Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie sicher sind unsere Arbeitsplätze noch?
Firmen wie MAN bauen massenhaft Stellen ab. Der Verlust solcher Industrie-Jobs ist gefährlich. Die Gewerkschaften fordert das besonders heraus
Am Anfang stehen Drohungen. Unternehmensleitungen kündigen an, in einem derart hohen Maße Stellen zu streichen, dass Beschäftigten und vielen weiteren Menschen in der Region zunächst die Luft wegbleibt. So hat die Führung des Augsburger Motorenbauers MAN Energy Solutions angekündigt, allein am Augsburger Hauptsitz bis zu 1800 von rund 4000 Arbeitsplätzen abbauen zu wollen. Es ist leicht zu erahnen, wie sich die Mitarbeiter nach Bekanntwerden der Nachricht gefühlt haben. Das wirkt wie ein Schlag in die Magengrube. Im Zeitraffer läuft ein düsterer Film bei den Betroffenen ab: Wie alt bin ich? Finde ich in Corona-Zeiten noch einen neuen Job? Wie soll ich meinen Haus-Kredit abzahlen? Was ist mit den Leasingraten fürs Auto? Wie geht es mit meiner Familie weiter? Als wäre die Pandemie an sich nicht schon für viele psychologisch belastend genug, kommt Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes hinzu. Die MAN-Beschäftigten in Augsburg erleben das wie ihre Kollegen beim Luftfahrtzulieferer Premium Aerotec auf brutale Weise, auch wenn es Betriebsrat und Gewerkschaft bei MAN gelungen ist, die Zahl der zu streichenden Jobs auf rund 800 deutlich nach unten zu verhandeln. Dass in dem Fall Arbeitnehmervertreter zumindest einen Teilerfolg erzielen konnten, liegt vor allem an der Besonderheit des Volkswagen-Konzerns, zu dem MAN Energy Solutions gehört. Bei VW sind Betriebsräte so mächtig wie Manager, was mit dem hohen Organisationsgrad der Beschäftigten zusammenhängt. Eine Volkswagen-Story lautet, neue Mitarbeiter in Wolfsburg müssten zunächst ins Gewerkschafts- und dann erst ins Personalbüro. Trotz der Macht der IG Metall im VW-Reich können Betriebsräte selbst dort das Streichen tausender Arbeitsplätze nicht mehr verhindern. Das hat sich auch bei der VW-Tochter Audi gezeigt. Die Job-Maschine der vergangenen Jahre muss kräftig bluten. Tausende Arbeitsplätze werden, wenn auch ohne betriebsbedingte Kündigungen, gestrichen. Die meisten der in deutschen Metall-Unternehmen, ob bei VW, Audi, MAN, Daimler, Continental oder Bosch, aufgegebenen Stellen werden auf Jahre hinaus verschwinden. Es setzt also eine gefährliche Entwicklung des Verlustes zehntausender Industriearbeitsplätze ein. Gerade starke Produktionsregionen wie Stuttgart und Augsburg leiden darunter besonders. Die Lage ist ernst, auch wenn sich die Dramatik vor allem dank des bewährten Instruments der Kurzarbeit (noch) nicht entsprechend in den Arbeitsmarktzahlen widerspiegelt. Doch die Erfahrung der 90er Jahre, als die deutsche Industrie durch die Globalisierung ebenfalls in eine tiefe Krise gerauscht ist, sollte die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft wachsam stimmen: Es lohnt sich, um jeden Industrie-Job, wie es die IG Metall derzeit in Schwerstarbeit tut, zu kämpfen. Denn gehen gut bezahlte Produktionsstellen verloren, leiden darunter viele: Dienstleister, Bäcker, Metzger, Autohäuser oder Bauunternehmen. Nun gilt es, die Industrie-Sinne der Politik zu schärfen. Die Zeit eines rund zehnjährigen, ungewöhnlich langen Aufschwungs hat manchen in vermeintlicher Sicherheit gewogen. Gefragt sind Politiker wie der einstige bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu, ein Arbeitsplatz-Fighter, der vor den Folgen einer schleichenden Deindustrialisierung gewarnt hat.
Gerade unsere Autobauer müssen demütiger werden. Zu lange haben sie Tesla unterschätzt. Nun baut der US-Rivale in der Nähe von Berlin ein Werk, in dem bis zu 500 000 Autos pro Jahr gebaut werden. Das ist mehr als ein Warnschuss. Die Zeit deutscher Auto-Überheblichkeit, wie sie ihren Gipfel im Diesel-Skandal fand, muss endlich vorbei sein.
Selbst bei VW bröckelt die Macht der Betriebsräte