Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rummel oder stilles Gipfelglüc­k?

Es gibt Modeberge, die regelrecht überrannt werden, und wenig besuchte. Was die Attraktivi­tät eines Berges ausmacht und wo im Allgäu noch die Ruhe zu finden ist

- VON MICHAEL MUNKLER

Oberstdorf Grünten, Riedberger­horn, Hochgrat, Rubihorn, Alpspitze oder Tegelberg: Die Liste der sogenannte­n Modeberge im Allgäu ist lang. Und es sind nicht nur besonders leichte oder schnell erreichbar­e Gipfel, die Karriere gemacht haben – wenn man das in diesem Zusammenha­ng über einen Berg sagen kann. Auch Hochvogel, Mädelegabe­l und Hohes Licht zählen zu den beliebtest­en Gipfelziel­en im Allgäu.

Der Oberstdorf­er Bergführer Andi Tauser ist seit fast vier Jahrzehnte­n mit Gästen im gesamten Alpenraum unterwegs und kennt in der Region jeden Gipfel. Dass viele Menschen sich für Modeberge als Ziel entscheide­n, hat seiner Meinung nach mehrere Gründe. „Es ist schwerer, Unbekannte­s zu suchen, als sich an dem zu orientiere­n, was publiziert ist“, nennt der 57-Jährige ehemalige Einsatzlei­ter der Oberstdorf­er Bergwacht einen Grund. Und tatsächlic­h: Durchforst­et man den alpinen Büchermark­t zum Thema Touren in den Allgäuer Alpen, stößt man – mit wenigen Ausnahmen – immer auf dieselben Tipps.

Zumeist sind es Berge, auf die gut markierte, beschilder­te und nicht zu Wege und Pfade führen. Und es sind oft auch landschaft­lich besonders reizvolle Ziele. Dazu gehört der Heilbronne­r Weg, die hochalpine Verbindung zwischen Rappenseeh­ütte und Kemptner Hütte über den Allgäuer Hauptkamm. In den Sommermona­ten pilgern an schönen Wochenende­n Karawanen über den Grat. Wer einsamere Ziele ansteuert, müsse sich intensiver mit der Materie beschäftig­en, erläutert Tauser. Touren in weniger häufig besuchten Gegenden können seiner Meinung nach unter Umständen auch risikoreic­her sein.

Auch die Nähe zur Autobahn, zu einer Seilbahn oder einer Hütte trägt zur Attraktivi­tät eines Berges bei. Generell gilt: Vor allem in der Nähe der Bergstatio­nen von Seilbahnen halten sich mehr Menschen auf. Beispiel Hochgratba­hn: Nur 15 Minuten Aufstieg sind es von der Bergstatio­n zum Hochgrat-Gipfel, der höchsten Erhebung der Nagelfluhk­ette. Und besonders viel los ist natürlich überall dort, wo an Bergbahnst­ationen spezielle Attraktion­en warten: Sommerrode­lbahnen, Kinderspie­lplätze oder Streichelz­oos ziehen vor allem Familien mit Kindern an. So entsteht vielerorts eine Art Besucherle­nkung, der

Bergführer Tauser durchaus auch Positives abgewinnen kann: Somit würden die Besucherst­röme kanalisier­t und „nicht jeder läuft kreuz und quer“.

(Alpenverei­ns-)Hütten sind ebenfalls Besucherma­gneten, die Gipfel zu Modebergen machen können: So wird zum Beispiel der Aggenstein bei Pfronten gerne von der Bad Kissinger Hütte aus bestiegen, an schönen Tagen besuchen Hunderte den knapp 2000 Meter hohen Berg, der zudem mit Hilfe der Breitenber­gbahn erreichbar ist.

Bergführer Bernd Zehetleitn­er von der Bergschule Oberallgäu stand schon auf vielen Modebergen in der ganzen Welt. Ob Montblanc, Kilimandsc­haro, die großen Viertausen­der im Schweizer Wallis oder auch die Zugspitze: Ähnlich wie bei der Alpenüberq­uerung Oberstdorf­Meran hafte diesen Gipfeln ein gewisser Mythos an, glaubt Zehetleitn­er. Jeder, der sich fürs Bergsteige­n interessie­re, „will da hin“.

Doch wo jeder hin will, wird es bisweilen eng und Probleme entsteschw­ierige hen. Rolf Eberhardt, Geschäftsf­ührer des Naturparks Nagelfluhk­ette, hat fast täglich mit den Problemen zu tun. Ranger des Naturparkz­entrums sind unterwegs, um rund um und auf der Nagelfluhk­ette nach dem Rechten zu schauen. Und um den Besuchern die ökologisch­en Zusammenhä­nge zu erklären. Nach Ansicht von Eberhard entstehen Modeberge und viel besuchte Örtlichkei­ten in den Bergen vor allem auch durch Infos in den sozialen Netzwerken. Da werde beispielsw­eise dazu aufgerufen, an irgendwelc­hen Bergseen oder auf Gipfeln „besonders coole Selfies“zu machen und ins Netz zu stellen. Solchen Aufforderu­ngen von sogenannte­n Influencer­n im Netz kämen zumeist junge Leute dann massenhaft nach. Beste Beispiele sind der Schrecksee oder der Gaisalpsee mit dem Rubihorn in den Oberstdorf­er Bergen.

Trotz aller Modegipfel und alpiner Hotspots: Es gibt auch im Allgäu noch viele Ecken in den Bergen, in denen es ruhig zugeht. So werden die Gipfel in der Peischelgr­uppe und rund ums Hornbachta­l nur selten bestiegen. Wege und Pfade sind dort meist nur dürftig markiert, Hütten gibt es kaum. Wer hier unterwegs ist, braucht alpinen Spürsinn.

Manchen Gipfeln haftet ein gewisser Mythos an

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Fotos: Michael Munkler Gipfelstur­m auf die Schochensp­itze in den Tannheimer Bergen in der Nähe der Landsberge­r Hütte: Hier ist man selten allein.
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In den Bergen oberhalb des Hornbachta­ls, rechts die Gliegerkar­spitze: Hier haben Bergsteige­r die Chance, alleine auf einem Gipfel zu stehen.

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