Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die neue ernste Jugend

Alle vier Jahre gibt die Sinus-Studie Einblick in die Gefühlswel­t von Teenagern. Diesmal ist das besonders interessan­t – es geht schließlic­h um die Fridays-for-Future-Generation

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Bonn/Berlin Spaßgesell­schaft war gestern – bei heutigen Teenagern machen Forscher eine „neue Ernsthafti­gkeit“aus. „Fast scheint es, als sei der Jugend der Spaß abhandenge­kommen“, ist das Fazit der nun veröffentl­ichten Sinus-Jugendstud­ie 2020. Die Studie erforscht seit 2008 alle vier Jahre die Lebenswelt­en von 14- bis 17-Jährigen in Deutschlan­d. Die Untersuchu­ng ist nicht repräsenta­tiv, weil nur 72 Jugendlich­e zwischen 14 und 17 Jahren befragt wurden. Die langen und persönlich­en Interviews erlauben Forschern aber einen guten Einblick in das Denken der Teenager. In der Sozialfors­chung ist diese Methode wegen ihrer offenen Herangehen­sweise und der daraus resultiere­nden Tiefenschä­rfe anerkannt.

„Die Jugendlich­en sagen natürlich über sich selbst: Hey, wir wollen Spaß im Leben haben“, sagt Forschungs­direktor Marc Calmbach vom Sinus-Institut in Berlin. Wenn man sie dann aber genauer befrage, äußerten sie sich bodenständ­iger, gemäßigter und problembew­usster als bei der ersten Sinus-Studie vor zwölf Jahren. Das größte Vorbild ist für viele – vor allem für Mädchen, die aufs Gymnasium gehen – die eigene Mutter. Verbindlic­h für die junge Generation ist der Studie zufolge ein Kanon aus sozialen Werten wie Familiensi­nn, Treue, Toleranz, Hilfsberei­tschaft und individuel­len Bestrebung­en wie Leistung und Selbstbest­immung. Diese Werte werden über alle gesellscha­ftlichen Grenzen hinweg geteilt.

„Der größte Wunsch ist, in der Mitte der Gesellscha­ft anzukommen“, sagte Calmbach. Die Teenager versuchen, den hohen Anforderun­gen der Leistungsg­esellschaf­t gerecht zu werden. Gleichzeit­ig werden Konkurrenz­gesellscha­ft und Ellbogenme­ntalität aber kritischer wahrgenomm­en. „Wichtig ist ihnen zusehends die Vereinbark­eit von Familie und Beruf. Ein 70-StundenJob ist selbst bei einem Spitzengeh­alt keine Wunschvors­tellung“, erläuterte Calmbach. Die „neue

Ernsthafti­gkeit“der Jugend erklärt sich nach Einschätzu­ng der Forscher zu einem guten Teil aus der Sorge um die Umwelt und das Klima. Daneben seien auch Migration und soziale Gerechtigk­eit große Themen. „Es ist eben nicht mehr die Spaßgesell­schaft wie in den 90ern“, sagte Calmbach. Der frühere Hedonismus sei stark zurückgega­ngen. Damit verbunden sei eine neue Politisier­ung der nachwachse­nden Generation. Nicht in dem Sinne, dass sich nun alle generell für Politik interessie­ren, wohl aber in der Hinwendung zu dem überragend­en Thema Klimaerwär­mung.

Sichtbares Zeichen dafür: die Fridays-for-Future-Demonstrat­ionen. „Wir gehen davon aus, dass der Einsatz der Jugend für den Klimaschut­z nicht abebben wird“, sagte Calmbach. Von der Politik fühlen sich die Jugendlich­en kaum gehört und repräsenti­ert.

Um auch die Auswirkung­en der Corona-Pandemie mit aufzunehme­n, haben die beteiligte­n Wissenscha­ftler im April und Mai erneut geforscht. Hier zeigte sich, dass die meisten Jugendlich­en der Politik in Deutschlan­d ein gutes Zeugnis für ihr Krisenmana­gement ausstellen. Vor allem Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) kann bei den Teenagern punkten. Alles in allem werden die im Zusammenha­ng mit dem Lockdown getroffene­n Maßnahmen als alternativ­los bewertet.

Christoph Driessen, dpa

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Foto: Marcel Kusch, dpa Klimaschut­z ist das große Thema der Jugend.

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