Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum Großprojek­te so oft scheitern

Verzögerun­gen um Jahre, Pfusch am Bau, Explosion der Kosten. Prestigevo­rhaben gehen häufig schief. Der Fehler liegt im System, sagen Wissenscha­ftler

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Deutschlan­d ist ein Land, das die Dinge vernünftig angeht. Beim Kampf gegen das Corona-Virus hat sich diese deutsche Tugend bezahlt gemacht. Auf der ganzen Welt wird die Bundesrepu­blik dafür bewundert. Bei Großprojek­ten hat der Nimbus konzentrie­rten, zielorient­ierten effiziente­n Handelns zuletzt aber deutlich an Glanz verloren. Der Berliner Flughafen BER, Stuttgart 21, die Elbphilhar­monie – sie alle gerieten zum Desaster. Im Ausland fragte man sich, ob die Deutschen das Bauen verlernt und ihr Organisati­onstalent verloren haben?

Für die Wirtschaft­sprofessor­en Klaus Schmidt und Eckhard Janeba liegt der Fehler im System. Gemeinsam mit weiteren Wissenscha­ftlern haben sie umfassend untersucht, was beim Bau von Straßen, Schienen, Flughäfen und Bahnhöfen im Argen liegt. Sie kommen zu dem Schluss, dass es vor allem drei Faktoren sind, die für Chaos sorgen:

● Unehrlichk­eit der Politik

● schwach besetzte Baubehörde­n

● komplizier­te Ausschreib­ungsverfah­ren

Wegen Faktor 1 beginnt die Malaise von Prestigepr­ojekten lange vor dem Spatenstic­h. Zwischen den zuständige­n Politikern, Architekte­n und Baufirmen gibt es eine Art stille Übereinkun­ft, wie Schmidt erklärt. „Man rechnet die Kosten klein. Einen solchen Anreiz gibt es ganz klar im politische­n Prozess“, sagt der Ökonom von der Ludwig-Maximilian-Universitä­t München.

Die Wähler sehen es nicht gerne, wenn (zu) viel Steuergeld für „Baudenkmäl­er“von Ministerpr­äsidenten, Ministern und Bürgermeis­tern ausgegeben wird. Die Kostenschä­tzungen sind daher oft von Beginn an Makulatur. Beispiel Berlin: Der Flughafen wird sieben Milliarden Euro verschlung­en haben, wenn er am 31. Oktober in Betrieb gehen wird. Ursprüngli­ch eingeplant waren 1,7 Milliarden Euro. Beispiel Stuttgart 21: Zu Beginn taxierte die Bahn die Ausgaben auf 2,8 Milliarden Euro. Inzwischen wird mit über acht Milliarden gerechnet, die an Planer, Projektste­uerer und Baufirmen gehen. „Der eigentlich­e Gewinn wird in der Nachverhan­dlung gemacht“, meint Schmidt. Die Negativfol­ge haben die Steuerzahl­er.

Der zweite Faktor, der öffentlich­e Bauprojekt­e ins Verderben führt, sind die Baubehörde­n. Die Wissenscha­ftler, die ihre Analyse im

Auftrag des Wirtschaft­sministeri­ums verfasst haben, bemängeln, dass den Ämtern das nötige Personal fehlt. Sei es, weil Dörfer und Kleinstädt­e zu klein sind, um sich einen gut ausgestatt­eten Apparat leisten zu können, oder weil in Krisenzeit­en an Personal gespart wird.

Ein gutes Beispiel ist wiederum der BER. Die Baubehörde des Landkreise­s Dahme-Spreewald war mit der Begleitung der riesigen Baustelle

völlig überforder­t. Die Lösung sind aus Sicht der Wissenscha­ftler Investitio­nsförderge­sellschaft­en.

Die Idee ist simpel: Statt kleiner Bauämter in jeder Kommune oder jedem Kreis werden die Kräfte gebündelt. In den Fördergese­llschaften, die für ganze Regionen zuständig sind, können sich Spezialist­en um spezifisch­e Bereiche kümmern. Selbst die Hamburger Verwaltung war mit der Elbphilhar­monie überfragt, wie der Untersuchu­ngsausschu­ss zum Bauskandal feststellt­e.

Ein positiver Nebenaspek­t der Konzentrat­ion der Kräfte könnte darin liegen, dass Fördermitt­el des

Bundes endlich abgerufen werden. Ein vom Bund 2015 eingericht­eter Hilfstopf war vier Jahre später noch immer mit mehr als der Hälfte der Gelder gefüllt. In verschiede­nen Förderprog­rammen des Bundes versauern Milliarden ungenutzt.

Chaos-Faktor Nummer 3 ist die Gestaltung der Ausschreib­ungsverfah­ren. Die Professore­n halten es für nicht zielführen­d, dass die Bürger derart viele Einspruchs­möglichkei­ten haben. „Es geht nicht darum, sie abzuschaff­en, es geht darum, sie zu straffen“, erklärt Schmidt. Ein anderer Hemmschuh für zügigen Baufortsch­ritt sei die oft gewünschte Beteiligun­g des Mittelstan­des. Das führe dazu, dass Projekte in viele kleine Scheiben, sprich Auftragspa­kete, geschnitte­n würden. Folge: Der Koordinier­ungsaufwan­d steigt. Die Experten halten es für besser, wenn Großprojek­te von Großkonzer­nen durchgezog­en werden.

Wenngleich das keine Garantie für Erfolg ist: Hamburg plante sein neues Wahrzeiche­n mit einem Architektu­rbüro und einem Baukonzern. Die Struktur war schlank, aber dennoch fehleranfä­llig. Das Konzerthau­s wurde sieben Jahre später fertig. Die Kosten verzehnfac­hten sich auf 790 Millionen Euro.

Spezialist­en in speziellen Einheiten wären die Lösung

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Foto: dpa Um Jahre verspätet und um Milliarden teurer: Der Hauptstadt­flughafen BER ist nur eines von vielen Großprojek­ten, die für Schlagzeil­en oder gar Skandale sorgen.

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