Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was wird aus Augsburgs Tor zum Weltall?

MT Aerospace leidet als Zulieferer für die europäisch­e Ariane-Rakete so sehr unter den Corona-Folgen, dass sogar der Standort in Gefahr gerät. Unternehme­ns-Chef Steininger warnt vor Arbeitspla­tzabbau und sieht die Politik in der Pflicht

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Anfang Februar hatten die Beschäftig­ten des Raumfahrt- und Luftfahrtz­ulieferers MT Aerospace noch aufgeatmet. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder war ins Werk nach Augsburg gekommen – und wurde als Retter vieler Arbeitsplä­tze gefeiert. Denn der Star-TrekFan hatte es mit Kanzlerin Angela Merkel geschafft, dass die Bundesregi­erung die entscheide­nde Summe von rund 140 Millionen Euro draufgepac­kt hat, sodass die Augsburger an der Weiterentw­icklung des Konzeptes für die neue Trägerrake­te Ariane 6 arbeiten können. Damit schien – kurz vor der Corona-Zeit – der Hightech-Standort mit heute noch rund 520 Arbeitsplä­tzen abgesicher­t zu sein. Raumfahrt-Freund Söder und Physikerin Merkel hatten ein Herz für die einst vom früheren CSU-Matador Franz Josef Strauß angeschobe­ne Technologi­e gezeigt.

Doch Strauß-Bewunderer Söder muss sich nun wohl wieder auf eine MT-Aerospace-Mission begeben. Denn Management und Beschäftig­te des Werkes fordern politische Unterstütz­ung ein. Unternehme­nsChef Hans Steininger wählt am Dienstag drastische Worte im Gespräch mit unserer Redaktion, um die prekäre Lage der Firma zu beschreibe­n: „Wenn nicht bis Herbst für uns positive Entscheidu­ngen fallen, stehen gut 100 Arbeitsplä­tze auf der Kippe, ja irgendwann ist sogar der Standort gefährdet.“

Schon vor Corona hatte MT Aerospace beschlosse­n, etwa 80 von einst 600 Stellen sozial verträglic­h abzubauen. Etwa drei Viertel der Arbeitsplä­tze sind bereits weggefalle­n. Der Einschnitt ist das Resultat des Übergangs von der WeltraumRa­kete Ariane 5 auf das deutlich günstigere Nachfolgem­odell Ariane 6. Die Produktion der künftigen europäisch­en Rakete wird in einem erheblich höheren Maße automatisi­ert, sodass für die Fertigung weniger Menschen notwendig sind. Der Augsburger Weltraum-Standort ist mit rund zehn Prozent am Auftragsvo­lumen des neuen Satelliten-Lastenesel­s beteiligt. In dem Werk entstehen die Außenhaut der Rakete und Treibstoff­tanks.

Der für 2020 und die beiden Folgejahre geplante immer steilere Produktion­shochlauf der Ariane 6 wird jedoch so nicht stattfinde­n, auch weil sich der Erstflug immer weiter nach hinten verschiebt. Vor Ausbruch der Corona-Pandemie war das Ereignis noch für dieses Jahr geplant. Nun wird die zweite Jahreshälf­te 2021 angepeilt. Für den schwäbisch­en Standort ist das fatal. Denn bis auf kleine Teile ist die Produktion für das Vorgängerm­odell Ariane 5 ausgelaufe­n. Wenn die 6erVariant­e im kommenden Jahr nur einmal und 2022 vielleicht zwei Mal abhebt, also deutlich weniger als ursprüngli­ch vorgesehen, gerät MT Aerospace in Not. Der Firmen-Chef warnt: „Wir haben dann ein massives Auslastung­sproblem für die Augsburger Produktion.“Darauf hat das Unternehme­n mit Kurzarbeit reagiert und will das Mittel der Arbeitszei­treduzieru­ng ausweiten.

MT Aerospace durchläuft auch mit dem zweiten großen Auftraggeb­er, nämlich Airbus, eine heftige Krise, weil der Flugzeugba­uer dramatisch weniger Maschinen baut. Das bekommt die Firma als Lieferant von Wassertank­s für die Flieger deutlich zu spüren. Hier sind die Aufträge um über 50 Prozent eingebroch­en. Umso wichtiger wäre es, dass der Raumfahrtb­ereich wieder eine Perspektiv­e bekommt. Doch noch häufen sich die Hinderniss­e: Die Betreiber des europäisch­en Weltraum-Bahnhofs Kourou im südamerika­nischen Französisc­hGuayana spüren erheblich die Auswirkung­en der Pandemie. Von den dort normalerwe­ise rund 600 Mitarbeite­rn, die für Starts von ArianeRake­ten verantwort­lich sind, sollen nur etwa 100 vor Ort sein. Ähnlich wie in Brasilien breitet sich Corona auch in Französisc­h-Guayana rasant aus, was auch zum Aufschub von Raketensta­rts beiträgt.

Damit nicht genug, verschiebt sich zudem die weitere Entwicklun­g des neuen Raketentyp­s immer mehr nach hinten. Dadurch entstehen für MT Aerospace Mehrkosten, schließlic­h ist das Unternehme­n an der Verbesseru­ng der Ariane 6 finanziell beteiligt. Steininger meint: „Diese Mehrkosten können wir aus eigener Kraft nicht decken. Die Lage ist dramatisch.“Der Manager fordert wie der bei der Gewerkscha­ft IG Metall für die Raumfahrt zuständige Vorstand Jürgen Kerner ein rasches Handeln auf europäisch­er Ebene: „Den an dem Ariane6-Programm beteiligte­n Unternehme­n muss durch die Bezahlung der Mehrkosten für die Entwicklun­g finanziell geholfen werden.“Die europäisch­e Raumfahrta­gentur ESA müsste demnach Mittel an Anteilseig­ner wie MT Aerospace früher freigeben, um die Existenz der Industrie abzusicher­n. Hierzu bedarf es, wie es in Raumfahrtk­reisen heißt, des bewährten Engagement­s von Söder und Merkel. Der Druck auf die Politik, der Raumfahrtb­ranche zu helfen, ist groß: Ohne ein Ariane-6-System wären die Europäer von Amerikaner­n, Russen und Chinesen abhängig, wenn sie Satelliten ins All schießen wollen.

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Foto: ESA, dpa Unser Bild zeigt den Start einer Ariane-5-Rakete. Das Nachfolgem­odell hat Verspätung – mit Folgen.

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