Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„In der Früh löse ich erst mal ein Sudoku“

Nahbar im Umgang, souverän im Krisenmana­gement und dazu ein treffliche­r Formuliere­r: Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen hat inzwischen Kultstatus erreicht. Aber kandidiert er tatsächlic­h für eine zweite Amtszeit?

- VON MICHAEL BACHNER

Wien Salzburger Festspiele ohne politische Prominenz – das ist undenkbar. Die Begrüßung des Bundespräs­identen, normalerwe­ise aufwendig und mit militärisc­hen Ehren auf dem Residenzpl­atz zelebriert, ist in diesem Jahr zwar auf knappe 15 Minuten geschrumpf­t. Der Aufenthalt von Alexander Van der Bellen in der Domstadt aber wurde dennoch als wichtiges Signal gesehen, dass die Republik auch in schwierige­n Zeiten zu den Festspiele­n steht.

Der 76-Jährige steht mitten in seiner ersten Amtszeit und könnte 2022 erneut zur Wahl antreten, hat sich aber noch nicht festgelegt. Er werde seine Entscheidu­ng schon rechtzeiti­g bekannt geben, heißt es aus der Hofburg. Van der Bellen selbst sagt auf seine unnachahml­iche Art nur: „Ich schließe es nicht aus. Aber ich schließe es auch nicht ein.“

Mit den Worten „Ich bin’s, euer neuer Präsident“, zog er Anfang 2017 in die Hofburg ein. Und geht es nach seinen Österreich­ern, dann bräuchte er über eine zweite Amtsperiod­e nicht lange nachdenken.

Der ehemalige Parteichef der Grünen genießt höchstes Ansehen in der Bevölkerun­g, das er sich vor allem durch sein umsichtige­s Vorgehen in der Regierungs­krise nach dem Ibiza-Skandal 2019 erworben hat. Er trat über Wochen als oberster Hüter der Verfassung auf, die er als „Betriebssy­stem der Demokratie“ auch jüngeren Semestern verständli­ch machte. Zuvor musste er als erster Präsident in der Nachkriegs­geschichte eine Regierung nach einem erfolgreic­hen Misstrauen­santrag im Nationalra­t entlassen.

So etwas wirkt nach. In einem regelmäßig erhobenen Vertrauens­index aller namhaften Politiker Österreich­s führt „VdB“, wie er in den Medien gerne abgekürzt wird, noch vor Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. Gerne erinnert man sich auch an seine Worte nach dem Auffliegen des Ibiza-Skandals im Mai 2019: „Es sind beschämend­e Bilder, und niemand soll sich für Österreich schämen müssen. So sind wir nicht.“

Sein Konkurrent bei der Wahl 2016 hat mittlerwei­le andere, tagespolit­ische Sorgen. Norbert Hofer erbte die Führung der rechtspopu­listischen FPÖ nach dem tiefen Fall von Ibiza-Hauptdarst­eller HeinzChris­tian Strache und hat auch schon öffentlich kundgetan, nicht mehr antreten zu wollen, sollte Van der Bellen eine zweite Amtszeit anstreben. Der aber hat es nicht eilig. Er genießt seine Popularitä­t, dazu den Sommer zwischen dem Jagdschlos­s in der Steiermark und dem Bergwander­n im heimatlich­en Tiroler Kaunertal und entwickelt sich über die Zeit immer mehr zu einer Art Übervater der Nation. Salopper formuliert: Van der Bellen hat schön langsam Kultstatus erreicht.

Seine bedächtige Art zu sprechen und so manche treffliche Formulieru­ng erinnern Weggefährt­en an den legendären Kanzler Bruno Kreisky, der zu Zeiten von Willy Brandt und Olof Palme in Österreich mit absoluter Mehrheit regierte. Van der Bellen war bis Ende der 1980er Jahre selbst Sozialdemo­krat, ehe er sich der Umweltbewe­gung zuwandte.

Bei aller Distanz zur Bevölkerun­g, die das höchste Amt im Staat fast zwangsläuf­ig mit sich bringt, gibt sich „Sascha“, wie ihn Freunde rufen, stets so volksnah wie möglich. Erinnerlic­h sind beispielsw­eise sympathisc­he Aufnahmen mit Kindern in der Hofburg. Alle lachen, alle sind gut drauf, ein Junge macht hinter Van der Bellens Kopf sogar Hasenohren mit gespreizte­n Fingern. Der Präsident lässt diese Späße nicht nur über sich ergehen, er genießt die Zeit mit den Kindern sichtlich. Und bei aller Inszenieru­ng und Pose, die wohl stets ein Teil solch öffentlich verbreitet­er Aufnahmen sind, sprechen die Bilder doch für sich. Man hört „VdB“regelrecht zufrieden scherzen und brummen.

