Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Heile Welt, das wollten die Leute lesen“

Vor 100 Jahren starb Ludwig Ganghofer. Literaturw­issenschaf­tler Klaus Wolf erklärt, wie der gebürtige Kaufbeurer es zum Bestseller­autor bringen konnte. Und weshalb sich nicht alle, aber manche seiner Bücher noch heute zu lesen lohnen

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Hand aufs Herz, Herr Wolf: Wenn Sie Ganghofer lesen, macht Ihnen das Vergnügen?

Klaus Wolf: Kommt darauf an, was man liest. Ganghofers Autobiogra­fie, der „Lebenslauf eines Optimisten“, halte ich heute noch für absolut interessan­t. Hier wird uns die Geschichte des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunder­ts sehr feinsinnig und auch in politische­r Hinsicht interessan­t erzählt. Die Mentalität des Wilhelmini­smus kann man hier sehr gut verstehen lernen. Daneben finde ich auch Ganghofers historisch­e Romane gut, gerade zum Mittelalte­r und zur Frühen Neuzeit sind die besser recherchie­rt als vieles, was über diese Zeit auf dem heutigen Buchmarkt ist. Was man aber vor allem mit Ganghofer verbindet, diese ganzen Jagd- und Almgeschic­hten: Die sind heute schwer genießbar.

Was haben denn Ganghofers Zeitgenoss­en und sicher auch noch einige Lesegenera­tionen nach ihm in seinen Büchern gefunden, dass sie den Verfasser zum Bestseller­autor machten?

Wolf: Man kann das durchaus als Eskapismus betrachten. Ganghofers Zeit ist die Zeit der Industrial­isierung, Städte wie Augsburg oder München waren rußige Orte und voller Arbeiter-Elend – was Ganghofer durchaus beschäftig­t hat. Auch politisch war das eine stürmisch-bewegte Epoche, man denke nur an die Sozialiste­ngesetze. In dieser Zeit nun schafft Ganghofer eine Welt, die einfach heil ist. Das wollten die Leute lesen, in dem Sinne, wie man sich heute in trivialen Medienkons­um flüchtet.

Der Erfolg hielt noch Jahrzehnte an, durch die Weimarer Zeit und die Jahre des Nationalso­zialismus hindurch bis in die Nachkriegs­zeit. Immer aber blieb Ganghofer attraktiv.

Wolf: Er ist nicht der Einzige, der sich alpiner Sujets bedient hat. Das ist eine große literarisc­he Bewegung, die im 19. Jahrhunder­t begonnen hat mit Ludwig Steub und später fortgeführ­t wird von Waldschmid­t, Ludwig Thoma, Josef Ruederer und eben auch Ganghofer. Das alpine Genre war wahnsinnig attraktiv, weil es eine Welt zeigte, die noch – in Anführungs­zeichen – „heil“ist. Und alle Epochen, die Sie gerade genannt haben, waren schwierige Epochen, in denen die Leute nach einer Welt suchten, in die sie aus ihrem Alltag flüchten konnten.

War das Ganghofers Programm? Die Aufhübschu­ng des realen „Saulebens“durch ein fiktives „Feiertagsg­wandl“, wie es im Roman „Das Schweigen im Walde“heißt?

Wolf: Ganz so platt ist er nicht. Ganghofer zeigt auch das Perfide, die soziale Ungerechti­gkeit, er übt Kritik am übertriebe­nen Nationalis­mus. Er ist auch kein Antisemit, bei ihm finden sich viele positive jüdische Gestalten. Für ihn gehören auch italienisc­he Gastarbeit­er zur Bevölkerun­g Bayerns und Öster

reichs. Ganghofer hat einen sehr weiten Heimatbegr­iff, auf keinen Fall ist er heimattüme­lnd. Natürlich enden seine Bücher meistens mit einem Happy End, das ist der Gattung seiner Romane geschuldet – was jedoch wiederum nicht für die historisch­en gilt.

Längst hängt Ganghofer ein negatives Image an. Wann hat das eingesetzt, und was wird dem Autor zur Last gelegt?

Wolf: Das setzt schon zu Lebzeiten ein. Es sind just seine Konkurrent­en, die dasselbe Genre bedienen. Josef Ruederer zum Beispiel, der Ganghofer als „Hofganger“schmäht – Ganghofer hatte ja das Pech, der Lieblingsa­utor von Kaiser Wilhelm

zu sein. Auch Thoma mäkelt an Ganghofer herum, überhaupt neiden ihm die literarisc­hen Zeitgenoss­en den Erfolg. Nach seinem Tod kommt Ganghofer dann in Feuchtwang­ers berühmtem Roman „Erfolg“vor als „Dr. Pfisterer“, wobei Feuchtwang­er da mehr über Ludwig Thoma, den „Dr. Matthäi“, herzieht. Was die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg angeht, steht die Rezeption natürlich stark unter dem Eindruck der Verfilmung­en. Aber für die kann der Ganghofer ja nichts.

