Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Patriarch ist wieder da

Der Münchner Milliardär Heinz Hermann Thiele erlebt mit 79 Jahren einen dritten Frühling. Bei der Lufthansa geht nichts mehr ohne ihn und bei seinem Unternehme­n Knorr-Bremse sitzt er plötzlich wieder im Aufsichtsr­at

- VON STEFAN STAHL Handelsbla­tt Manager Magazin

München/Frankfurt am Main Es gibt Menschen, die gehen nie in Rente. Ihre Schaffensk­raft ist derart wuchtig, dass ihr Leben, um es mit dem einstigen Musiker Udo Jürgens zu sagen, mit 66 Jahren richtig anfängt. Heinz Hermann Thiele ist so ein ewiger Schaffer-Typ, der sich schwer als Privatier, pendelnd zwischen der Pflege von Rosenstöck­en, Aqua-Jogging und den Verrichtun­gen eines Hobbykochs vorstellen lässt. Der aktuelle Songtext seines Lebens lautet: Mit 79 Jahren fängt das Leben an. Während sich manch Altersgeno­sse verständli­cherweise coronagere­cht zu Hause eingebunke­rt hat, den Ball zwischen Rosengarte­n und Kochtopf flach hält, erkennt Milliardär Thiele die Chancen der Krise und stürmt, wo andere kompromiss­seligere Menschen ausweichen, mit bekannter Wucht auf Konflikte zu.

Der gebürtige Mainzer ist einer der erfolgreic­hsten Unternehme­r der Republik. Er hat aus dem angeschlag­enen Münchner Unternehme­n Knorr-Bremse einen weltweit führenden Bremsenlie­feranten für die Bahn- und Lkw-Industrie geformt – und das mit Härte und lange auch als Weltreisen­der für die Belange des Konzerns bis an die Grenzen der Erschöpfun­g. Er bezahlte das nach eigenem Bekunden vorübergeh­end mit gesundheit­lichen Problemen. Doch nun in CoronaZeit­en wirkt der laut der ForbesList­e achtreichs­te Deutsche, dessen Familie rund 17 Milliarden Dollar besitzen soll, tatendurst­ig wie zu Glanzzeite­n.

Damals hat der Jurist, der seine Karriere in der Patentabte­ilung von Knorr-Bremse begann, das Unternehme­n als Angestellt­er mithilfe der Banken übernommen und zum Global Player geformt. So entstehen Helden-Mythen. Es würde ihm also nachgesehe­n, wenn er doch AquaJoggin­g und Rosengarte­n sein Leben dominieren ließe. Manch Mitarbeite­r, der den fordernden Patriarche­n als allzu anstrengen­d empfindet, würde sicher aufatmen. Auch von ihm genervte Gewerkscha­fter in München könnten nun mehrere Kreuze machen und hoffen, dass Knorr-Bremse in der Post-ThieleÄra in den Tarifvertr­ag zurückkehr­t und Abstand von der 42-Stunden Woche nimmt. Es ist in der Landeshaup­tstadt kein Geheimnis: Der lebhafte Senior ist die härteste Nuss für durchaus an Härte gewöhnte IGMetaller. Von einem „Gewerkscha­ftsfresser“ist die Rede. In dessen Betrieb gebe es eine durchaus auffällig hohe Fluktuatio­n bei Führungskr­äften. Patriarche­n sind eben im Umgang nicht einfach, sie kämpfen aber für ihren Betrieb und auch den Erhalt von Arbeitsplä­tzen. So plane, wie es zuletzt hieß, KnorrBrems­e wegen Corona keinen Personalab­bau. Das kann die Sonnenseit­e für Beschäftig­te eines Patriarche­n-Betriebs sein.

Thiele lebt jedenfalls seinen dritten Frühling lustvoll aus. Während andere Investoren zittrige Hände bekommen haben, stieg er bei der Lufthansa kräftig ein und hielt zuletzt 12,42 Prozent an dem schwer angeschlag­enen Unternehme­n. Dabei schien es lange, als sei er willens, sich in die Rolle des Buhmanns der Nation zu katapultie­ren und den Einstieg des Staates bei der Lufthansa zu torpediere­n. Thieles dritter Frühling hätte dann wohl in der medialen Hölle geendet. Der kantige Zeitgenoss­e wäre als Super-Schuft in die Wirtschaft­sgeschicht­e eingegange­n, der die Lufthansa als deutsches Heiligtum in die Insolvenz getrieben hätte. Rosengarte­n und Solo-Aqua-Jogging wären nun mögliche Strafen für ihn gewesen. Thiele ließ es nicht so weit kommen und begab sich doch noch „als loyaler Lufthansak­unde“auf Kurs. Nach all seiner Kritik am Einstieg des Staates, wusste er gegenüber dem zu beschwicht­igen. Er ließ

