Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Als Schalke vier Minuten Meister war
Im Mai 2001 feiern die Fans von S04 schon den Titel – und erleben einen der bittersten Tage der Vereinsgeschichte. Ein Reporter spielt eine unglückliche Rolle (Teil 3)
Vier Minuten, 38 Sekunden. Exakt so lange dauerte die kürzeste und zugleich traurigste Meisterfeier aller Zeiten. An diesem 19. Mai 2001 im Gelsenkirchener Parkstadion stürmten die Fans des FC Schalke 04 den Platz. Ihre Mannschaft hatte eben die Partie gegen Unterhaching mit 5:3 gewonnen und damit, so glaubten sie, auch die Meisterschaft perfekt gemacht. Es wäre die erste seit 1958 gewesen. Schalkes Fans wähnen sich am Ziel, endlich. Manager Rudi Assauer jubelt mit Spielern, umarmt seinen Spielmacher Andreas Möller. Der Rasen ist eine königsblaue Jubelorgie.
Dass auf der Anzeigetafel des Parkstadions Bilder des BayernSpiels beim Hamburger SV gezeigt werden, nimmt kaum einer wahr. Es ist aber nicht, wie von einigen angenommen, eine Wiederholung. Das Spiel der Münchner läuft noch – und zeigt, wie deren Verteidiger Patrik Andersson einen Freistoß zum 1:1 in die Maschen des HSV-Tors drischt. Vier Minuten und 38 Sekunden nach Abpfiff in Gelsenkirchen. Es ist der Moment, der alles um 180 Grad ändert, der der Party in Königsblau abrupt den Stecker zieht. Der Punkt reicht den Bayern zum Meistertitel. Spätestens, als die Leinwand den Torjubel von Andersson, Effenberg, Kahn und Hoeneß zeigte, schwante den Schalkern Böses. Die Freude schlägt innerhalb von Sekunden in blankes Entsetzen um.
Assauer wählte wegen des dramatischsten Finales der BundesligaGeschichte drastische Worte. Die Situation sei vergleichbar mit einem
Flugzeugabsturz und weiter: „Ab heute glaube ich nicht mehr an den Fußballgott.“Der nach dem Abpfiff geplante Abschied vom Parkstadion – in der kommenden Saison stand der Umzug in die neu gebaute Arena an – sollte eigentlich die Meisterfeier werden. Er geriet zu einer absurden Veranstaltung. Viele Spieler kämpften auf dem Podest mit den Tränen, einige verloren den Kampf.
Doch warum glaubten Fans und Spieler des FC Schalke überhaupt, dass das Spiel der Bayern schon abgepfiffen war? Eine entscheidende Rolle spielte dabei Rolf Fuhrmann. Der Reporter des Bezahlsenders Premiere (später Sky) hatte Schalkes Sportmanager Andreas Müller im
Live-Interview fälschlicherweise gesagt, dass in Hamburg bereits abgepfiffen war.
Für Schalke-Fans war Fuhrmann seither der personifizierte Albtraum. Er selbst sprach von sich als „Reporter der Schmerzen“– in Anlehnung an die Bezeichnung „Meister der Herzen“, mit der die bemitleidenswerten Schalker damals getröstet werden sollten. Der Sieg im DFB-Pokal eine Woche später lindert die Enttäuschung in Gelsenkirchen zwar etwas. So nahe sollten die Schalker dem Meistertitel seither aber nie wieder kommen.
Zum Tod Rudi Assauers im Februar 2019 erinnerte sich Fuhrmann an jenen Sommertag im Jahr 2001.
Dem Spiegel sagte er, dass ihm vor allem die Freude Assauers in Erinnerung geblieben sei: „Ich habe Assauer gesehen, er war ganz aus dem Häuschen, er freute sich für Schalke, aber ich hatte auch das Gefühl, er freute sich für das gesamte Ruhrgebiet.“
Dass dieser Jubeltaumel nicht einmal fünf Minuten währte, sei bitter gewesen. Fuhrmann äußerte eine Hoffnung, die in diesen Tagen fast schon absurd klingt: „Ich würde mir wünschen, dass sie sich bei Schalke 04 den Traum von der Meisterschale noch erfüllen. Die ist man Assauer vielleicht auch schuldig, und ich würde sie ihm gerne irgendwann mit nach oben bringen.“