Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Im Bordell läuft seit Monaten nichts mehr
In der Rotlichtbranche herrscht Krisenstimmung wegen Corona. Ein Bordellchef sagt, er könne die Regeln so gut einhalten wie jedes Restaurant. Und eine Prostituierte klagt, sie könne ihrer Familie kein Geld mehr schicken
Nie hätte er gedacht, so sagt er, dass es in seinem Beruf mal so ruhig ist. Dass er sich um Geld Sorgen machen muss. Seinen Namen möchte er in der Zeitung nicht lesen, nur so viel: Er betreibt ein Bordell am Rande Augsburgs, ein altes Haus, Parkplätze vor der Tür, eine Tierarztpraxis als Nachbarn. Seit März ist sein Haus geschlossen. Schildert er seine Situation, kommen die Sätze laut und schnell: „Wir gehen hier vor die Hunde – um die Bordellbetriebe kümmert sich niemand.“Wenn das so weitergehe, werde man – und hier zeigt er in seinem Büro auf ein Skelett samt Zigarre im Mund – bald aussehen wie dieser Bursche.
Neben dem Mann sitzt Kendra. Ein Künstlername, sie bietet erotische Dienstleistungen an. Allerdings ohne Geschlechtsverkehr. Die gebürtige Ungarin sagt: „Ich bin wirklich angepisst. Meine Familie ist auf Geldüberweisungen von mir angewiesen, jetzt bleiben die seit Monaten aus.“Dabei dürften sogar erotische Massagen wieder angeboten werden, wo da der Unterschied zu ihrer Tätigkeit bestehe, verstehe sie nicht. Nun versucht sie sich im Escortservice, aber: „Da habe ich schon Schiss. Wer weiß, wer mich da zu sich holt – und wenn die Tür hinter mir zu ist, ist sie zu.“
Freundinnen aus dem Rotlichtmilieu würden deshalb abwarten, bis die Betriebe wieder öffnen. Oder in Bordellen in Österreich und der Schweiz anschaffen, sie haben seit Kurzem wieder geöffnet. Die Rechtslage in Bayern ist hingegen ziemlich unklar. Die Polizei hält Prostitution außerhalb des Sperrbezirks durchaus für zulässig – wenn das etwa in einem Apartment stattfindet. Prostitutionsbetriebe hingegen – also klassische Bordelle – müssten dagegen aufgrund der Corona-Regeln zubleiben. Die Stadt sieht es etwas anders. Sie hält es auch für unzulässig, dass Prostituierte ihre Freier in einem Apartment empfangen. Gerichte werden diese Frage wohl klären müssen, falls sich die Regeln nicht ändern.
Greiter leitet die Augsburger Niederlassung von Solwodi – ein Verein, der sich gegen Menschenhandel engagiert und sich um die Menschen kümmert, die in jenem Bereich arbeiten. „Ich empfinde es als äußerst problematisch und gefährlich, wenn Frauen, die der Prostitution aus finanzieller Not heraus in diesen Zeiten nachgehen müssen, gezwungen sind, zu Sexkäufern in die Wohnung zu gehen.“Greiter und ihr Verein setzen sich für das sogenannte nordische Modell ein: Der Sexkäufer, also der Freier, soll hierbei bestraft werden, nicht aber die oder der Prostituierte.
Der Augsburger Bordellbetreiber jedenfalls klagt über seinen enormen wirtschaftlichen Schaden: 10000 Euro an Fixkosten im Monat habe er, lange gehe das nicht mehr gut. Deshalb werden die Zimmer seines nun an Frauen vermietet, die von hier aus ihren Escortdiensten nachgehen könnten – also die Kunden besuchen. Die Hälfte der regulären Miete verlange er dafür. Wie viel das genau ist, sagt er nicht. Allerdings ist die Nachfrage durch Prostituierte nicht so groß. Angst vor Corona, Angst vor der Arbeit als Escort. Aktuell wohnen gerade einmal zwei Frauen bei ihm, Platz hätte er für zehn Mal so viele. Der Geschäftsführer erklärt, er wisse, das Mitleid mit ihm und seinen Kollegen halte sich in Grenzen. Aber auch er biete Arbeitsplätze, er kümmere sich um die Prostituierten, die für ihn arbeiten. „Ich mache das seit 30 Jahren, es hat sich sehr viel verändert. Zum Guten.“
Seit drei Jahren gilt etwa das Prostituiertenschutzgesetz in Deutschland, die Arbeit in den BorLinda dellen ist reglementiert: In den Zimmern müssen Alarmknöpfe installiert sein, es herrscht Kondompflicht. Außerhalb der Zimmer sind überall Überwachungskameras zu sehen – sollte ein Freier Ärger machen, sei er schnell da, um zu helfen, sagt der Betreiber. Das käme aber so gut wie nie vor.
Weil hier alles offiziell ist, wissen etwa die Streetworker von Solwodi, zumindest, wo sie die Frauen finden und beraten können. Mit Beginn der Corona-Krise hat sich die Arbeit stark verändert. Viele Frauen seien abgetaucht, erklärt Linda Greiter. Kontaktadressen habe man nicht. „Wir begleiten nun Frauen, die sich an uns gewandt haben und die gegenwärtige Lage nutzen möchten, um aus der Prostitution herauszukommen.“Man habe die Hoffnung, dass das nordische Modell nun verHauses mehrt Aufmerksamkeit bekomme. Schließlich bestehe es aus mehreren Säulen und verfolge einen ganzheitlichen Ansatz. Das schließe auch Bildungsarbeit für ehemalige Prostituierte mit ein. Sexkauf, erklärt Greiter, finde sie gerade in CoronaZeiten besonders bedenklich. Alles werde der Verhinderung von Neuinfektionen untergeordnet und sie könne sich nicht vorstellen, dass ein Freier seine Daten hinterlege.
Der Geschäftsführer des Augsburger Bordellbetriebs wischt solche Bedenken wegen der Infektionsgefahr aber beiseite. Sein Haus sei vor Corona so gut geschützt wie jedes Restaurant: Es gebe Desinfektionsmittel, Mundschutz und bei der Arbeit könne die Prostituierte auch auf Abstand achten. Er sagt: „Kuscheln und Küssen gibt es für die Wenigsten.“