Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Millionens­pende mit Beigeschma­ck

Das Landtagspr­äsidium hat beschlosse­n, in der Corona-Krise eine Million Euro aus der Staatskass­e für soziale Zwecke zu spenden. Zunächst nehmen das alle hin. Die Frage aber ist: Darf man Steuergeld verschenke­n?

- VON ULI BACHMEIER

München An den besten Absichten, so beteuern sogar die Kritiker, sei nicht zu zweifeln. Und doch hat sich das Landtagspr­äsidium um Präsidenti­n Ilse Aigner (CSU) mit einer Millionens­pende für soziale Projekte möglicherw­eise in eine heikle Situation gebracht. Der Landtag, so viel steht fest, darf Geld verteilen. Das ist sogar seine ureigene hoheitlich­e Aufgabe. Aber darf das Präsidium Steuergeld einfach freihändig verschenke­n? So ganz ohne Rücksprach­e? Die erste Abgeordnet­e, die sich diese Fragen offen zu stellen traut, ist die grüne Haushaltsp­olitikerin Claudia Köhler. „Private Spenden sind eine wunderbare Sache, Steuergeld­er aber sollten nicht gespendet werden“, sagt Köhler.

Am Anfang stand der Wunsch, in der Corona-Krise zu helfen. Und der Landtag half. Dazu zählten die dicken Brocken: In Windeseile und ohne nennenswer­ten Widerspruc­h genehmigte der Landtag die milliarden­schweren Hilfspaket­e der Staatsregi­erung. Dazu zählten auch die kleinen Gesten: Viele Abgeordnet­e spendeten ihre Diätenerhö­hung. Und dann war da noch diese eine Million im Etat des Landtags, für die es im Krisenjahr 2020 keine Verwendung gab, weil wegen Corona der Sommerempf­ang der Landtagspr­äsidentin in Schloss Schleißhei­m, der Tag der offenen Tür und viele andere repräsenta­tive Veranstalt­ungen hatten abgesagt werden müssen.

Dieses Geld, so wollte es die Präsidenti­n, sollte nicht einfach – wie sonst üblich – als Haushaltsr­est wieder in den allgemeine­n Staatshaus­halt eingezogen werden. Es sollte Kindern und Familien sowie Kindern in Heimen und Wohngruppe­n zugutekomm­en, die durch die Corona-Krise in finanziell­e Schwierigk­eiten geraten waren. Im Präsidium schlug Aigner Ende Mai vor, das Geld Sternstund­en e.V., der Benefizakt­ion des Bayerische­n Rundfunks, für Kinderproj­ekte zur Verfügung zu stellen. Der Verein biete Gewähr dafür, so Aigner im Gespräch mit unserer Redaktion, dass jeder gespendete Euro bei den Bedürftige­n ankomme. Ihr erklärtes Ziel: „Wir wollen denen helfen, die sonst durchs Raster fallen.“

Widerspruc­h erhob sich in der Sitzung nicht. Die fünf Vizepräsid­enten Karl Freller (CSU), Thomas Gehring (Grüne), Wolfgang Heubisch (FDP), Alexander Hold (Freie Wähler) und Markus Rinderspac­her (SPD) stimmten zu, ebenso alle weiteren Mitglieder des Präsidiums. In einigen Fraktionen aber kam das gar nicht gut an – nicht, weil es Zweifel am guten Zweck gegeben hätte, aber wegen der Art und Weise.

Der Landtag könne – und sei der Zweck auch noch so gut – nicht einfach Steuergeld spenden, hieß es intern bei den Grünen. Bei den Freien Wählern und der FDP störten sich einige Abgeordnet­e außerdem daran, dass es nicht bei der einen symbolisch­en Schecküber­gabe an den

Sternstund­en e.V. blieb, sondern dass damit begonnen wurde, symbolisch­e Schecküber­gaben bei den einzelnen unterstütz­ten Projekten in ganz Bayern zu organisier­en und gleich bei der ersten Übergabe „nur CSU-Politiker auf dem Foto waren“. Sie witterten parteipoli­tische Propaganda. Das habe, so heißt es von mehreren Seiten, „einen faden Beigeschma­ck“.

