Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (13)
AIn die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
m Freitag fuhren viele Damaszener hinaus aus der Stadt, im Sommer ins Grüne und im Winter zu Freunden und Verwandten. Es dauerte einen Moment, bis er merkte, dass viele nicht hinaus-, sondern in die Stadt hereinfuhren. Er sah auf die Uhr und erschrak, wie spät es bereits war. Er packte seine Sachen, schloss die Tür und machte sich auf den Weg.
Kurz vor acht klingelte er an der Tür seines Kollegen. Schukri wohnte in der Khalil-Gibran-Straße, nicht weit von Barudis früherer Wohnung in Bab Tuma. Als Einzelkind hatte Schukri diese Prachtwohnung von seinen Eltern geerbt.
Schukri öffnete, noch in der Kochschürze. „Ich habe ein paar Kleinigkeiten vorbereitet, damit wir beim Gespräch und Wein keinen Hunger bekommen.“
Der Tisch bog sich unter den vielen Tellern mit „Kleinigkeiten“. Barudi lächelte und freute sich, weil er den ganzen Tag nur Kaffee und Wasser zu sich genommen hatte.
Beide vermieden es, von dem ermordeten Kardinal zu sprechen, als wollten sie sich von der Anstrengung der letzten Tage erholen. Barudi genoss den Wein und die Leckereien, die sein Kollege zubereitet hatte. Seit dem Tod seiner Frau hatte er nicht ein einziges Mal gekocht. Er könne es nicht gut und er sei zu alt zum Lernen, behauptete er immer. Manchmal gab er auch vor, er esse gern im Restaurant. Das war eine Lüge. Er hasste Restaurants, weil sie so laut waren. Und abends brauchte er Ruhe.
An diesem Abend aber kam er sich auf einmal sehr jung vor. Er fragte Schukri leise wie ein schüchterner Junge: „Ist es schwer zu lernen, wie man… wie man so etwas Tolles kocht?“
„Überhaupt nicht. Wenn du willst, können wir in Zukunft gern abwechselnd bei dir und bei mir kochen. Später geben wir als Rentner dann gemeinsam ein Kochbuch mit dem Titel ,Kriminell gute Gerichte‘ heraus.“
Barudi waren Kochbücher gleichgültig, aber er wollte endlich lernen, wie man leckere Gerichte kocht.
6. Der Preis der Wahrheit
Kommissar Barudis Tagebuch
Als ich heute das Tagebuch aus dem Versteck geholt habe, nahm ich auch wieder einmal die Schatulle mit den sechshundert Goldmünzen in die Hand. Sie sind meine Sicherheit, und ihr Anblick macht mich froh. Ich erinnere mich noch gern daran, wie ich sie erwarb. Ich fühlte mich in dem Augenblick eigenartig glücklich. In Gedanken kehrte ich zu jenen Tagen in meiner Jugend zurück, die mir damals als Katastrophe erschienen und die letztendlich meine Rettung und mein Glück waren.
Ich war als junger Kommissar noch mit großem Elan bei der Arbeit und bekam plötzlich die Chance, das Gelernte umzusetzen und einen Mörder zu fassen. Mein erster Fall war außergewöhnlich. Er bot mir die Möglichkeit, mich zu beweisen. Ein hoher muslimischer Offizier war mit gebrochenem Genick in einem Korb an der Stadtmauer gefunden worden. Er hing an der Stelle, an der - so will es die Legende - der Apostel Paulus nach seiner Bekehrung aus Damaskus geflüchtet war. Ich fand heraus, dass der Tote, bevor er zum Islam übertrat, in einem Kloster gelebt hatte. Dort trug er den Namen Paulus und gründete einen Geheimbund sowohl gegen die Klosterleitung als auch gegen die Amtskirche. Seine Sippe stand in einer Blutfehde mit einer anderen christlichen Familie. Offenbar handelte es sich also um eine blutige Abrechnung.
