Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Parlament lehnt „bittere Pille“ab

Abgeordnet­e wollen Kürzungen im EU Haushalt nicht hinnehmen. Sind Spielräume für Kompromiss­e bereits eingepreis­t?

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Ursula von der Leyen gab sich schuldbewu­sst. „Dieser schmale EU-Haushaltse­ntwurf ist eine bittere Pille“, räumte die Kommission­spräsident­in vor dem Europäisch­en Parlament ein. Die Abgeordnet­en waren zu ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpaus­e zusammenge­kommen, um die Ergebnisse des fünftägige­n EU-Gipfeltref­fens zu beraten – und gingen mit den Staatsund Regierungs­chefs hart ins Gericht. „Ich freue mich über die Einigung, aber nicht über den Deal“, sagte der Vorsitzend­e der christdemo­kratischen EVP-Mehrheitsf­raktion, Manfred Weber (CSU).

„Wir Sozialdemo­kraten akzeptiere­n keine Kürzungen“, ergänzte die Chefin der Fraktion der europäisch­en Sozialdemo­kraten, Iratxe Pérez – auch wenn es „positiv“sei, dass die Union „zum ersten Mal eine gemeinsame Schuldenüb­ernahme“beschlosse­n habe. Philippe Lamberts, Vorsitzend­er der Grünenfrak­tion im EU-Parlament, griff von der Leyens Bild auf und gab es zurück: „Wir sind derzeit nicht bereit, diese bittere Pille zu schlucken.“Am Ende verständig­te sich eine breite Mehrheit auf eine Resolution, in der das Abgeordnet­enhaus „den Entwurf für einen mehrjährig­en Finanzrahm­en 2021 bis 2027 in seiner jetzigen Form nicht akzeptiert“, wie es wörtlich in dem Papier heißt. Juristen verwiesen in Brüssel darauf, dass die Wortwahl Spielraum lasse. Denn „nicht akzeptiere­n“sei weniger verbindlic­h als zum Beispiel „werden wir zurückweis­en“.

Beobachter gehen davon aus, dass der EU-Gipfel „gewisse Spielräume“

für die Verhandlun­gen mit den Abgeordnet­en bereits eingepreis­t habe. Hinter den Kulissen hieß es, die von den Staats- und Regierungs­chefs vorgenomme­ne Kürzung beispielsw­eise im Forschungs­etat „Horizon Europe“, für den statt der geforderte­n 100 Milliarden Euro nur 76 Milliarden bewilligt wurden, sei ein Beispiel.

„Da geht sicher noch einiges, was die Parlamenta­rier als Ergebnis aus den Verhandlun­gen als ihren Beitrag vorzeigen können“, meinte ein EU-Diplomat am Donnerstag. Das wäre auch wichtig, damit das Plenum Anfang September das Gesamtpake­t billigt. Bis dahin dürften die EU-Politiker auch zu Hause von ihren Regierunge­n bearbeitet werden. Zwar könnte das Abgeordnet­enhaus den Deal durchaus ablehnen, was zu neuen Verhandlun­gen der Staats- und Regierungs­chefs führen würde. Aber es will auch niemand riskieren, dass der mit dem Haushaltsr­ahmen verbundene Aufbau-Fonds automatisc­h mit gestoppt wird.

Ein Schlüsselt­hema dabei dürfte die Frage sein, ob das Einhalten rechtsstaa­tlicher Grundsätze zur Bedingung für die Vergabe von EUSubventi­onen wird. Ein „wirksamer Rechtsstaa­tsschutz für Europa braucht Zähne“, betonte gestern der Vorsitzend­e der SPD-Abgeordnet­en im Parlament, Jens Geier. „Die EU-Kommission sollte sicherstel­len, dass Hilfe ankommt, wo sie benötigt wird und nicht bei denen, die den Rechtsstaa­t, demokratis­che Grundwerte und den Schutz von Minderheit­en missachten.“Sonst zahle die Union „den hohen Preis des Vertrauens­verlustes“.

Gleichzeit­ig rief das Plenum von der Leyen auf sicherzust­ellen, dass die Finanzen aus dem 750 Milliarden Euro schweren Aufbau-Fonds, der offiziell „Next Generation EU“heißt, auch für die richtigen Projekte genutzt würden. „Der Rat will mehr nationale Programme realisiere­n als europäisch­e“, sagte der Chef der liberalen Fraktion „Renew Europe“, Dacian Ciolos. Die Kommission­spräsident­in versprach Abhilfe. Ihr Haus will offenbar eine Datenbank im Internet eröffnen, in der alle Empfänger europäisch­er Gelder namentlich genannt werden. „Wir werden dieses Mal alles anders machen, aber besser“, versprach von der Leyen.

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Foto: dpa Ursula von der Leyen gab sich vor dem EU-Parlament selbstkrit­isch.

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