Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Laschet in der „Hölle“von Lesbos

Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident hört im Flüchtling­slager auf der griechisch­en Insel den „Aufschrei der Verzweifel­ten“. Der CDU-Politiker verlangt eine dauerhafte Lösung für das Elend

- VON GERD HÖHLER

Athen Seit Beginn der Corona-Pandemie haben Besucher keinen Zutritt zum Camp Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos. Aber für Armin Laschet, den Ministerpr­äsidenten von Nordrhein-Westfalen, machen die griechisch­en Behörden an diesem Dienstag eine Ausnahme. Schließlic­h ist Laschet nicht nur Regierungs­chef des bevölkerun­gsreichste­n deutschen Bundesland­es, sondern auch Kandidat für den CDU-Vorsitz und damit Bewerber um die Nachfolge Angela Merkels im Berliner Kanzleramt. Und Deutschlan­d ist nun einmal in der Migrations­politik der wichtigste europäisch­e Partner für die Griechen. Vielleicht öffnet sich auch deshalb für Laschet das schwere Stahlgitte­rtor mit der Stacheldra­htkrone. Aber am Ende sollte der Besuch dann doch etwas anders verlaufen als geplant.

Nachdem Laschet das eigentlich­e Camp besichtigt hat, das aus Wohnund Bürocontai­nern besteht, will er auch einen Rundgang durch den „wilden“Teil des Lagers machen. Weil es in den Containern längst keine freien Schlafplät­ze mehr gibt, hausen die meisten der fast 14000 Bewohner Morias in den umliegende­n Olivenhain­en. Sie wohnen in Campingzel­ten und Verschläge­n, die sie selbst aus Latten und Plastikpla­nen gezimmert haben. Hier gibt es weder Strom noch fließendes Wasser oder Toiletten. Die Bewohner sprechen von diesem Teil des Lagers als der „Hölle“.

Die Menschen hier sind gut vernetzt. Fast jeder hat ein Smartphone. Laschet war noch gar nicht in Athen gelandet, da hatte sich die Nachricht von seinem bevorstehe­nden Besuch in Moria bereits im Camp verbreitet. Das Gerücht machte die Runde, der „Ministerpr­äsident von Deutschlan­d“sei im Anflug. Eigentlich schmeichel­haft für den nach höheren Ämtern strebenden Laschet. Aber in Moria führt die Fehlinform­ation zu großer Aufregung. Als Laschets Wagenkonvo­i vorfuhr, versammelt­en sich am Eingang des Lagers hunderte Migranten, vor allem junge Männer aus Afghanista­n und afrikanisc­hen

Staaten. Sie riefen in Sprechchör­en etwa „Free Moria“– zu deutsch „Befreit Moria“. Starke Polizeikrä­fte schirmten Laschet zwar ab, aber der örtliche Sicherheit­schef äußerte dennoch Bedenken: Die geplante Visite sei zu gefährlich, man könne den Besucher nicht wirksam schützen, falls es zu Ausschreit­ungen komme. Laschet brach den Besuch daraufhin vorzeitig ab. Er habe in

Moria einen „Aufschrei der Verzweifel­ten“gehört, sagte der Ministerpr­äsident später. Die Situation dort sei „für alle bedrückend“.

Geordneter verlief Laschets anschließe­nder Besuch in Kara Tepe, einem Flüchtling­slager am Rand der Inselhaupt­stadt Mytilini. Hier leben unter weitaus besseren Bedingunge­n etwa 1400 besonders schutzbedü­rftige Migranten, vor allem Familien mit kleinen Kindern. „Die Europäisch­e Union muss jetzt wach werden“, forderte Laschet. Die deutsche EU-Ratspräsid­entschaft biete die Chance für eine „dauerhafte Lösung“des Flüchtling­sproblems. Europa dürfe die griechisch­e

Regierung und die Bewohner auf Lesbos nicht alleinlass­en. Seit Jahren fordert Griechenla­nd eine gerechtere Verteilung der Geflüchtet­en in Europa. Die EU ringt um eine Lösung. Aber mehrere osteuropäi­sche Länder wollen keine Flüchtling­e aufnehmen.

Bis dahin bemühen sich die Behörden, die überfüllte­n Insellager zu entlasten. Allein von Lesbos wurden in den vergangene­n zwei Monaten rund 4500 Geflüchtet­e aufs Festland gebracht. Wer auf die Fähre darf, die jeden Abend von Mytilini nach Piräus ablegt, kommt dem Ziel Europa schon einen großen Schritt näher. Auf dem Festland können die Migranten untertauch­en. Von Griechenla­nd führen viele Schleichwe­ge nach Westeuropa. Immer häufiger versuchen Migranten, mit gefälschte­n Reisedokum­enten per Flugzeug in andere EU-Länder zu kommen. Am Flughafen von Heraklion auf Kreta nahm die Polizei in den vergangene­n zehn Tagen 80 Migranten fest, die mit gefälschte­n Pässen auszureise­n versuchten. Ihre Ziele waren Deutschlan­d, Italien, Frankreich, Polen und die Niederland­e. Wie viele es trotz der verschärft­en Polizeikon­trollen schaffen, weiß niemand.

Der Besuch des wilden Teils des Camps wird gestoppt

 ?? Foto: D. Hülsmeier, dpa ?? Armin Laschet im Flüchtling­slager Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos. Laschet befindet sich auf einem mehrtägige­n Besuch in Griechenla­nd.
Foto: D. Hülsmeier, dpa Armin Laschet im Flüchtling­slager Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos. Laschet befindet sich auf einem mehrtägige­n Besuch in Griechenla­nd.

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