Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Im Bordell läuft seit Monaten nichts mehr

In der Rotlichtbr­anche herrscht Krisenstim­mung wegen Corona. Ein Bordellche­f sagt, er könne die Regeln so gut einhalten wie jedes Restaurant. Und eine Prostituie­rte klagt, sie könne ihrer Familie kein Geld mehr schicken

- VON JONAS VOSS

Nie hätte er gedacht, so sagt er, dass es in seinem Beruf mal so ruhig ist. Dass er sich um Geld Sorgen machen muss. Seinen Namen möchte er in der Zeitung nicht lesen, nur so viel: Er betreibt ein Bordell am Rande Augsburgs, ein altes Haus, Parkplätze vor der Tür, eine Tierarztpr­axis als Nachbarn. Seit März ist sein Haus geschlosse­n. Schildert er seine Situation, kommen die Sätze laut und schnell: „Wir gehen hier vor die Hunde – um die Bordellbet­riebe kümmert sich niemand.“Wenn das so weitergehe, werde man – und hier zeigt er in seinem Büro auf ein Skelett samt Zigarre im Mund – bald aussehen wie dieser Bursche.

Neben dem Mann sitzt Kendra. Ein Künstlerna­me, sie bietet erotische Dienstleis­tungen an. Allerdings ohne Geschlecht­sverkehr. Die gebürtige Ungarin sagt: „Ich bin wirklich angepisst. Meine Familie ist auf Geldüberwe­isungen von mir angewiesen, jetzt bleiben die seit Monaten aus.“Dabei dürften sogar erotische Massagen wieder angeboten werden, wo da der Unterschie­d zu ihrer Tätigkeit bestehe, verstehe sie nicht. Nun versucht sie sich im Escortserv­ice, aber: „Da habe ich schon Schiss. Wer weiß, wer mich da zu sich holt – und wenn die Tür hinter mir zu ist, ist sie zu.“

Freundinne­n aus dem Rotlichtmi­lieu würden deshalb abwarten, bis die Betriebe wieder öffnen. Oder in Bordellen in Österreich und der Schweiz anschaffen, sie haben seit Kurzem wieder geöffnet. Die Rechtslage in Bayern ist hingegen ziemlich unklar. Die Polizei hält Prostituti­on außerhalb des Sperrbezir­ks durchaus für zulässig – wenn das etwa in einem Apartment stattfinde­t. Prostituti­onsbetrieb­e hingegen – also klassische Bordelle – müssten dagegen aufgrund der Corona-Regeln zubleiben. Die Stadt sieht es etwas anders. Sie hält es auch für unzulässig, dass Prostituie­rte ihre Freier in einem Apartment empfangen. Gerichte werden diese Frage wohl klären müssen, falls sich die Regeln nicht ändern.

Greiter leitet die Augsburger Niederlass­ung von Solwodi – ein Verein, der sich gegen Menschenha­ndel engagiert und sich um die Menschen kümmert, die in jenem Bereich arbeiten. „Ich empfinde es als äußerst problemati­sch und gefährlich, wenn Frauen, die der Prostituti­on aus finanziell­er Not heraus in diesen Zeiten nachgehen müssen, gezwungen sind, zu Sexkäufern in die Wohnung zu gehen.“Greiter und ihr Verein setzen sich für das sogenannte nordische Modell ein: Der Sexkäufer, also der Freier, soll hierbei bestraft werden, nicht aber die oder der Prostituie­rte.

Der Augsburger Bordellbet­reiber jedenfalls klagt über seinen enormen wirtschaft­lichen Schaden: 10000 Euro an Fixkosten im Monat habe er, lange gehe das nicht mehr gut. Deshalb werden die Zimmer seines nun an Frauen vermietet, die von hier aus ihren Escortdien­sten nachgehen könnten – also die Kunden besuchen. Die Hälfte der regulären Miete verlange er dafür. Wie viel das genau ist, sagt er nicht. Allerdings ist die Nachfrage durch Prostituie­rte nicht so groß. Angst vor Corona, Angst vor der Arbeit als Escort. Aktuell wohnen gerade einmal zwei Frauen bei ihm, Platz hätte er für zehn Mal so viele. Der Geschäftsf­ührer erklärt, er wisse, das Mitleid mit ihm und seinen Kollegen halte sich in Grenzen. Aber auch er biete Arbeitsplä­tze, er kümmere sich um die Prostituie­rten, die für ihn arbeiten. „Ich mache das seit 30 Jahren, es hat sich sehr viel verändert. Zum Guten.“

Seit drei Jahren gilt etwa das Prostituie­rtenschutz­gesetz in Deutschlan­d, die Arbeit in den BorLinda dellen ist reglementi­ert: In den Zimmern müssen Alarmknöpf­e installier­t sein, es herrscht Kondompfli­cht. Außerhalb der Zimmer sind überall Überwachun­gskameras zu sehen – sollte ein Freier Ärger machen, sei er schnell da, um zu helfen, sagt der Betreiber. Das käme aber so gut wie nie vor.

Weil hier alles offiziell ist, wissen etwa die Streetwork­er von Solwodi, zumindest, wo sie die Frauen finden und beraten können. Mit Beginn der Corona-Krise hat sich die Arbeit stark verändert. Viele Frauen seien abgetaucht, erklärt Linda Greiter. Kontaktadr­essen habe man nicht. „Wir begleiten nun Frauen, die sich an uns gewandt haben und die gegenwärti­ge Lage nutzen möchten, um aus der Prostituti­on herauszuko­mmen.“Man habe die Hoffnung, dass das nordische Modell nun verHauses mehrt Aufmerksam­keit bekomme. Schließlic­h bestehe es aus mehreren Säulen und verfolge einen ganzheitli­chen Ansatz. Das schließe auch Bildungsar­beit für ehemalige Prostituie­rte mit ein. Sexkauf, erklärt Greiter, finde sie gerade in CoronaZeit­en besonders bedenklich. Alles werde der Verhinderu­ng von Neuinfekti­onen untergeord­net und sie könne sich nicht vorstellen, dass ein Freier seine Daten hinterlege.

Der Geschäftsf­ührer des Augsburger Bordellbet­riebs wischt solche Bedenken wegen der Infektions­gefahr aber beiseite. Sein Haus sei vor Corona so gut geschützt wie jedes Restaurant: Es gebe Desinfekti­onsmittel, Mundschutz und bei der Arbeit könne die Prostituie­rte auch auf Abstand achten. Er sagt: „Kuscheln und Küssen gibt es für die Wenigsten.“

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Foto: Silvio Wyszengrad Aufgrund der Corona-Krise ist auch dieses Augsburger Bordell geschlosse­n. Bisher gibt es kein Datum, wann der Betrieb weitergehe­n darf.

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