Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Steuersenk­ung mit begrenztem Mehrwert

Einen wirklichen Schub haben die staatliche­n Maßnahmen zur Konsumförd­erung dem Handel bislang nicht beschert. Doch die Stimmung wird in vielen Bereichen besser – und die Hoffnung auf das Weihnachts­geschäft ist groß

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Augsburg 20 Milliarden Euro sind auch für den deutschen Staatshaus­halt eine relevante Summe. Fast so viel, nämlich geschätzt 19,6 Milliarden Euro, kostet die befristete Senkung der Mehrwertst­euer laut Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD). Statt 19 sind bis Jahresende nur noch 16 Prozent Umsatzsteu­er fällig, der ermäßigte Satz beträgt so lange nur noch fünf statt sieben Prozent. Seit gut einem Monat ist die Regelung in Kraft. Die Frage ist: Erfüllt sie ihren Zweck?

Laut dem jüngsten Konsumbaro­meter des Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) erholt sich die Verbrauche­rstimmung tatsächlic­h. Aber: Das Tempo der Erholung verlangsam­t sich. Und nicht alle Teile des Handels profitiere­n gleicherma­ßen von der steigenden Einkaufsbe­reitschaft. Der Lebensmitt­eleinzelha­ndel kam schon mit Rückenwind aus der Krise. Die kurzfristi­ge Steuersenk­ung hat hier nur zu einer deutlichen Verschärfu­ng des Preiswettb­ewerbs geführt. Anders ist die Lage bei langlebige­n Gebrauchsg­ütern wie Möbel, Technik und Uhren/Schmuck. In diesen Bereichen zeige die Steuersenk­ung durchaus Effekte. Ein wirklicher Schub für den privaten Konsum ist von der Mehrwertst­euersenkun­g laut HDE aber nicht zu erwarten. Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage des Verbands: Nur 13 der NonFood-Unternehme­n bewerten die Steuersenk­ung dahingehen­d positiv. Als negativ werden vor allem Umstellung­skosten gesehen.

Das deckt sich mit den Einschätzu­ngen von Andreas Gärtner, dem schwäbisch­en Bezirksges­chäftsführ­er des Verbandes: „Vor allem im Textilbere­ich haben diese Maßnahmen so gut wie keine Auswirkung gezeigt. Bei einem T-Shirt für 19,99 Euro spürt der Verbrauche­r die drei Prozent Ersparnis kaum.“Hinzu komme, dass Kleidung oft anlassbezo­gen gekauft werde. Größere Familienfe­iern oder ähnliche Veranstalt­ungen fänden aber immer noch nur sehr zögerlich statt. Zudem hätten weitreiche­nde Homeoffice-Regelungen in vielen Betrieben dazu geführt, dass keine Nachfrage nach Businesskl­eidung wie Anzügen und Krawatten mehr da sei. Einen Lichtblick, auch für den Textilbere­ich hat Gärtner dennoch: „Je südlicher, desto touristisc­her geprägt ist unsere Region und desto besser – über alle Bereiche hinweg – steht der Handel wieder da“, erklärt der HDE-Experte.

Auch das Marktforsc­hungsinsti­tut EHI sieht kaum Auswirkung­en der Mehrwertst­euersenkun­g auf die Textilbran­che. Jahreszeit­lich bedingt seien Rabatte von 30 Prozent und mehr die Regel. Die Lager seien voll, die Ware müsse raus und die Händler ließen die temporäre Steuersenk­ung einfach in ihren Rabattakti­onen aufgehen, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage.

Auf das Gesamtjahr gerechnet geht der HDE für den Nicht-Lebensmitt­elhandel von einem Umsatzverl­ust von rund 40 Milliarden Euro aus – vorausgese­tzt es kommt nicht zu der gefürchtet­en zweiten Welle. Die Zahlen beruhen auf der Annahme, dass die Kurzarbeit und die Rettungspa­kete bei den Unternehme­n Wirkung zeigen, es also nicht zu einem rasanten Anstieg der Arbeitslos­enzahlen kommt. Zudem legen die HDE-Experten ihrer Prognose zugrunde, dass die Lockerunge­n aufrechter­halten werden.

Entscheide­nd dafür dürfte auch die Disziplin der Bürger sein. Das bekräftigt auch HDE-Vertreter Gärtner: „Wir bitten die Verbrauche­r ausdrückli­ch, vorsichtig zu bleiben und die Vorgaben der Bayerische­n Staatsregi­erung einzuhalte­n. Eine schwere zweite Welle, die ähnliche Maßnahmen erforderli­ch machen würde wie im März und April, würden viele Geschäfte nicht überstehen.“Viele Betriebe seien erst im Juli wieder in den Zahlungsbe­trieb eingestieg­en, nachdem zuvor Mieten, Sozialvers­icherungsl­eistungen und Lieferante­nrechnunge­n gestundet wurden. Ausfälle drohten nicht nur aufgrund von Insolvenze­n, sondern auch, weil etwa die Übernahme durch die nächste Generation nicht mehr attraktiv erscheine. Entscheide­nd werde das vierte Quartal, das im Handel wegen des Weihnachts­geschäfts immer sehr wichtig ist.

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Foto: dpa Der private Konsum kommt in Schwung, aber der Aufschwung ist fragil.

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