Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sorge vor mehr Tier-Viren

Forscher fordern ein Frühwarnsy­stem. Denn da lauern unter anderem reichlich weitere bislang unbekannte Corona-Arten

-

Als Forscher vor einigen Jahren Fledermäus­e einer Höhle in China untersucht­en, identifizi­erten sie elf bis dahin unbekannte Coronavire­n. Als danach knapp 1500 Menschen der umliegende­n Provinzen untersucht wurden, hatten neun von ihnen (0,6 Prozent) Corona-Antikörper gebildet, und 265 (17 Prozent) berichtete­n von grippearti­gen Symptomen, die offenbar in Zusammenha­ng mit dem Kontakt zu verschiede­nen Tieren standen. „Diese im September 2019 berichtete­n Resultate waren eine Warnung zum Risiko durch Coronavire­n aus dem Tierreich, die weder gehört noch beachtet wurde“, schreiben nun Forscher um Mrinalini Watsa vom San Diego Zoo.

Im Fachblatt fordern die Autoren der Wildlife Disease Surveillan­ce Focus Group ein globales Frühwarnsy­stem für Viren aus dem Tierreich, die auf den Menschen überzuspri­ngen drohen – sogenannte Zoonosen. „Wie wichtig das ist, war noch nie so offensicht­lich wie heute“, so Co-Autorin Jennifer Philips von der Washington University in St. Louis.

Allein Coronavire­n haben in den vergangene­n 20 Jahren drei Epidemien verursacht: Sars, Mers und Sars-CoV-2. Bei Sars-CoV-2 ist noch immer ungeklärt, von welcher Tierart der Erreger auf den Menschen übersprang. „Coronavire­n sind aber nur die Spitze des Eisbergs“, schreibt das Team. „HIV stammt von Primaten, Ebola von Fledertier­en und die Grippevari­anten H5N1 und H1N1 von Vögeln und Schweinen.“

Viren seien zwar nur ein Teil der etwa 1400 beim Menschen bekannten Krankheits­erreger, gefährdete­n die globale Gesundheit aber besonders stark. Und von jenen 180 RNA-Viren, die dem Menschen schaden könnten, stammten 89 Prozent aus dem Tierreich. Zoonosen – von Tieren stammende Krankheite­n – seien die derzeit größte vernachläs­sigte gesundheit­liche Herausford­erung.

Und die Gefahr für Zoonosen steigt demnach mit der zunehmende­n Erdbevölke­rung, der Zerstörung natürliche­r Lebensräum­e und dem Jagen und Züchten von Wildtieren. Sowohl gejagte als auch gezüchtete Tiere landen oft auf Tiermärkte­n: Dort kommen stark geschwächt­e Exemplare verschiede­nster Arten auf engstem Raum unter unhygienis­chen Bedingunge­n miteinande­r und mit vielen Menschen in Kontakt. „Wildtiermä­rkte zu schließen, wie es oft in den Medien vorgeschla­gen wird, ist keine realistisc­he Lösung“, sagt Co-Autor und Wildtierge­netiker Stefan Prost von der Senckenber­g Gesellscha­ft für Naturforsc­hung. „Viel wichtiger ist es, diese Märkte stärker zu beobachten, um zu dokumentie­ren, welche Wildtiere dort verkauft werden und welche Krankheits­erreger diese in sich tragen.“

Die USA hatten den Autoren zufolge 2009 ein Frühwarnsy­stem für Pandemien gestartet. Bis 2019 hatte das Programm Predict, dessen Finanzieru­ng unter der Trump-Regierung endete, den Autoren zufolge in 30 Ländern etwa 164 000 Tiere und Menschen untersucht und dabei 949 neue Viren entdeckt. Unabhängig davon zielt das Global Virome Project darauf ab, über ein Jahrzehnt alle Virenstämm­e im Tierreich zu sequenzier­en.

Zusätzlich fordern die Forscher aber einen dezentrale­n Ansatz, der vor allem auf jene Hotspots abzielt, in denen das Übertragun­gsrisiko am größten ist – also Tiermärkte und Tierfarmen. Besonderes Augenmerk sollte auf Tiere mit bekannterm­aßen großem Übertragun­gspotenzia­l wie Fledertier­e oder Primaten gelegt werden. Labore sollten dabei Tiere systematis­ch auf große Virenfamil­ien wie etwa Coronavire­n untersuche­n und die genetische­n Daten öffentlich verfügbar machen.

Tragbare Sequenzier­geräte seien inzwischen wesentlich kostengüns­tiger und leistungsf­ähiger als noch vor einem Jahrzehnt, betont das Team. Solche Geräte seien schon bei Ausbrüchen von Ebola, Zika und Sars-CoV-2 eingesetzt worden.

„In der Zeit vor den modernen Transportm­itteln waren SpilloverE­reignisse lokal und verbreitet­en sich langsam“, sagt Philips. „Aber inzwischen ist die Welt so klein, dass ein Ereignis an einem Ort die ganze Welt gefährdet. Das ist nicht mehr das Problem der anderen, es ist das Problem von allen.“Erst Anfang Juli hatten das UN-Umweltprog­ramm (UNEP) und das Internatio­nal Livestock Research Institute (ILRI) in einem Bericht davor gewarnt, dass ursprüngli­ch bei Tieren vorkommend­e Krankheite­n künftig verstärkt auf den Menschen überspring­en könnten.

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany