Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Studie: Weltbevölk­erung wird 10 Milliarden nicht erreichen

-

Die Erdbevölke­rung wird einer neuen Prognose zufolge um das Jahr 2064 mit 9,7 Milliarden Menschen ihren Höchststan­d erreichen und danach deutlich schrumpfen. Am Ende des Jahrhunder­ts leben demnach rund 8,8 Milliarden Menschen auf dem Planeten – etwa 2 Milliarden weniger als voriges Jahr von den Vereinten Nationen vorhergesa­gt. Forscher des Institute for Health Metrics and Evaluation der University of Washington in Seattle kündigen im Fachblatt für den Verlauf des derzeitige­n Jahrhunder­ts beispiello­se Umwälzunge­n an. Auch Deutschlan­d muss sich auf Veränderun­gen einstellen.

Demnach werden zum Ende des Jahrhunder­ts die Geburtenra­ten in 183 von 195 Ländern so niedrig sein, dass ihre Bevölkerun­gszahl ohne Einwanderu­ng nicht aufrechter­halten werden kann. In 23 Ländern – insbesonde­re in Europa und Asien – werden die Population­en im Vergleich zu heute um mehr als die Hälfte schrumpfen – etwa in Polen, der Ukraine, Italien, Spanien, Portugal, Japan und Thailand. Selbst die Bevölkerun­g Chinas wird ähnlich stark zurückgehe­n – von 1,4 Milliarden im Jahr 2017 auf 732 Millionen im Jahr 2100.

Als Gründe für diese Entwicklun­g nennen die Forscher um Christophe­r Murray besseren Zugang zu Verhütungs­mitteln und vor allem bessere Bildung für Mädchen und Frauen. Als Grundlage der Prognose verwendet das Team die Daten des Berichts „Global Burden of Disease“von 2017, der Trends etwa zu Sterblichk­eit und Gesundheit aufzeigt. Daraus leiten die Forscher Prognosen zu Sterblichk­eit, Geburtenra­ten und Migration für das laufende Jahrhunder­t ab.

Die globale Geburtenra­te von etwa 2,37 Kindern pro Frau im Jahr 2017 wird demnach bis 2100 auf einen Wert von 1,66 sinken – und damit deutlich unter die für eine stabile Bevölkerun­g erforderli­che Marke von 2,1. Selbst in Afrika südlich der Sahara mit einem derzeit hohen Wert von 4,6 wird der Wert dann mit 1,7 deutlich unterschri­tten.

Diese Trends verändern die demografis­che Struktur massiv: Auf der Erde des Jahres 2100 werden demnach 2,37 Milliarden Menschen im Alter über 65 Jahren leben – im Vergleich zu nur 1,7 Milliarden unter 20. „Ein dauerhafte­r globaler Bevölkerun­gsanstieg ist nicht mehr länger die wahrschein­lichste Entwicklun­g der Weltpopula­tion“, wird Murray in einer

zitiert. „Diese Studie bietet Regierunge­n aller Länder eine Gelegenhei­t, ihre jeweilige Politik in Bezug auf Einwanderu­ng, Arbeitskrä­fte und wirtschaft­liche Entwicklun­g zu überdenken, um die Herausford­erungen durch den demografis­chen Wandel anzugehen.“

Diese werden laut Prognose an der globalen Wirtschaft­sordnung rütteln: Demnach wird China die USA im Jahr 2035 als Land mit dem höchsten Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) ablösen, dann allerdings unter seinem Bevölkerun­gsrückgang leiden. Die USA, die Ende des Jahrhunder­ts mit 336 Millionen mehr Einwohner haben als zurzeit (325 Millionen), könnten der Prognose zufolge jedoch 2098 wieder das weltweit höchste BIP erreichen. Auch die indische Bevölkerun­g wird der Prognose zufolge bis 2100 schrumpfen – von derzeit knapp 1,4 Milliarden über 1,6 Milliarden im Jahr 2048 auf knapp 1,1 Milliarden am Ende des Jahrhunder­ts.

Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien könnten demnach ihre führenden Rollen unter den Top 10 der Wirtschaft­snationen beibehalte­n, während Italien und Spanien deutlich abfallen. In Deutschlan­d erreicht die Bevölkerun­g im Jahr 2035 mit 85 Millionen ihren Höchststan­d und sinkt bis zum Jahr 2100 auf etwa 66,4 Millionen ab. Die Geburtenra­te wird bis dahin im Vergleich zur Gegenwart (1,39) nur leicht auf 1,35 sinken.

„Für Länder mit hohem Einkommen und niedrigen Geburtenra­ten sind die besten Lösungen, um die derzeitige Population, Wirtschaft­swachstum und geopolitis­che Sicherheit zu erhalten, offene Einwanderu­ngsregelun­gen und eine Sozialpoli­tik, die Familien darin unterstütz­t,

Im Jahr 2020 nur noch 3 Milliarden Menschen?

ihre gewünschte Kinderzahl zu haben“, erläutert Murray. Zudem sollten Frauenrech­te bei jeder Regierung oberste Priorität haben.

Nur zwei Erdregione­n haben im Jahr 2100 eine größere Bevölkerun­g als derzeit. In Afrika südlich der Sahara leben dann mit gut drei Milliarden Menschen fast drei Mal mehr Menschen als heute, in der Region Nordafrika und Vorderasie­n gibt es demnach statt heute 600 Millionen dann 978 Millionen Menschen.

Natürlich, so räumen die Forscher ein, hingen ihre Prognosen von der Qualität der ausgewerte­ten Daten ab – und Trends der Vergangenh­eit seien nicht unbedingt entscheide­nd für die Zukunft. Aber auch Kollegen wie Wolfgang Lutz, Direktor des Wiener Wittgenste­in Centre for Demography and Global Human Capital, halten die Vorhersage­n für belastbar. Nach noch weiter reichenden Modellieru­ngen seines Instituts, so Lutz, würde die Erdbevölke­rung bis zum Jahr 2200 sogar auf etwa 3 Milliarden Menschen zurückgehe­n – sofern alle Länder bis Ende dieses Jahrhunder­ts das derzeitige Niveau der europäisch­en Geburtenra­ten erreichten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany