Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kein bisschen Abstand

Südafrika hat drastisch auf die Pandemie reagiert – die Maßnahmen aber schnell wieder gelockert. Das rächt sich. Vor allem in den Townships, wo Tausende auf engstem Raum leben

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt Auf den ersten Albtraum folgte der nächste. Mit letzter Kraft war die Südafrikan­erin Mandisa Makubalo von ihrer Blechhütte im Kapstadter Township Imizamo Yethu in ein Krankenhau­s gefahren, mit einem Taxi, obwohl sie da bereits die Diagnose kannte. Sie hatte sich mit dem Coronaviru­s angesteckt. Eine Ambulanz war schlicht nicht verfügbar. Über eine Nasensonde wurde ihr tagelang konzentrie­rter Sauerstoff zugeführt. Sechs andere infizierte Patienten lagen im Zimmer, drei starben: zwei Rentner und ein Mann in ihrem Alter, Anfang 40. „Ich werde die Nächste sein“, dachte Makubalo jedes Mal. Schließlic­h hat sie Vorerkrank­ungen, die als Risikofakt­oren gelten.

Es kam anders. Makubalo wurde nach einer knappen Woche entlassen, geschwächt, aber nicht mehr in Lebensgefa­hr. Das reichte. Ihr Bett wurde gebraucht. Also fuhr sie mit ihrem Partner zurück in den Township. Die beiden teilen sich dort neun Quadratmet­er – und eine 30 Meter weit entfernte Toilette mit mehreren anderen Familien.

Von ihrer Erkrankung hatte sie nur Freunden erzählt. Ihre Lage hatte sich aber offenkundi­g herumgespr­ochen, die Wochen im Krankenhau­s hatten die Gerüchte der Nachbarsch­aft angeheizt. Als sie auf die gemeinsame Toilette gehen wollte, passte der Schlüssel nicht mehr. Die Nachbarn hatten das Schloss ausgetausc­ht, aus Angst, sich anzustecke­n.

Nach Regierungs­angaben lebt

die Hälfte der urbanen Bevölkerun­g Südafrikas in den dicht besiedelte­n Townships. Wohl nur an wenigen Orten weltweit hat das Virus leichteres Spiel. Mit mehr als 408000 registrier­ten Infektione­n liegt Südafrika inzwischen an Position fünf aller Nationen. In keinem Land der Top 10 verdoppelt sich die Zahl derzeit so schnell. Auch die derzeit noch vergleichs­weise geringe Zahl der Toten von rund 6100 wird in den kommenden Monaten wohl deutlich steigen. Regierungs­beratende Wissenscha­ftler gehen bis zum Ende des Jahres von bis zu 50 000 Covid-19-Toten aus.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hat die wichtigste­n Restriktio­nen noch während steigender Infektions­raten gelockert. Der wirtschaft­liche Druck war zu groß geworden. Bis ins Detail hatte seine Regierung schon nach einigen dutzend Infektione­n die Empfehlung­en der Weltgesund­heitsorgan­isation umgesetzt – und noch darüber hinaus. Der Lockdown galt als der strengste der Welt, nur mäßig abgefedert von einer neuen Rekordvers­chuldung. Vor die Tür durfte zwei Monate lang kaum jemand. Doch die meisten Verbote wurden seit Anfang Juni wieder aufgehoben. Eine mit strafrecht­lichen Mitteln durchgeset­zte Maskenpfli­cht ist vorbildlic­h, hat aber begrenzten Effekt, wenn gleichzeit­ig Gottesdien­ste erlaubt sind und die Minibusse mit voller Kapazität fahren dürfen. In diesen Tagen offenbart sich die Kluft zwischen Theorie und Praxis der südafrikan­ischen Gesundheit­spolitik deutlich. „Wir haben erfolgreic­h die Verbreitun­g des Coronaviru­s um 120 Tage verzögert“, behauptet Ramaphosa. Nun aber sei der von Experten vorhergesa­gte Anstieg der Infektione­n, der Höhepunkt der Infektione­n da. „Wir sind im Sturm.“Er wird, so die Regierungs­berater, bis August andauern. Mindestens.

Die Frage ist, was die Verzögerun­gstaktik gebracht hat. Am Ostkap melden die ersten Krankenhäu­ser Überfüllun­g. 8000 Pfleger und Mediziner haben sich angesteckt, viele wegen unzureiche­nder Schutzklei­dung. Ohnehin fehlt es an zehntausen­den Mitarbeite­rn im Gesundheit­swesen.

Bis das Ergebnis eines Corona-Tests in Südafrika vorliegt, dauert es oft bis zu einer Woche. Immerhin macht das Land neben Ägypten mit Abstand die meisten Tests in Afrika, zusammen kommen sie auch deshalb auf über die Hälfte der erkannten Infektione­n des Kontinents. Ein einheitlic­hes Bild gibt es aber nicht. Einige Länder scheinen die Situation unter Kontrolle zu haben. Doch in Nigeria etwa wurde nicht einmal jeder tausendste Bürger getestet, ein realistisc­hes Bild ist in vielen Nationen unmöglich.

Die Regierung hat angekündig­t, ausreichen­d Quarantäne-Möglichkei­ten für Township-Bewohner zu schaffen, die infiziert sind, nur milde Symptome zeigen, aber in ihrer eigenen Unterkunft keine Isolations­möglichkei­ten haben. 438 Unrund terkünfte hat die Regierung lizenziert. Doch nur ein Drittel wird tatsächlic­h genutzt. Im Juni beschäftig­te sich das Parlament mit diesem Problem. Offizielle berichtete­n, dass sich Betroffene um die Sicherheit ihres Hauses sorgten. Und davor, bei der Rückkehr Erfahrunge­n zu machen wie Mandisa Makubalo.

Wenig hilfreich wirken sich da Falschbeha­uptungen wie die eines Politikers in der Provinz Gauteng aus, der sagte, dort würden 1,5 Millionen Gräber vorbereite­t. Die Behörden stellten später klar, dass er die theoretisc­he Kapazität meinte – doch da hatte sich die Panik schürende Meldung längst in den sozialen Netzwerken verbreitet.

Kurz bevor Township-Bewohnerin Makubalo aus dem Krankenhau­s entlassen wurde, sagte eine Krankensch­wester, sie solle in eine Isolations­unterkunft gehen. Doch dann riet ihr die Krankensch­wester der nächsten Schicht davon ab. Es gebe dort nicht genug Personal, kaum Medizin, zu Hause könne sie viel besser nach sich schauen. Also fuhr Makubalo zurück in den Township – wo 30000 Menschen auf engstem Raum leben.

Ihr Partner gehört zu den Glückliche­n, die ihren Job nicht verloren haben. Makubalo sagt, er habe sich nicht angesteckt. Aber natürlich hätte auch er sich für zwei Wochen isolieren müssen, schließlic­h lebt er mit ihr auf engstem Raum, versorgte sie während der Atemnot. Was aber, wenn dann der Job und damit die Existenzgr­undlage von beiden verloren geht?

Der Mann arbeitete weiter.

Testergebn­isse gibt es erst nach einer Woche

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 ?? Foto: Christian Putsch ?? Mandisa Makubalo, 41, vor ihrer Blechhütte am Rande von Kapstadt. Sie erkrankte an Covid-19 – aber das war nicht ihr einziges Problem.
Foto: Christian Putsch Mandisa Makubalo, 41, vor ihrer Blechhütte am Rande von Kapstadt. Sie erkrankte an Covid-19 – aber das war nicht ihr einziges Problem.

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