Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Verschwörungsmythen greifen um sich
Innenminister Joachim Herrmann warnt davor, dass politische und religiöse Extremisten die Corona-Krise für die Verbreitung ihres Gedankengutes nutzen
München Die Corona-Krise und die damit einhergehende verstärkte Nutzung des Internets bieten Extremisten aller Art offenbar ein breites Einfallstor für die Verbreitung ihres Gedankenguts. Davor haben Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Burkhard Körner, am Dienstag gewarnt. Zwar seien die Ziele und Erklärungsmuster von Reichsbürgern, Rechts- und Linksextremisten unterschiedlich. Gemeinsam aber sei ihnen, dass sie staatliche Schutzmaßnahmen diffamieren, Verschwörungsmythen verbreiten und auf allen Ebenen versuchen, Unzufriedenheit mit dem demokratischen System zu schüren.
Dem Internet kommt dabei offenbar eine entscheidende Rolle zu. Rechtsextremistische Akteure etwa hätten im Klima der Verunsicherung, das durch die Corona-Krise entstanden sei, das Potenzial von Verschwörungstheorien und ihrer viralen Verbreitung im Netz rasch erkannt. „Im Internet ist die Anzahl der kursierenden Verschwörungsmythen sehr stark gestiegen. Dabei gilt: Selbst die absurdesten Mythen finden leider Anhänger“, sagte Herrmann. „Die Vielfalt der Verschwörungsmythen erweitert für Rechtsextremisten ihre Möglichkeiten, ihre Botschaften auch in Personengruppen zu senden, die für eine offen extremistische Ansprache bislang nicht empfänglich waren.“Nach Aussage des Innenministers werfen Rechtsextremisten dem Staat vor, „im Schatten der Pandemie die Bevölkerung völlig zu entrechten und gleichzeitig unbemerkt eine Massenimmigration mit dem Ziel der Marginalisierung des „deutschen Volkes“zu betreiben. Ihr Ziel sei es, das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit staatlicher Handlungen und in die Demokratie an sich zu untergraben. Damit einher gehe die Gefahr, dass sich ein wachsender Personenkreis radikalisiere.
Wie groß diese Gefahr ist, zeigt sich laut Verfassungsschutzpräsident Körner an einigen Beobachtungen der Sicherheitsbehörden. Zwar sei die Zahl der offen rechtsextremistischen Akteure während der Corona-Krise nicht nennenswert gestiegen. Die Zahl der Follower rechtsextremistischer Seiten im Netz aber liege deutschlandweit mittlerweile „im siebenstelligen Bereich“. Gleichzeitig wies Körner darauf hin, dass etwa drei Viertel der Tatverdächtigen, die im Zusammenhang mit Anschlägen auf Asylbewerberheime
ermittelt wurden, nicht dem harten rechtsextremistischen Bereich angehörten.
Auch Linksextremisten versuchen nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Corona-Krise für ihre Zwecke zu nutzen. „Die zur Eindämmung der Pandemie eingeleiteten Beschränkungsmaßnahmen werden von der Szene als ein Vorwand zum angeblichen Ausbau staatlicher Repression gewertet, die jeden Einzelnen seiner Freiheitsrechte berauben wolle“, sagte Herrmann. Dabei würden die bestehenden Ängste vor einer Rezession und dem Verlust von Arbeitsplätzen instrumentalisiert, um gegen eine angebliche Kumpanei zwischen Politik und „Kapital“zu hetzen.
Für einige Islamisten sei die Corona-Pandemie „die Strafe Gottes für die ,Ungläubigen‘, die ihrerseits versuchten, die wahren Muslime zu verfolgen und den Islam zu zerstören“. Insbesondere Jihadisten (Kämpfer im Heiligen Krieg) bezeichneten das Coronavirus oftmals als „Soldaten Allahs“, das die Ungläubigen in ihrem Kampf gegen die wahren Muslime schwächen soll.