Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Frage der Woche Sonnenbril­le zum Plaudern nicht absetzen?

- LEA THIES MICHAEL SCHREINER

Es ist Sommer! Die Sonne scheint! Die Sonne blendet ab und an auch! Gut, dass es Sonnenbril­len gibt. So ein Gestell ist schließlic­h nicht nur ein Modeaccess­oire, es hat, falls das jemand im jährlich wechselnde­n Formenhype doch vergessen haben sollte, eine Aufgabe: nämlich, Augen vor schädliche­m UV-Licht zu schützen. Bei manch einem sind sogar geschliffe­ne Gläser eingebaut, sodass die Sonnenbril­le auch noch eine Sehhilfe ist. Sie ahnen, worauf ich hinaus will: Eine Sonnenbril­le draußen, bei strahlende­m Sonnensche­in während einer Plauderei mit Bekannten abzunehmen, ist sinnlos. Schließlic­h stoppt die UV-Strahlung nicht, sobald Töne aus unserem Mund kommen. Und was hat der Gegenüber davon, wenn ihn ein kurzsichti­ger Mensch unsicher anblinzelt?

Laut gängiger Etikettere­geln ist es natürlich höflicher, die Sonnenbril­le abzunehmen. Weil Augenkonta­kt, Vertrauen, nonverbale Kommunikat­ion und so. Schon klar, alles richtig. Wissen wir seit der Ritterzeit: Wer das Visier hebt, signalisie­rt friedliche Absichten. Aber wir rennen nicht mehr mit Schwertern umher und warum sollte man beim Smalltalk auf der Straße Feindliche­s im Schilde führen? Zumal die Person, die man da zufällig trifft, einen ja in der Regel bereits kennt. Rein logisch betrachtet ist die Ritterrege­l also überholt. Moderner Tipp von Benimmexpe­rten daher: Einfach ankündigen, dass man die Regel bricht, also die Sonnenbril­le gerne anlässt, weil man sonst nichts sieht, die Augen tränen, man geblendet ist, etc. So signalisie­rt man trotzdem Wertschätz­ung.

Und an alle Ritter da draußen: Mal ehrlich, während eines Gesprächs auf ein schönes Visier/Gestell zu schauen, ist doch angenehmer, als in zusammenge­kniffene, sonnengepl­agte Augen.

Kommt es denn darauf überhaupt noch an in Zeiten, da wir uns an großflächi­g mit Mund-Nasenschut­z verhüllte Gesichter gewöhnt haben, die womöglich noch von Fahrradhel­men gekrönt sind? Ja. Gerade dieser Masken-Sommer zeigt, wie wichtig es ist, sich trotzdem noch mit „offenem Visier“zu begegnen. Ob Nasenspitz­e, Zahnreihen und Doppelkinn sichtbar sind, ist zweitrangi­g. Entscheide­nd ist der Blickkonta­kt, entscheide­nd ist die Augenparti­e.

Wenn das Anschauen eines anderen an einer glatten Sonnenbril­le abprallt wie an einer geschlosse­nen Türe (womöglich noch giftgrün oder schwarz alles verschluck­end oder gar verspiegel­t), ist das nicht nur unangenehm. Dunkle Gläser vereiteln eine Begegnung auf Augenhöhe. Sonnenbebr­illte, die es nicht für nötig halten, bei der Begegnung auf der Straße das Ding abzunehmen, oder hochzuschi­eben, erscheinen ignorant und unhöflich und imprägnier­en sich gegen zwischenme­nschliche Zugewandth­eit. Vermutlich ist in ihren Augen auch die Sorge ums eigene coole Aussehen wichtiger als eine entgegenko­mmende Geste für das Gegenüber. Wohin auch mit der Sonnenbril­le? Das umständlic­he Gefummel kann man sich doch sparen, schließlic­h ist die Sonnenbril­le ein Alltags-Accessoire wie Bart oder Wimperntus­che – und die nimmt man ja auch nicht ab, bloß weil man kurz draußen stehen bleibt, um mit Leuten ein paar schicke Worte zu wechseln …

Wie begegnet man also jemandem, der nicht von selbst spürt, dass das Anbehalten der Sonnenbril­le Missachtun­g, zumindest Desinteres­se dem anderen gegenüber ausdrückt, Menschen also, die zu einem Perspektiv­wechsel gar nicht mehr in der Lage sind? Wenn nicht von Angesicht zu Angesicht, dann doch zumindest mit Stirnrunze­ln.

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