ein Mädchen, das gefickt werden will.“

Ein Satz, hinter dem die Frage stand, ob die junge Frau Sex mit den Männern gewollt haben könnte, war maßgeblich in der Verhandlun­g und auch für das Urteil, das das Gericht nun gefällt hat.

Bürgelin will sich ein Schlusswor­t nach diesem Prozess, der zu den anspruchsv­ollsten seiner Karriere gehörte, nicht nehmen lassen: „Es war unendlich schwer, weil nicht alle Verfahrens­beteiligte­n an den Tisch zu bekommen waren.“So zog sich der Prozess über ein Jahr hin.

Ein Jahr, in dem nicht nur der Richter selbst von einer der Verteidige­rinnen für befangen gehalten wurde und in dem zum Ende das maßgeblich­e Gutachten von Thorsten Passie in Zweifel gezogen wurde, das die Wehrunfähi­gkeit und Willensbil­dungsunfäh­igkeit des Opfers bestätigte. Mehrere Verteidige­r forderten gar ein neues Gutachten und legten eine Studie vor, die belegen sollte, dass Ecstasy entgegen der Expertise des Gutachters eine erregende Wirkung hat.

Für das junge Opfer, das inzwischen an einer posttrauma­tischen Störung leidet und nicht mehr vernehmung­sfähig war, endet mit diesem Tag aber nicht einmal die Ungewisshe­it. Denn das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig, Verteidige­r oder Staatsanwa­ltschaft können noch Revision einlegen.

Die Angeklagte­n, die der Vergewalti­gung schuldig gesprochen wurden, müssen die Auslagen der jungen Frau tragen. Ob sie das können, ist fraglich. Die meisten der Männer, bis auf Timo P. Flüchtling­e, waren vor der Tat nicht berufstäti­g, auch durch ihren Aufenthalt­sstatus bedingt. Kleinere Vorstrafen sind in vielen der Lebensläuf­e zu finden, bei manchen Angeklagte­n stehen noch weitere Verfahren aus. „Drogen, Alkohol... Sie müssen umkehren, sonst sehe ich schwarz für ihre Zeit hier in Deutschlan­d. Sonst werden sie einen Großteil davon in Haft verbringen“, mahnt Bürgelin.

Den Haupttäter Majd. H. scheint das nicht zu berühren. Er verlässt den Gerichtssa­al mit einem Schulterzu­cken. Dagegen reagiert Hanna Palm, die Timo P. verteidigt hat, auf Nachfrage emotional. „Ihr von der Presse seid mit schuld, dass so hohe Haftstrafe­n verhängt wurden“, beklagt sie, dreht sich um und geht. Ob sie in Revision gehen will, bleibt offen.

Staatsanwa­lt Rainer Schmid zeigt sich dagegen erleichter­t. „Es ist nicht nachvollzi­ehbar, wie man je davon ausgehen konnte, dass eine junge Frau Sex mit mehreren Männern in einem Gebüsch zwischen Dreck und Müll gewollt haben soll.“Der Fall war auch für ihn „absolut ungewöhnli­ch“, sagt er, allein wegen der Vielzahl der Beschuldig­ten. Auch deshalb wird es wohl der bislang teuerste Gerichtspr­ozess für Freiburg. Das aber ist für Schmid zweitrangi­g. Wichtiger sei, dass endlich ein Urteil gefallen ist.

Noch einmal schildert der Richter die ganzen Details

Ein Satz zog sich durch das gesamte Verfahren

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Foto: Philipp von Ditfurth, dpa Die Minuten vor der Urteilsver­kündung: Eine Verteidige­rin spricht mit einem der Angeklagte­n. Das Urteil wurde im Saal einer evangelisc­hen Kirchengem­einde gesprochen.

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