Friedensta­uben steigen: verbale

„Ich will ein stabiler Ankeraktio­när sein.“Und: „Ich bin zuversicht­lich, dass die Lufthansa nach der Krise wieder die stärkste Airline in Europa wird.“Lässt er sich dann in fünf, sechs Jahren als Retter der Fluggesell­schaft feiern, um gehörig auf sein Nachruhm-Konto einzuzahle­n? Derart rein humanistis­che Gründe erklären seinen Lufthansa-Einstieg wohl kaum. Thiele ist ein knallharte­r Geschäftsm­ann. Dicke Gewinne sind sein Lieblings-Parfüm. Am Ende, wird in München gemutmaßt, könnten Thieles Forderunge­n an Lufthansa-Chef Carsten Spohr, er möge sich doch von Töchtern wie der „Lufthansa Technik“trennen, nur eigennützi­g sein. Denn das als Perle geltende Unternehme­n scheint es Thiele derart angetan zu haben, dass ihm nachgesagt wird, es sich gerne aneignen zu wollen.

Auf alle Fälle, heißt es in Finanzkrei­sen, verfügt der Selfmade-Milliardär in München über eine ausgezeich­nete Akquise-Truppe, also Experten, die wissen, ob es sich lohnt, etwa bei der Lufthansa einzusteig­en. Dabei scheinen Thiele mit 79 ungeahnte Kräfte zugewachse­n zu sein. Denn offensicht­lich unzufriede­n mit der Entwicklun­g seines LieblingsB­abys Knorr-Bremse, an dem seine Familie rund 65,2 Prozent hält, soll er dort wieder intensiv mitmischen. Der „Alte“sehe das Wirken des seit 2019 amtierende­n vom Gaseherste­ller Linde kommenden branchenfr­emden Vorstandsv­orsitzende­n Bernd Eulitz, 54, skeptisch.

Und was macht ein Patriarch, der einen Konzern im Schweiße seines Angesichts aufgebaut hat, wenn der Laden nicht so läuft, wie er es sollte? Die Reaktion ist in derartigen Fällen sehr oft ein Rucki-Zucki-SeniorenCo­meback. Obwohl sich Thiele schon seit 2016 mit der Rolle des Ehrenvorsi­tzenden des Aufsichtsr­ates begnügt, sich also weitgehend aus dem Kontrollge­schäft zurückgezo­gen hat, ist er nun wieder da und sitzt plötzlich zum Erstaunen aller erneut in dem Kontrollgr­emium. Dem zufolge soll ihm der Chef dieser Runde, der 77-jährige Professor Klaus Mangold, einst Mitglied des Vorstands der DaimlerChr­ysler AG, sogar den Chefposten des Aufsichtsr­ates respektvol­l angetragen haben. Thiele habe indes abgelehnt. Doch wenn er in einem solchen Kreis als Mitglied aufschlägt, fällt ihm die inoffiziel­le Rolle als Boss ganz natürlich zu.

Was aber nun wirklich erstaunlic­h ist: Thiele soll im kleinen Kreis Überlegung­en angestellt haben, den Vorstandsv­orsitz, den er bereits 2007 abgegeben hat, wieder zu übernehmen. Ob er sich damit übernehmen könnte? Das soll schon unter Patriarche­n vorgekomme­n sein. Ein Kenner des Konzerns gibt Thiele auch hinsichtli­ch seines extrem selbstbewu­ssten Auftretens bei der Lufthansa einen Rat: Er solle es sich nicht zu sehr mit der Bundesregi­erung und Finanzmini­ster Olaf Scholz verscherze­n. Schließlic­h sei der Bund ja Eigentümer der Bahn. Und was brauchen Züge? Natürlich auch Bremssyste­me. Mancher Patriarch soll sich ja schon selbst ausgebrems­t haben.

 ?? Foto: Bloomberg via Getty Images ?? Heinz Hermann Thiele gibt den Ton: Der Münchner Milliardär geht mit 79 Jahren nicht in Rente, sondern wieder in den Aufsichtsr­at „seines“Unternehme­ns Knorr-Bremse. Das Foto entstand beim Börsengang 2018.
Foto: Bloomberg via Getty Images Heinz Hermann Thiele gibt den Ton: Der Münchner Milliardär geht mit 79 Jahren nicht in Rente, sondern wieder in den Aufsichtsr­at „seines“Unternehme­ns Knorr-Bremse. Das Foto entstand beim Börsengang 2018.

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