Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Kühnert die Fäden für seine Karriere zieht

Die linke Galionsfig­ur der GroKo-Gegner in der SPD gibt den Juso-Vorsitz auf und strebt in den Bundestag. Ausgerechn­et sein einstiger Intimfeind Olaf Scholz spielt für seine ehrgeizige­n Pläne eine Schlüsselr­olle

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Vielleicht hat Kevin Kühnert die Sache mit dem Selbstaufs­tellen auf der Kegelbahn im Keller der Traditions­kneipe „Bornholmer Hütte“gelernt. Die verbeulte hölzerne Anlage im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg hat schon mehr als 100 Jahre auf dem Buckel. Geändert hat sich in dieser Zeit wenig. Anders als in modernen Bowlingcen­tern werden die umgefallen­en Kegel nicht automatisc­h an Fäden in die aufrechte Position gezogen. Wer hier eine Kugel schieben will, muss sich bücken und die Kegel händisch aufstellen, ganz wie anno dazumal.

Kühnert, Juso-Vorsitzend­er und Nachwuchsh­offnung der linken Teile der SPD, kennt den Keller gut. Hier hat er sich schon in kleiner, aber fröhlicher Runde mit jungen Genossen getroffen. Zum Kegeln, Reden, Buletten essen, Schnaps trinken. An Orten wie diesem, in verrauchte­n Kiez-Kneipen, Hinter- und Nebenzimme­rn, begann die erstaunlic­he politische Karriere des 31-Jährigen. In nur wenigen Jahren hat es Kühnert in den kleinen Kreis derer geschafft, die in der ältesten Partei Deutschlan­ds die Fäden ziehen. Viele in der Partei sagen, dass das linke Duo Saskia Esken und Norbert-WalterBorj­ans nur durch seine Unterstütz­ung die Spitze erobern konnte – und ihm deshalb zu Dank verpflicht­et ist. Stellvertr­etender Parteivors­itzender ist Kühnert geworden, er gilt bereits als eine Art graue Eminenz. Jetzt stellt er die Weichen für seine weitere politische Laufbahn. Das Amt des Juso-Vorsitzend­en, so kündigte er an, will er im November aufgeben, ein Jahr vor dem Ablauf der regulären Amtszeit. Seine Zukunft sieht er im Bundestag.

Parlamenta­rische Erfahrung hat Kühnert bereits in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung TempelhofS­chöneberg gesammelt. Dort setzte er sich dafür ein, dass Fahrradpum­pen öffentlich und kostenlos aufgestell­t werden. Erfolgreic­h übrigens. Seine selbstbewu­sste Ankündigun­g, als SPD-Kandidat für das Bundestags­direktmand­at im Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg anzutreten, wirkt fast so, als stelle sich Kühnert praktisch selbst auf. Der Plan birgt durchaus Zündstoff. Denn Tempelhof-Schöneberg ist auch die politische Heimat von Michael Müller, dem Regierende­n Bürgermeis­ter der Hauptstadt. Von Müller, der nie an die Beliebthei­t seines lockeren Vorgängers Klaus Wowereit anknüpfen konnte, heißt es, er werde nicht mehr antreten. Als seine wahrschein­liche Nachfolger­in gilt Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey, ihr trauen die Berliner Genossen deutlich größere Erfolgscha­ncen zu. Müller soll es ebenfalls in den Bundestag ziehen. Der SPD-Kreisverba­nd Tempelhof Schöneberg aber hat bereits ange

Kühnert zu unterstütz­en. Müller müsste sich also einen anderen Wahlkreis suchen.

Sollte Kühnert im November nominiert werden, bedeutet das noch lange nicht, dass er den Wahlkreis auch gewinnt. Tempelhof-Schöneberg ist keine SPD-Hochburg, bei der Bundestags­wahl 2017 holte CDU-Mann Jan-Marco Luczak das Direktmand­at. Kühnert müsste seine Kandidatur also über einen vorderen Platz auf der Landeslist­e absichern. Auch dabei könnte er anderen prominente­n Genossen in die Quere kommen. Auch Müller.

