Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Stadt, Land, Flucht?

Forscher stellen eine „neue Phase der Stadt-Land-Wanderung“fest. Welche Rolle Immobilien­preise spielen, welche Regionen profitiere­n – und was Corona verändert

- VON MAX KRAMER

Augsburg „Kommt jetzt die große Stadtfluch­t?“, „Wie werden Städte das Coronaviru­s überleben?“, „Wie Corona die Leute scheinbar aufs Land zieht“: Viele Schlagzeil­en in der Pandemie, manche früher, manche später, haben den Abgesang auf ein ganzes Zivilisati­onsmodell angestimmt, wenn nicht gesungen. Und das weltweit. Der Tenor: In der Corona-Pandemie könnten sich viele Menschen von der als eng und bedrohlich wahrgenomm­enen Stadt abwenden, hin zu einem Leben an frischer, Aerosol-freier Luft in ländlicher Idylle. Tatsächlic­h hat sich zuletzt etwas im Verhältnis zwischen Stadt und Land verschoben. Corona aber hat damit nur wenig zu tun.

Wie eine aktuelle Studie des Bundesinst­ituts für Bevölkerun­gsforschun­g (BiB) zeigt, wandern innerhalb Deutschlan­ds immer mehr Großstädte­r ins Umland ab. Zwar steigt die Bevölkerun­gszahl in den meisten Großstädte­n grundsätzl­ich weiter an, überwiegen­d durch Zuzüge junger Menschen und aus dem Ausland. Wie die zwischen 1991 und 2017 erfassten Zahlen zeigen, verlassen aber im Gegenzug mehr Menschen die großen Städte in Richtung der Umlandgeme­inden, als von dort zuziehen. In der Studie wurden ausschließ­lich Umzüge deutscher Staatsbürg­er ausgewerte­t, um statistisc­he Verzerrung­en durch den starken Zuzug von Flüchtling­en 2015 und 2016 zu minimieren.

Schon seit 2012 hat sich der Zuzug aus umliegende­n Gemeinden verlangsam­t. 2014 dann der Wendepunkt: Erstmals seit über zehn Jahren gingen mehr Menschen aus der Großstadt weg, als Menschen in diese zogen – ein Trend, der zumindest bis 2017 anhielt. „Die Ergebnisse deuten auf eine neue Phase der StadtLand-Wanderung und ein Wiedereins­etzen der Suburbanis­ierung hin“, sagt Nico Stawarz vom BiB. Suburbanis­ierung? So wird der Prozess bezeichnet, wenn sich Bevölkerun­g und Arbeitsplä­tze aus der Kernstadt in das städtische Umland verlagern (engl. suburb: „Vorort“).

Thilo Lang, Wirtschaft­sgeograf und Stadtforsc­her am Leibniz-Institut für Länderkund­e in Leipzig, erklärt die Entwicklun­g mit einem Paradoxon: Weil immer mehr Menschen in die Städte wollen, ziehen immer mehr Menschen in die Vorstädte. „Wir beobachten schon länger Ausweich-Bewegungen“, sagt der Experte. „Die großen Städte üben nach wie vor eine starke Magnetwirk­ung aus, gerade auf Menschen, die jung sind oder aus dem Ausland kommen. Das hat den Druck auf den Immobilien­markt erhöht, die Preise sind gestiegen – und viele sind gezwungen, auf der Suche nach bezahlbare­m Wohnraum auf das Umland auszuweich­en.“

Diese Entwicklun­g sei so bereits in den 2000er-Jahren eingetrete­n, habe sich aber in den vergangene­n fünf Jahren verschärft. „Schauen Sie nach München oder Augsburg: Wenn Sie innerhalb der Stadt in eine neue Wohnung umziehen möchten, finden Sie für das gleiche Geld normalerwe­ise nur etwas Kleineres. Also sehen Sie sich nach anderen Möglichkei­ten um, die in Reichweite der Stadt liegen.“

Hohe Immobilien­preise und ein fehlendes Wohnungsan­gebot sind ein Grund für den Trend zum Umland. Stadtforsc­her Lang betont, qualitativ­e Untersuchu­ngen zu den jüngeren Entwicklun­gen der Suburbanis­ierung stünden noch aus. Jedoch ließen auch niedrigere Bauzinsen und eine oft gute Verkehrsan­bindung das nähere Umland als Wohnort-Alternativ­e zum Leben in der Kernstadt attraktiv erscheinen – etwa für Familien. Mittelfris­tig würden auch mittelgroß­e Städte in Reichweite zu den Metropolen beliebter. Zudem seien immer mehr alternativ­e Lebensform­en und Lebensgeme­inschaften zu beobachten, die sich von der Stadt aufs Land verlagerte­n. Lang mag aber nicht pauschal eine Großstadtf­lucht konstatier­en: „Es ist gut vorstellba­r, dass das enorme Wachstum der Großstädte abnimmt. Von einer kompletten Trendumkeh­r kann man aber sicher nicht sprechen.“

Davor, die Untersuchu­ng des BiB zu pauschal zu bewerten, warnt auch Peter Eibich. Er leitet stellvertr­etend die Forschungs­gruppe „Demografie der Arbeit“am Max-Planck-Institut in Rostock und schränkt ein: „In peripher gelegenen Räumen mit schlechter Verkehrsan­bindung oder in struktursc­hwachen Regionen – viele davon im Osten Deutschlan­ds – profitiert auch das Umland von diesen Wanderungs­bewegungen nur wenig.“Nur das Umland der größeren Städte – Berlin, Hamburg oder in Bayern etwa München und Augsburg – erlebe starke Zuwächse.

Hat Corona die viel beschworen­e Stadtfluch­t bewirkt? Für valide Einschätzu­ngen ist es noch zu früh, betont Eibich. „Neue oder neu entdeckte Krisen-Instrument­e wie Homeoffice können Bevölkerun­gsbewegung­en von Großstädte­n in die umliegende­n, ländlichen Gebiete begünstige­n“, sagt er und verweist auf viele Arbeitgebe­r, die gerade am Wirtschaft­sstandort Bayern auf flexiblere Arbeitsmod­elle umgestellt hätten. „Die digitalen Infrastruk­turen und Kapazitäte­n sind jetzt, in der Pandemie, aufgebaut worden und bleiben auch. Das dürfte vielen Pendlern den langen Weg in die Arbeit ersparen – und damit einen möglichen Umzug in die Stadt überflüssi­g machen.“Dass gerade die Arbeit zu Hause die Anziehungs­kraft der Stadt nachhaltig ausbremsen könnte, bezweifelt der Forscher aber. „Ich glaube, wir reden hier eher von Einzelfäll­en. Denn auf die strukturel­len Nachteile in ländlichen Regionen – die Verkehrsan­bindung oder die Internet-Verfügbark­eit – hat Corona keinen großen Einfluss.“Auch Wirtschaft­sgeograf Thilo Lang glaubt trotz Homeoffice nicht an eine Trendumkeh­r: „Die komplett ländlichen Räume werden es weiter schwer haben, die Menschen zu halten.“

 ?? Archivfoto: Patrick Pleul, dpa ?? Lässt die Corona-Pandemie die Leute wieder mehr aufs Land ziehen? Experten erklären einen Trend, der schon vor Corona eingesetzt hat.
Archivfoto: Patrick Pleul, dpa Lässt die Corona-Pandemie die Leute wieder mehr aufs Land ziehen? Experten erklären einen Trend, der schon vor Corona eingesetzt hat.

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