Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Empörung über Richterin
Ausgesetzter Säugling: Lebenshilfe übt Kritik an Urteil
Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Das dachte sich jedenfalls der Rektor der Meringer Realschule, Andreas Pimpl. Gemeinsam mit seinen Lehrerkollegen bereitete er den Absolventen der zehnten Klasse einen ungewöhnlichen Abschied. Statt die Abgabe der Zeugnisse für die Mittlere Reife in einer Turnhalle mit möglichst großem Abstand zu veranstalten, entschied sich Pimpl für eine Drive-In-Zeugnisvergabe.
Die Schüler und ihre Eltern fuhren am Freitag also mit dem Auto in den Pausenhof, drehten dort unter Applaus und Jubel der Lehrer eine Runde, bevor sie aus den Händen von Pimpl ihr Abschlusszeugnis erhielten. „Schon allein wegen der Corona-Pandemie werden sie niemals ihren Abschluss vergessen, aber wir setzen noch eins drauf und machen ihn zu etwas ganz Besonderem“, sagte der Schulleiter.
Dillingen/Augsburg Die Dillinger Lebenshilfe empört sich über eine Aussage, die im Rahmen des Prozesses um den ausgesetzten Säugling von Unterglauheim (Kreis Dillingen) gefallen ist. „Wir glauben nicht, dass Sie so doof sind, wie Sie sich darstellen“, hatte Susanne Riedel-Mitterwieser, Vorsitzende Richterin des Schwurgerichts am Landgericht Augsburg, am vergangenen Dienstag gesagt. Die Aussage zielte in Richtung der Mutter, die wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden ist. Ausschlaggebend für das Urteil war die Frage, inwieweit die geistig behinderte Frau für ihre Tat zur Rechenschaft gezogen werden kann.
„Das Landgericht Augsburg hat mit seinem Urteil die Schwere der Tat gewürdigt und ist zu einem – wie ich denke – gerechten und nachvollziehbaren Urteil gekommen“, sagt Dominik Kratzer, Geschäftsführer der Dillinger Lebenshilfe. Die Einrichtung hatte die Frau ambulant begleitet. Kratzer kritisiert jedoch den Gebrauch des Begriffes „doof“: „Ich halte diese Wortwahl – auch als ehemaliger Schöffe am Landgericht Memmingen – bei allem Verständnis für die Emotionalität auch einer Juristin, nicht nur für unglücklich, sondern für vollkommen deplatziert, einer Richterin nicht angemessen und für einen Schlag ins Gesicht von Menschen mit Intelligenzminderung ganz allgemein.“Die Etikettierung eines Menschen mit geistiger Behinderung als „doof“habe nicht nur bei ihm als Geschäftsführer, sondern in der ganzen Lebenshilfe Dillingen großes Unverständnis ausgelöst. „Hier hätte sich in der Urteilsbegründung eine andere Wortwahl nicht nur finden können, sondern müssen.“
Die nun verurteilte Frau hatte vergangenen Sommer ihren neugeborenen Buben auf einer Wiese ausgesetzt, weil sie sich „nicht anders zu helfen“wusste, wie sie vor Gericht angab. Schwer verletzt wurde der Säugling 30 Stunden später gefunden. Der Aussage eines Arztes zufolge geht es dem Findelkind heute „blendend“. Er lebt bei einer Pflegefamilie.