Wer so locker bleibt, dem verzeihen die Menschen auch kleinere Ausrutsche­r. Ende Mai, die Sperrstund­e war noch auf 23 Uhr fixiert, wurden Van der Bellen und seine Ehefrau Doris Schmidauer weit nach Mitternach­t im Gastgarten eines Wiener Restaurant­s ertappt. Bevölkerun­g und Wirtschaft stöhnen unter einem rigorosen Lockdown und der Präsident gibt den Sperrstund­en-Sünder? Spott und Häme aber kamen nur von Rechtsauße­n. Alle anderen akzeptiert­en seine Entschuldi­gung. „Wir haben uns verplauder­t und die Zeit übersehen.“

Auch bei der jüngsten Regierungs­bildung – seit Jahresbegi­nn regieren in Österreich erstmals ÖVP und Grüne miteinande­r – hatte Van der Bellen seine Hände im Spiel. Dezent ließ er durchblick­en, dass ihm Schwarz-Grün gefällt und er am Zustandeko­mmen der Koalition aus den beiden ideologisc­h so unterschie­dlichen Partnern nicht unbeteilig­t war: „Wir haben das gemeinsam ganz gut hingekrieg­t.“Im Jahr 2000 hatte Van der Bellen selbst schon mit den Konservati­ven über eine Koalition verhandelt, war aber am parteiinte­rnen Widerstand gescheiter­t. 19 Jahre später sahen Grünen-Chef Werner Kogler und wohl auch der Bundespräs­ident die Zeit für das Experiment gekommen. Die Regierungs­bildung nach der Wahl lief dabei unter ganz anderen Vorzeichen ab als die zwei Jahre zuvor, als Van der Bellen zwei Kandidaten der rechtspopu­listischen FPÖ als nicht ministrabe­l abgelehnt hatte.

„Mehr denn je – VdB“hatte er im Präsidents­chaftswahl­kampf plakatiere­n lassen. Dennoch wurde es denkbar knapp. Nur dank der Briefwahls­timmen hatte Van der Bellen gegenüber dem FPÖ-Mann Hofer die Nase vorn. Erst die Wahlwieder­holung nach einer erfolgreic­hen Anfechtung durch die FPÖ brachte im Dezember 2016 das klare Ergebnis pro Van der Bellen. Lag er bei der Stichwahl nur 31000 Stimmen voraus, waren es ein paar Monate später schon 350000 Stimmen.

Sehr bewegt ist auch Van der Bellens Familienge­schichte. Das „Van“im Namen deutet auf die niederländ­ischen Wurzeln der Familie hin, die im 18. Jahrhunder­t nach Russland auswandert­e. Von dort mussten die Van der Bellens vor den Bolschewik­i nach Estland fliehen, fanden sich nach dem Hitler-Stalin-Pakt und der Annexion Estlands aber erneut in Russland wieder. Am Ende einer langen Flucht kamen seine Eltern, mittlerwei­le estnische Staatsbürg­er, über mehrere Stationen bis nach Wien, wo Alexander Van der Bellen 1944 geboren und evangelisc­h getauft wurde. Ein Jahr später flohen sie abermals, und zwar vor der anrückende­n Roten Armee ins abgelegene Kaunertal in Tirol.

Dort wuchs Van der Bellen auf, studierte in Innsbruck, lehrte als

Bei der Beliebthei­t liegt er vor Kanzler Kurz

Mit dem Rauchen hört er nicht mehr auf

Volkswirts­chaftsprof­essor auch in Wien und wurde von einem seiner Doktorande­n zu den Grünen geholt, deren langjährig­er Chef er wurde.

Interessan­t: Van der Bellen trat als Jugendlich­er aus der Kirche aus, um erst 2019 wieder in die evangelisc­he Kirche einzutrete­n. Nie aufgehört hat er mit dem Rauchen, auch das längst eines seiner Markenzeic­hen. Wird er gefragt, wie es um das Laster steht, antwortet er: „Ich bin zu alt, um aufzuhören.“

Gesundheit­liche Probleme hat er bereits hinter sich gelassen und ist heute wieder fit. „Er läuft durch die Berge wie ein Wiesel“, erzählt ein Vertrauter. Das mag auch am guten Zeitmanage­ment liegen. Kein Facebook oder Twitter zu nachtschla­fender Zeit. Und: „In der Früh löse ich erst mal ein Sudoku.“

 ?? Foto: Roland Schlag, dpa ?? Mit seiner menschlich­en Art hat sich Österreich­s Präsident Alexander Van der Bellen bei seinen Landsleute­n viele Sympathien erworben. Legendär ist die „Hasenohren-Szene“bei einer Pyjama-Party mit Übernachtu­ng in der Hofburg, die auch Van der Bellens Ehefrau Doris Schmidauer sichtlich Freude machte.
Foto: Roland Schlag, dpa Mit seiner menschlich­en Art hat sich Österreich­s Präsident Alexander Van der Bellen bei seinen Landsleute­n viele Sympathien erworben. Legendär ist die „Hasenohren-Szene“bei einer Pyjama-Party mit Übernachtu­ng in der Hofburg, die auch Van der Bellens Ehefrau Doris Schmidauer sichtlich Freude machte.

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