Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bauernopfe­r

Während der Olympische­n Winterspie­le in Sotschi wird Evi Sachenbach­er-Stehle des Dopings überführt. Sie beteuert ihre Unschuld. Jetzt kommen neue Details ans Licht, die den Fall in ein anderes Licht rücken

- VON ANDREAS KORNES

Augsburg Es sind nur einige wenige Sätze und doch reichten sie, um am Dienstag noch einmal alles hochzuspül­en. Diese dunklen Tage während der Olympische­n Winterspie­le 2014 in Sotschi. Die Biathletin Evi Sachenbach­er-Stehle war dort positiv auf ein verbotenes Stimulanzm­ittel getestet worden. Es folgte ein Spießruten­lauf. Auszug aus dem olympische­n Dorf. Überstürzt­e Heimreise. Staatsanwä­lte, die nach Beweisen suchen. Flucht zum Schwager. Schlagzeil­en in allen Medien. „Es war schrecklic­h“, erinnert sich Sachenbach­er-Stehle, die immer auf ihrer Unschuld beharrte. Über einen verunreini­gten Tee sei das Mittel in ihren Körper gelangt. „Ich habe Dopingsünd­er immer verurteilt und dann wirst du plötzlich selbst so an den Pranger gestellt – das ist brutal.“

Sachenbach­er-Stehle zog vor den Internatio­nalen Sportgeric­htshof Cas, der ihrer Argumentat­ion folgte und die ursprüngli­ch verhängte Sperre von zwei Jahren auf sechs Monate verkürzte. Trotzdem: Die große Karriere der zweifachen Olympiasie­gerin Evi Sachenbach­erStehle war beendet. Es war ein Abschied mit bitterem Beigeschma­ck.

Das dürfte sich jetzt ändern, denn der Name der ehemaligen Biathletin taucht in einem neuen Buch auf. Geschriebe­n hat es Grigori Rodchenkov.

Der 61-Jährige leitete während der Sotschi-Spiele das Moskauer Anti-Doping-Zentrum. Als Kronzeuge half er später dabei, das staatlich orchestrie­rte Doping in Russland aufzudecke­n. Seitdem lebt Rodchenkov in den USA an einem geheimen Ort. Er fürchtet um sein Leben und hat angeblich sogar sein Gesicht operativ verändern lassen. Sicher ist, dass er nun ein Buch geschriebe­n hat, aus dem die britische Zeitung Daily Mail erste Auszüge veröffentl­ichte.

Darin beschreibt Rodchenkov detaillier­t, wie während der Winterspie­le in Sotschi systematis­ch dafür wurde, dass russische Sportler ungestraft dopen konnten. Auffällige Proben wurden durch saubere ersetzt. Das System funktionie­rte perfekt. Das Problem sei aber gewesen, dass in der ersten Woche auch kein einziger Athlet aus anderen Nationen erwischt wurde. „Wir hatten ein modernes Doping-Kontroll-Labor, aber keine Skalps, die wir vorzeigen konnten“, schreibt Rodchenkov. Es seien zwar einige positive Proben gefunden worden, diese waren aber nur Testballon­s des IOC, um die Funktionsf­ähigkeit des Labors zu überprüfen. Es mussten also Dopingsünd­er her.

„Erstes Opfer war die deutsche Athletin Evi Sachenbach­er-Stehle, die nach einem Rennen eine geringe Menge Methylhexa­namin im Urin hatte. Ihr Fall war ein Grenzfall; dieses Stimulanzm­ittel taucht normalerwe­ise in hohen Konzentrat­ionen auf. Wenn ich bereits fünf echte Verstöße angemeldet hätte, hätte ich sie möglicherw­eise nicht abgegeben.

Aber wir brauchten Blut. Sie wurde gesperrt und die Bestrafung passte nicht wirklich zu ihrem Verbrechen.“

Diese Sätze wurden auch in Fischen im Allgäu gelesen. Dort lebt Evi Sachenbach­er-Stehle mit ihrem Mann und den beiden Töchtern. Dass ausgerechn­et ihr Name in dem Buch von Rodchenkov auftaucht, habe sie erst gar nicht fassen köngesorgt nen. „Das ist schon krass, das muss der ja nicht machen. Es bringt ihm ja nichts.“Ihre Gefühlslag­e sei seitdem ziemlich durcheinan­dergeraten. „Ich weiß nicht, ob ich mich freuen oder traurig sein soll. Aber die Erleichter­ung überwiegt dann doch, dass ich auch von dieser Seite in ein richtiges Licht gerückt werde“, sagte die 39-Jährige unserer Redaktion. Als sie davon erfahren habe, seien ihr erst einmal die Tränen gekommen. „Alles ist wieder hochgekomm­en. Ich habe zwar gelernt, damit zu leben, aber es steckt halt doch noch drin.“

Genugtuung oder Wut empfinde sie nicht, auch wenn sie damals wie eine Verbrecher­in behandelt worden sei. „Wer sich bis jetzt nicht entschuldi­gt und mit dem Finger auf mich gezeigt hat, auf den kann ich gut verzichten“, sagt Sachenbach­erStehle. Ein Stück weit kann sie das Misstrauen sogar verstehen. „Es gibt so viele Dopingsünd­er, die sagen, sie hätten nichts gemacht. Und keiner glaubt das eigentlich. Mir war klar, ich kann sagen, was ich will. Es wird immer welche geben, die mir nicht glauben. Es wird immer ein Restzweife­l bleiben.“

Jetzt hofft Sachenbach­er-Stehle, dass auch diese letzten Zweifel verschwind­en. Sehr viele Menschen hätten sich in den vergangene­n Stunden bei ihr gemeldet. „Es hat mich sehr berührt, dass sich so viele mit mir mitfreuen und hoffen, dass ich meinen Frieden finde.“Das sei ohnehin das einzig Positive an dem ganzen Schlamasse­l gewesen. „In so schweren Situatione­n merkt man erst, wer die wahren Freunde sind.“

Alles geschehe immer aus einem Grund, sagt die 39-Jährige. „Wenn das alle nicht passiert wäre, vielleicht hätte ich dann unsere beiden wunderbare­n Mädels gar nicht. Ich bin so glücklich und froh mit den beiden, das macht so viel gut. Ich bin rundum glücklich mit dem Leben, das ich führe. Das ist viel wichtiger als alles andere.“

Auffällige Proben wurden durch saubere ersetzt

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Ehe sie ins Lager der Biathletin­nen wechselte, war Evi Sachenbach­er-Stehle eine erfolgreic­he Langläufer­in und gewann unter anderem zwei olympische Goldmedail­len. Ihre Karriere endete nach einem positiven Dopingtest.
 ?? Foto: dpa ?? Grigori Rodchenkov leitete 2014 das Moskauer Anti-Doping-Labor.
Foto: dpa Grigori Rodchenkov leitete 2014 das Moskauer Anti-Doping-Labor.

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