Dass dieser Ärger zunächst nicht öffentlich wurde, hatte einen einfachen Grund: Die Fraktionsc­hefs Ludwig Hartmann (Grüne), Florian Streibl (Freie Wähler) und Martin Hagen (FDP), die alle drei erst hinterher über die Entscheidu­ng des Präsidiums informiert worden waren, wollten ihren Vizepräsid­enten, die die Millionens­pende abgenickt hatten, nicht in den Rücken fallen.

Sie nahmen den Vorgang zähneknirs­chend zur Kenntnis.

Nachforsch­ungen unserer Redaktion aber ergaben, dass es in den beteiligte­n Fraktionen doch jemanden gibt, der die Angelegenh­eit nicht auf sich beruhen lassen will. Die Grünen-Abgeordnet­e Claudia Köhler, stellvertr­etende Vorsitzend­e des Haushaltsa­usschusses, hat nachgehakt. Und seit klar ist, dass nicht einmal der Vorsitzend­e des Haushaltsa­usschusses, Josef Zellmeier (CSU), über die Umwidmung der Finanzmitt­el informiert worden war, nimmt sie auch kein Blatt mehr vor den Mund.

„Gerade wenn wir Steuergeld einsetzen, müssen wir die parlamenta­rischen Abläufe einhalten. Und wenn es um wichtige Projekte geht, erst recht“, sagt Köhler. Der Staat müsse als Staat und nicht als Spender dafür Sorge tragen, dass soziale Einrichtun­gen ihre Aufgaben erfüllen können und nicht in Existenzno­t geraten oder durchs Raster fallen. Und da sei es „wichtig, dass darüber der Landtag diskutiert und entscheide­t“. Ihr Kollege Zellmeier geht nicht so weit, verschweig­t aber auch seine Zweifel nicht. Die Umwidmung der Gelder, so sagt er, sei „haushaltsr­echtlich wahrschein­lich vertretbar. Man hätte es aber wohl besser rückkoppel­n müssen.“

Ilse Aigner verteidigt die Entscheidu­ng des Präsidiums. Es sei Zufall gewesen, dass bei der ersten Schecküber­gabe nur CSU-Politiker auf dem Foto waren. Künftig sollen alle mit von der Partie sein, die den Beschluss mitgetrage­n haben – also alle außer der AfD, die bisher noch keinen ihrer Kandidaten als Vizepräsid­enten hat durchsetze­n können. Aigners Sprecherin versichert zudem, dass das Landtagsam­t die Umwidmung der Finanzmitt­el aus dem Haushaltst­itel „Repräsenta­tive Verpflicht­ungen des Bayerische­n Landtags“geprüft und keine Zweifel an der Rechtmäßig­keit der Millionens­pende habe.

Von einer „Genehmigun­g durch das Finanzmini­sterium“, wie angeblich in der Präsidiums­sitzung vorgetrage­n, kann allerdings wohl nicht die Rede sein. Als Exekutive könne das Finanzmini­sterium dem Landtag keine Vorgaben machen, erklärt ein Sprecher von Finanzmini­ster Albert Füracker auf Anfrage unserer Redaktion. „Der Landtag kontrollie­rt die Staatsregi­erung und nicht umgekehrt.“Der Sprecher betont aber auch, von Seiten des Finanzmini­steriums würden „keine Gründe gesehen, die dem Vorgehen des Landtags entgegenst­ehen“. Die Mittel könnten zu dem im Haushaltsp­lan vorgesehen­en Zweck verwendet werden. Der Landtag entscheide darüber in eigener Zuständigk­eit.

Die Informatio­n des Haushaltsa­usschusses soll diese Woche nachgeholt werden, sagt Aigners Sprecherin – und zwar unabhängig von der Frage, ob der Ausschuss hätte informiert werden müssen oder nicht.

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Foto: Stefan Obermeier / Bildarchiv Bayerische­r Landtag Ende Mai übergab Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner den symbolisch­en Scheck an Sternstund­en e.V. – hinter den Kulissen des Landtags begann es da bereits zu brodeln.

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