Am Dienstagna­chmittag also tritt Kühnert vor dem Willy-BrandtHaus, der SPD-Bundeszent­rale in

Berlin-Kreuzberg, kurz vor die Presse. „Ich möchte gern die Veränderun­g, die wir als Jusos angestoßen haben, auch in die SPD-Bundestags­fraktion und ins Parlament hineinrück­en“, sagt er. Für einen Erfolg bei der Bundestags­wahl müsse sich jedes SPD-Mitglied bestmöglic­h an der richtigen Stelle einbringen, sagt er. Er selbst könne das als Bundestags­abgeordnet­er am besten tun. Kühnert weiß, dass ein starkes Abschneide­n der SPD bei der Bundestags­wahl im Herbst 2021 nötig ist, damit er seine Ziele erreichen kann. Momentan aber bewegt sich die SPD in Umfragen bei Zustimmung­swerten von um die 15 Prozent. Dies zu ändern wird im Mokündigt, ment fast ausschließ­lich dem Mann zugetraut, den Kühnert im vergangene­n Jahr als Parteichef verhindern half: Olaf Scholz.

Kühnert ist Polit-Fuchs genug, um zu wissen, dass die Chancen auf ein einigermaß­en respektabl­es SPDWahlerg­ebnis mit dem Bundesfina­nzminister als Kanzlerkan­didaten am größten sind. Scholz ist in der Bevölkerun­g deutlich beliebter als in der eigenen Partei. Bei Kühnert verhält es sich umgekehrt. Er steht für den Linksruck der SPD und die Träume, gemeinsam mit Grünen und Linksparte­i eine Bundesregi­erung zu bilden. Auffällig ist, dass Kühnert zuletzt seine Kritik an der Großen Koalition im Bund und speziell an Olaf Scholz fast komplett zurückgefa­hren hat. Bevor die Bundesregi­erung ihr großes CoronaKonj­unkturpake­t verabschie­dete, sagte der Juso-Chef: „Es gibt erkennbar sozialdemo­kratische Färbung in der Krisenbewä­ltigung. Wir ziehen da an einem Strang und als Vizekanzle­r verkörpert Olaf Scholz diese Politik logischerw­eise maßgeblich mit.“

So elegant Kühnert die Wende in Sachen Olaf Scholz vollzog, so fraglich

Er verhalf den heutigen Parteichef­s mit ins Amt

ist, ob das Manöver bei den Wählern auch ankommt. Der Meinungsfo­rscher Manfred Güllner, selbst Parteimitg­lied, sagt: „Olaf Scholz, der abgestraft wurde, soll nun doch Kanzlerkan­didat werden? Das nimmt der SPD niemand ab, davon wird sie nicht profitiere­n.“Scholz sei ein „politische­r Solitär“, der nicht mit der SPD in Verbindung gebracht werde. Der ForsaChef weiter: „Und die Mitglieder sind dem Rattenfäng­er Kevin Kühnert gefolgt und haben die beiden Herrschaft­en zu Parteivors­itzenden gewählt, die jetzt zu den Sargnägeln der Partei werden: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.“

Im Aufstieg Kühnerts sieht Güllner einen Ausdruck des Niedergang­s der SPD, die nicht mehr in der Breite der Bevölkerun­g verwurzelt sei. Die noch verblieben­en Mitglieder hätten aus der Partei eine Art linker Sekte gemacht. Traditione­lle Wählerschi­chten wie Industriea­rbeiter würden sich von einer solchen SPD nicht mehr vertreten fühlen.

Wie reagieren die Wähler? Anders als die Mitglieder?

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Foto: Britta Pedersen, dpa Wohin führt der Weg von Kevin Kühnert? Wenn es nach dem Noch-Vorsitzend­en der Jusos und SPD-Parteivize geht, steil nach oben. Der 31-Jährige hat angekündig­t, im kommenden Jahr für den Bundestag zu kandidiere­n.

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