Der Geheimdienst aber sah in dem Fall eine willkommene Gelegenheit, mit Regimegegnern unter den hohen Offizieren aufzuräumen. Er zog den Fall an sich, und nach einem Schauprozess wurden die Offiziere hingerichtet.
Ich recherchierte in meiner Freizeit weiter, ohne zu ahnen, dass mich mein Adjutant Mansur, ein schmieriger Unteroffizier, bespitzelte und verriet. Ich werde den Tag mein Leben lang nicht vergessen. Um die Ermittlung in aller Ruhe abzuschließen, hatte ich zwei Wochen Urlaub genommen. Dann hatte ich den Fall geknackt.
Ich kam mit den Dokumenten, die den Mörder eindeutig überführten, ins Büro, um sie meinem Chef mit geschwellter Brust auszuhändigen. Während er die Unterlagen kaltblütig in den Aktenvernichter schob, teilte er mir mit, der Fall sei doch längst abgeschlossen. Indem ich die Recherchen weitergetrieben hätte, habe ich gegen das Verbot des Geheimdienstes verstoßen und würde an die jordanische Grenze strafversetzt, degradiert zum Zollpolizeibeamten.
Ich bekam einen fast tödlichen Schreck. Ein neuer Kommissar saß bereits in meinem Büro. Ich weiß nicht mehr, wie ich lebend aus dem Gebäude der Kriminalpolizei gelangte. Eine kleine Hoffnung erstarb in einer fernen Ecke meines Herzens.
Zwei Tage später stand ich an der staubigen jordanischen Grenze. Mein Traum von einer Karriere als Kommissar lag in Trümmern. Zwei Wochen später geriet ich in Streit mit meinem Kollegen, Leutnant Feissal, der schamlos Bestechungsgelder von Lastwagenfahrern entgegennahm, um sie dann ohne Kontrolle passieren zu lassen. Eine Stunde später rief mich der Chef der Zollstation zu sich, ein hässlicher Oberst mit vernarbtem Gesicht und Eunuchenstimme.
Er war äußerst freundlich zu mir und verteidigte den korrupten Kollegen als anständigen, kollegialen Menschen. Der Chef erzählte mir, dass er wie ich zehn Jahren zuvor strafversetzt worden sei. „Und warum?“, fragte er. „Weil“, fuhr er fort, ohne meine Antwort abzuwarten, „weil ich den Sohn eines Ministers geohrfeigt habe, der im Begriff war, ein Mädchen zu vergewaltigen.“Seitdem habe er sein Vertrauen in Staat und Justiz verloren …
Wie ich sei er widerwillig hierhergekommen, aber siehe da, er sei in einer Goldgrube gelandet. „Also nehme ich das Geld und drücke beide Augen zu“, schloss er.
Mit freundlicher Stimme zeigte er mir zwei Möglichkeiten auf: Entweder ich machte mit und sicherte mir eine gute Rente oder ich würde nach einer angeblichen Schießerei mit Schmugglern mit einem Loch in der Schläfe am Straßenrand enden – einer Schießerei, die nicht stattfand. „Egal, ob du ein Petzer oder ein Heiliger bist. Wer das Überleben der Familien meiner Beamten infrage stellt, gehört erschossen“, sagte er ernst.
Ich dachte, ich bin im Film. Ausgerechnet der Chef der Zollbehörde zwingt mich, mein Land um den Zoll zu bringen.
Verführerisch fuhr er fort: „Ein Drittel der Beute bekomme ich, ein Drittel gehört dir und deinem Kollegen Feissal und das letzte Drittel wird unter den acht Unteroffizieren aufgeteilt.“
Ich zögerte nur eine Nacht. Am Ende der ersten Woche hatte ich hundert Dollar. Das war fast so viel wie mein Monatsgehalt als Polizeioffizier. Mein Kollege Feissal gab mir den Rat, das Geld gegen Goldmünzen einzutauschen. Sie würden an Wert gewinnen. »14. Fortsetzung folgt