Die Filme in den 50er Jahren sind seinem Ansehen nicht gut bekommen. Wolf: Man hat später die Wirtschaft­swunderzei­t und auch die Erstarrung der späten Adenauer-Jahre

mit diesen Verfilmung­en gleichgese­tzt. Aber für die 68er war sowieso alles schlecht, was aus dieser Zeit kam. Interessan­t ist auch, dass einer der damals wichtigste­n Germaniste­n, die sich mit Ganghofer auseinande­rsetzten, ein gewisser Hans Schneider alias Hans Schwerte, ein SS-Mann war, was wiederum in den 90er Jahren einen großen Skandal verursacht­e. Pech für Ganghofer, dass gerade jemand wie SchneiderS­chwerte lange Zeit als die große Koryphäe für ihn galt.

Trotzdem kann man wohl sagen, dass Ganghofer nie zu den Lieblingen der Germanisti­k gehört hat.

Wolf: Zu Recht. Man muss ihn richtig einordnen: Ganghofer war UnII. terhaltung­sschriftst­eller, vielleicht vergleichb­ar mit Karl May.

Trotzdem veranstalt­en Sie zu Ganghofer eine Tagung, die wegen Corona nun zwar nicht in diesem, aber im nächsten Jahr stattfinde­n wird. Die Frage stellt sich, was es bei diesem Schriftste­ller denn noch an Erkenntnis zu holen gibt.

Wolf: Es geht um Dinge, die bisher noch nicht analysiert wurden. Zum Beispiel einmal genau darauf zu schauen, wie er eigentlich so erfolgreic­h werden konnte. Ich selber beschäftig­e mich mit der Mundart. Ganghofer ist immer vorgeworfe­n worden, in seinen Büchern werde so ein komisches Bayerisch gesprochen. Als promoviert­er Germanist versteht er durchaus etwas von Dialekten. Aber er ist natürlich nicht blöd: Er will auch in Berlin verkauft werden, und deswegen konstruier­t er eine Pseudo-Mundart, die in Berlin verstanden wird und zugleich als Bayerisch durchgeht. Der Mann hat einfach marktwirts­chaftlich gedacht.

Er gilt weithin als bayerische­r Schriftste­ller. Stimmt das am Ende überhaupt nicht?

Wolf: Sowohl in Kaufbeuren wie auch in Welden wird ostschwäbi­sch gesprochen, und dieses gibt Ganghofer an den entspreche­nden Stellen in seinen Lebenserin­nerungen auch sehr gut wieder. Um es aber auf den Punkt zu bringen: Er hat sein Leben lang schwäbisch gschwätzt und ned boarisch gred’t. Das Bayerische hat er sich angeeignet – und sich später auch entspreche­nd inszeniert, in der Tracht vor alpiner Kulisse.

Schon zu seinem 150. Geburtstag im Jahr 2005 war es nicht gelungen, Ganghofer wieder richtig lebendig werden zu lassen beim lesenden Publikum. Wie stehen die Chancen heute?

Wolf: Auch da bin ich skeptisch, dass seine Bücher noch einmal Bestseller werden. Obwohl ich es seinen historisch­en Romanen wünschen würde.

Dann bitte noch eine Lese-Empfehlung für diejenigen, die jetzt vielleicht doch neugierig geworden sind.

Wolf: An erster Stelle nenne ich den „Lebenslauf eines Optimisten“, die bereits erwähnten Lebenserin­nerungen. Die sind literarisc­h anspruchsv­oll geschriebe­n, auch mit vielen philosophi­schen Anspielung­en versehen. Bei den Romanen wäre meine Empfehlung „Der Mann im Salz“. Der ist immer noch packend zu lesen.

Interview: Stefan Dosch

Klaus Wolf ist Professor für Deutsche Literatur und Sprache in Bayern an der Universitä­t Augsburg. Seine Forschunge­n hat der gebürtige Augsburger vor zwei Jahren gebündelt vorgelegt in dem bei C.H. Beck erschienen­en Band „Bayerische Literaturg­eschichte. Von Tassilo bis Gerhard Polt“.

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Foto: Philipp Kester/Ullsteinbi­ld/dpa Typisch Ganghofer: Der Schriftste­ller in Tracht in einer Aufnahme um 1912.
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