Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Was wird aus Augsburgs Tor zum Weltall?
MT Aerospace leidet als Zulieferer für die europäische Ariane-Rakete so sehr unter den Corona-Folgen, dass sogar der Standort in Gefahr gerät. Unternehmens-Chef Steininger warnt vor Arbeitsplatzabbau und sieht die Politik in der Pflicht
Augsburg Anfang Februar hatten die Beschäftigten des Raumfahrt- und Luftfahrtzulieferers MT Aerospace noch aufgeatmet. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder war ins Werk nach Augsburg gekommen – und wurde als Retter vieler Arbeitsplätze gefeiert. Denn der Star-TrekFan hatte es mit Kanzlerin Angela Merkel geschafft, dass die Bundesregierung die entscheidende Summe von rund 140 Millionen Euro draufgepackt hat, sodass die Augsburger an der Weiterentwicklung des Konzeptes für die neue Trägerrakete Ariane 6 arbeiten können. Damit schien – kurz vor der Corona-Zeit – der Hightech-Standort mit heute noch rund 520 Arbeitsplätzen abgesichert zu sein. Raumfahrt-Freund Söder und Physikerin Merkel hatten ein Herz für die einst vom früheren CSU-Matador Franz Josef Strauß angeschobene Technologie gezeigt.
Doch Strauß-Bewunderer Söder muss sich nun wohl wieder auf eine MT-Aerospace-Mission begeben. Denn Management und Beschäftigte des Werkes fordern politische Unterstützung ein. UnternehmensChef Hans Steininger wählt am Dienstag drastische Worte im Gespräch mit unserer Redaktion, um die prekäre Lage der Firma zu beschreiben: „Wenn nicht bis Herbst für uns positive Entscheidungen fallen, stehen gut 100 Arbeitsplätze auf der Kippe, ja irgendwann ist sogar der Standort gefährdet.“
Schon vor Corona hatte MT Aerospace beschlossen, etwa 80 von einst 600 Stellen sozial verträglich abzubauen. Etwa drei Viertel der Arbeitsplätze sind bereits weggefallen. Der Einschnitt ist das Resultat des Übergangs von der WeltraumRakete Ariane 5 auf das deutlich günstigere Nachfolgemodell Ariane 6. Die Produktion der künftigen europäischen Rakete wird in einem erheblich höheren Maße automatisiert, sodass für die Fertigung weniger Menschen notwendig sind. Der Augsburger Weltraum-Standort ist mit rund zehn Prozent am Auftragsvolumen des neuen Satelliten-Lastenesels beteiligt. In dem Werk entstehen die Außenhaut der Rakete und Treibstofftanks.
Der für 2020 und die beiden Folgejahre geplante immer steilere Produktionshochlauf der Ariane 6 wird jedoch so nicht stattfinden, auch weil sich der Erstflug immer weiter nach hinten verschiebt. Vor Ausbruch der Corona-Pandemie war das Ereignis noch für dieses Jahr geplant. Nun wird die zweite Jahreshälfte 2021 angepeilt. Für den schwäbischen Standort ist das fatal. Denn bis auf kleine Teile ist die Produktion für das Vorgängermodell Ariane 5 ausgelaufen. Wenn die 6erVariante im kommenden Jahr nur einmal und 2022 vielleicht zwei Mal abhebt, also deutlich weniger als ursprünglich vorgesehen, gerät MT Aerospace in Not. Der Firmen-Chef warnt: „Wir haben dann ein massives Auslastungsproblem für die Augsburger Produktion.“Darauf hat das Unternehmen mit Kurzarbeit reagiert und will das Mittel der Arbeitszeitreduzierung ausweiten.
MT Aerospace durchläuft auch mit dem zweiten großen Auftraggeber, nämlich Airbus, eine heftige Krise, weil der Flugzeugbauer dramatisch weniger Maschinen baut. Das bekommt die Firma als Lieferant von Wassertanks für die Flieger deutlich zu spüren. Hier sind die Aufträge um über 50 Prozent eingebrochen. Umso wichtiger wäre es, dass der Raumfahrtbereich wieder eine Perspektive bekommt. Doch noch häufen sich die Hindernisse: Die Betreiber des europäischen Weltraum-Bahnhofs Kourou im südamerikanischen FranzösischGuayana spüren erheblich die Auswirkungen der Pandemie. Von den dort normalerweise rund 600 Mitarbeitern, die für Starts von ArianeRaketen verantwortlich sind, sollen nur etwa 100 vor Ort sein. Ähnlich wie in Brasilien breitet sich Corona auch in Französisch-Guayana rasant aus, was auch zum Aufschub von Raketenstarts beiträgt.
Damit nicht genug, verschiebt sich zudem die weitere Entwicklung des neuen Raketentyps immer mehr nach hinten. Dadurch entstehen für MT Aerospace Mehrkosten, schließlich ist das Unternehmen an der Verbesserung der Ariane 6 finanziell beteiligt. Steininger meint: „Diese Mehrkosten können wir aus eigener Kraft nicht decken. Die Lage ist dramatisch.“Der Manager fordert wie der bei der Gewerkschaft IG Metall für die Raumfahrt zuständige Vorstand Jürgen Kerner ein rasches Handeln auf europäischer Ebene: „Den an dem Ariane6-Programm beteiligten Unternehmen muss durch die Bezahlung der Mehrkosten für die Entwicklung finanziell geholfen werden.“Die europäische Raumfahrtagentur ESA müsste demnach Mittel an Anteilseigner wie MT Aerospace früher freigeben, um die Existenz der Industrie abzusichern. Hierzu bedarf es, wie es in Raumfahrtkreisen heißt, des bewährten Engagements von Söder und Merkel. Der Druck auf die Politik, der Raumfahrtbranche zu helfen, ist groß: Ohne ein Ariane-6-System wären die Europäer von Amerikanern, Russen und Chinesen abhängig, wenn sie Satelliten ins All schießen wollen.