Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wird das Friedensfest heidnisch?
Am diesjährigen Rahmenthema „Rituale“nehmen bibelfeste Christen Anstoß. Sie befürchten, dass die konfessionellen Ursprünge des Augsburger Feiertags völlig ins Abseits geraten
Wenigstens wird er nicht rituell mit Popcorn beworfen. Doch was Wolfgang Krauß auf der Sommerbühne im Annahof sieht, befremdet ihn: Ist das nun Kunst oder Religion oder beides?, fragt sich der Delegierte der Freikirchen in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK). Krauß wird Zeuge eines Heilungsrituals des afrobrasilianischen Candomblé-Kultes zu Ehren des Orixá Obulaie, ein Halbgott der Krankheit wie der Heilung. Die Aufführung der Berliner Tanzformation des Candomblé-Priesters Baba Murah eröffnete das diesjährige Rahmenprogramm des Friedensfestes, das sich dem Thema „Rituale“widmet.
Hat das, was an Programmbeiträgen so alles versammelt ist, noch etwas mit den Ursprüngen des Augsburger Friedensfestes von 1650 zu tun? Huldigen die Stadt und ihr Friedensbüro bei einzelnen Veranstaltungen kritiklos nichtchristlichen Kulten? Unter bekennenden Christen regt sich Unmut. „Das Augsburger Hohe Friedensfest und seine Geschichte sind zu wertvoll,
sie in eine beliebige esoterische Religiosität münden zu lassen“, schreiben Wolfgang Krauß und sieben Mitunterzeichner in einem offenen Brief an Oberbürgermeisterin Eva Weber, die sich dazu aber nicht äußert. Noch schärfer ausgedrückt heißt es: „Wir beobachten und beklagen eine Paganisierung des Friedensfestprogramms.“
Geben das afrobrasilianische Candomblé, die germanische Stadtgöttin Cisa und die Orakel- und Tarotkarten, die sich im Programmheft verteilen, dem christlichen Augsburger Friedensfest einen heidnischen Dreh? So weit geht der evangelische Stadtdekan Michael Thoma nicht. Als die Protestanten im Jahr 1650 das erste Friedensfest feierten, waren sie froh, in Augsburg wieder in Freiheit und Gleichberechtigung ihren Glauben leben zu können. In der Gegenwart kann das bedeuten, die religiös-kulturelle Vielfalt in der Stadt beim Friedensfest darzustellen. Das, was die vielen Zugewanderten hierher mitgebracht haben. Also auch ganz fremde Kulte.
„Ein bisschen anders“war Thoma aber bei der Eröffnung zumute. wir da erlebt haben, war nicht bloß eine Tanzdarbietung, es war ein religiöses Ritual, das auch auf das Publikum überschwappte. Das empfand ich als übergriffig, Zuschauer einzubeziehen, ohne dass sie das wollen oder vorgewarnt sind. Mit den Veranstaltern war es vorher anders abgesprochen.“
Der katholische Stadtdekan Helmut Haug, zugleich bischöflicher Beauftragter für Ökumene und Interreligiösen Dialog, meint: „Darüber sollten wir in der ACK und am Runden Tisch der Religionen ins Gespräch kommen.“Man könne fragen: Hat Candomblé beim Friedensfest einen Platz? War es ein geeigneter Auftakt für das Programm? Rundwegs lehnt es Haug nicht ab, darin auch indigene Kulte und Rituale aufzunehmen. „Auf einer Reise durch Brasilien machte ich die Erfahrung: Seien wir vorsichtig damit, als Christen andere Kulte zu verurteilen!“Auch in Hinblick darauf, wie viel Gewalt der indigenen Bevölkerung dort angetan wird.
Liest Haug allerdings im Programmheft vom Ritual der Kogi in der Sierra Nevada, die junge Priesum terkandidaten im Alter von drei Jahren von ihren Familien trennen und 18 Jahre in Dunkelheit halten, um sie an die neun Monate im Mutterleib zu erinnern, dann räumt er ein: „Es gibt auch Rituale, die Menschen schaden können. Dazu zähle ich die Beschneidung von Frauen.“Ein Ritual sei für ihn dann gut, wenn es Halt im Leben gibt und zu größerer Freiheit und Geistesweite beiträgt. Im Übrigen durchdringen sich die Kulte seit jeher. „Das Christentum hat viele heidnische Rituale integriert – denken wir nur an Lichterbräuche in der Weihnachtszeit.“So leicht gehe es nicht, hier säuberlich zu trennen. „Es regt sich niemand auf, wenn wir jedes Jahr den Fronleichnamsaltar vor dem Herkules aufbauen“, bemerkt Haug. Freilich sei auch vielen nicht bekannt, dass die frühen Theologen die antiken Mythen oft christlich umdeuten.
Und nun spielt beim Friedensfest noch Augsburgs heidnisch-germanische Stadtgöttin Cisa eine Rolle. Die Berliner Bildhauerin Danit ließ sich von dieser Frauenfigur zu ihrer Kunstinstallation „Sie ist bei uns“inspirieren – auf Einladung des städ„Was tischen Friedensbüros. Ein Meditationsort ist im Hollbau im Annahof entstanden.
Zwei archaische Frauenbüsten – afrikanischen und amerikanischen Aussehens – stehen auf Sockeln zueinander und dazwischen breitet sich aus weißem, gewellten Tuch ein Meer aus. „Das Leben kommt aus dem Wasser“, sagt Danit über das weibliche Element. Unter den Wellen birgt es auch verschiedene Frauenkörper. Eine überdimensionale Nähnadel mit Tau steht wie ein Mast darin und symbolisiert das Schaffen der Frauen als Zusammenfügen von Lebensfäden. Ein Ort künstlerischer Kraft ist das hier, aber keine religiöse Kultstätte (geöffnet Montag bis Samstag 10-12 und 16-18 Uhr, Anmeldung unter 0162/725 96 20, frauenfuerfrieden@gmail.com).
„Wir haben niemals beabsichtigt, jemanden mit dem Programm vor den Kopf zu stoßen“, beteuert Friedensbüroleiterin Christiane Lembert-Dobler. Mit dem Thema Rituale wollte man Verbindendes hervorheben – „wohl wissend, dass Rituale auch ausgrenzend wirken“.