Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Vom Scheidungsopfer zur Designerin
Tanja Müller stand nach der Scheidung vor finanziellen Problemen. Dann entschied sie sich dafür, Kleider zu entwerfen, obwohl sie weder zeichnen noch nähen konnte. Am Dienstagabend läuft eine Reportage über die Augsburgerin im ZDF
„Von jetzt auf gleich war die Ehe zu Ende und ich hatte ein gesperrtes Konto.“So beschreibt Tanja Müller aus Augsburg die Trennung von ihrem Mann und deren finanzielle Folgen vor einigen Jahren. Am Dienstagabend wird sie um 22.15 Uhr im ZDF in der Reportagereihe „37 Grad“von ihren Erfahrungen erzählen. Denn traditionelle Rollenbilder und die Versorger-Ehe samt der Gefahren der finanziellen Abhängigkeit und der Altersarmut sind nach wie vor ein großes Thema.
Die heute 52-jährige Augsburgerin gehörte vor wenigen Jahren, als ihr Fiasko nach der Trennung begann, zu den 63 Prozent der verheirateten Frauen zwischen 30 und 50 Jahren, deren Einkommen unter 1000 Euro lag (Quelle: Bundesfamilienministerium).
„Es zog mir fast den Boden unter den Füßen weg“, berichtet Müller. Ihre Söhne Moritz und Niklas sind heute 22 und 19 Jahre. Doch während der Trennung 2012 waren sie noch Kinder. „Ich hatte mir zwar ein Zubrot mit Englischkursen dazuverdient und war dabei, die My little English Box zu entwickeln“, erinnert sich die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin noch, aber das reichte nicht zum Leben.
Der Kindesunterhalt deckte die Kosten für die Kinder und einen Teil der Miete ab. Der Unterhalt, den sie für sich selbst bekam, fiel bald weg. Es mussten eine neue Wohnung und ein Job her. „Das waren schon sehr viele Töpfe, in denen ich damals gerührt habe.“Müller wurde aktiv, steckte sich Ziele und nahm sich einen Coach. „Ich hatte kein dickes finanzielles Polster, aber das Geld, das ich in den Coach investiert habe, war nicht verloren, sondern es war in mich selbst investiert.“Sie machte die Erfahrung, dass es nichts bringt, auf der Couch zu liegen und Trübsal zu blasen. „Je aktiver ich wurde, desto besser ging es mir. Ich merkte, dass die Berge im Kopfkino viel größer sind als in der Realität.“
boxte sich die heute taffe Geschäftsfrau durch sieben Jahre Scheidungskrieg, zog ihre beiden Söhne allein groß und stellte sich jeder Herausforderung. Als sie ihrem Coach Lauretta Hickman von der Idee mit ihren Reißverschlusskleidern vorschwärmte, sagte diese sofort: „Mach das. Das ist eine Superidee. Mach ein Projekt daraus.“
Die zweifache Mutter konnte aber weder zeichnen noch schneidern. Ihr neues Motto war demzufolge „Kann nicht heißt will nicht“. Also fertigte sie eine Zeichnung an und gab ihr erstes Kleid mit sieben Reißverschlüssen bei „Genäht in Augsburg“in Auftrag. RecyclingReißverschlüsse, Stoffe mit ÖkoZertifikat und die Schneiderin mussten bezahlt werden. Dafür verkaufte sie ihren Schmuck.
In einem Augsburger Frauennetzwerk lernte sie Gertrud „TruSo di“Hansel kennen und absolvierte bei ihr ein Unternehmertraining. „Anstatt Urlaube waren Seminare angesagt“, lacht sie. Denn ein Businessplan schreibe sich nicht von alleine und auch Marketing will gelernt sein. Tanja Müller netzwerkte, lernte Nicole Booss von BOcouture Hamburg kennen und bekam von ihr weitere wertvolle Tipps, wie etwa, dass sie eine Schnittdirektrice für ihre Kleider benötige und dass sie unbedingt auf Messen gehen müsse wie etwa die Room+Style in Dresden. Die weltweit größte Hutschau „Mut zum Hut“in Neuburg an der Donau wollte die „Simple Dress“-Kleider für die Modenschau.
Dort hat die Fernsehautorin Catherine von Westernhagen für das ZDF einen Teil der heutigen Sendung im vergangenen Jahr mit Tanja Müller gedreht. Weitere Drehorte waren ihr Showroom Simple Dress in der ehemaligen Gögginger Ackermann Spinnerei und auch die Räumlichkeiten der Augsburger Allgemeine, da Müller dort in der Sportredaktion arbeitet. Sie ist froh um ihren festen Arbeitsplatz, denn gerade in der Corona-Krise fallen ihr heuer die Einnahmen der Messebesucher weg.
Der Kontakt zum Fernsehsender kam über „Trudi“zustande. Denn das ZDF rief bei der Unternehmensberaterin an und suchte nach Frauen, die nach einer Trennung alleine mit den Kindern, ohne Geld dastanden und sich einen Coach genommen hatten. „Bei Trudi wurde natürlich auch gedreht“, freut sich die einstige Kursteilnehmerin Müller. Ihre wandelbaren flexiblen Kleider sind „Made in Europe“, da die Schneidermanufaktur nahe der deutschen Grenze liegt.
Die Ideen gehen der Unternehmerin nicht aus: „Ich habe tausend, aber jede Umsetzung nur einer einzigen Idee kostet Geld.“Insofern würde sie sich über einen Investor freuen. Ihre sportlich eleganten Reißverschluss-Kleider hat sie sich patentieren lassen. Vielleicht klappt es auch mal mit der Modemesse im Textilmuseum Augsburg.
Ganz günstig sind ihre Liebhaberstücke, die zwischen 250 und 750 Euro liegen, nicht. „Sie entsprechen einem neuen Umweltbewusstsein“, ist Müller überzeugt. Lieber Klasse statt Masse. Die Modestücke lassen sich beliebig untereinander kombinieren und sowohl als Kleid, Mantel, Rock und Blazer tragen. Zum Elternabend könne man sie ebenso anziehen wie ins Büro oder für einen festlichen Abend. „Sie sind eine Investition und kein Billigmodeartikel, der nach einer Saison wieder aus dem Kleiderschrank fliegt“, so die Designerin.
Auf die Fernsehreportage am Dienstagabend ist sie selbst schon sehr gespannt. Müller ist ein positiver Mensch, lacht viel und Aufgeben war nie eine Option für sie. Damit macht sie anderen Frauen Mut.