Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Fanal der Menschheitsgeschichte
Der über alle Maßen verheerende Eintritt ins Atomzeitalter vor 75 Jahren muss noch heute eine Botschaft für uns haben. Denn die allumfassenden Gefahren nehmen zu. Und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Risiken eintreten
Eigentlich müsste diesen Worten ewig Nachhall gelten – bereits in ihnen selbst liegt ja, dass sie auch uns heute unverändert meinen: „Mit dem 6. August 1945, dem Hiroshima-Tage, hat ein neues Zeitalter begonnen: das Zeitalter, in dem wir in jedem Augenblicke jeden Ort, nein unsere Erde als ganze, in ein Hiroshima verwandeln können. Seit diesem Tage sind wir modo negativo allmächtig geworden; aber da wir in jedem Augenblick ausgelöscht werden können, bedeutet das zugleich: Seit diesem Tage sind wir total ohnmächtig. Gleich wie lange, gleich ob es ewig währen wird, dieses Zeitalter ist das letzte: Denn seine differentia specifica: die Möglichkeit unserer Selbstauslöschung kann niemals enden – es sei denn durch das Ende selbst.“
Die Worte stammen von Günther Anders, geboren 1902 in Breslau, als Jude vor den Nazis in die USA geflohen und dort als Philosoph und Publizist unter den legendären Exilanten um Thomas Mann und Brecht. Das Nachdenken über das, was vor nun 75 Jahren geschah, ließ ihn zum Vater der Anti-Atom-Bewegung werden, für den klar war: „Was wir bekämpfen, ist nicht dieser oder jener Gegner, der mit atomaren Mitteln attackiert oder liquidiert werden könnte, sondern die atomare Situation als solche. Da dieser Feind aller Menschen Feind ist, müssten sich diejenigen, die einander bisher als Feind betrachtet hatten, als Bundesgenossen gegen die gemeinsame Bedrohung zusammenschließen.“
Auch Albert Einstein bezeichnete es angesichts von Hiroshima und Nagasaki als den „einen schweren Fehler in meinem Leben“, dass er 1939 einen Brief an US-Präsident Roosevelt unterschrieben hatte, der gegen die deutsche Bedrohung die Atomwaffenforschung empfahl – und glaubte nun, nach dem über alle Maßen verheerenden Einsatz der Waffen, dass nur noch eine gemeinsame Weltregierung die Menschheit retten könne. Selbst Robert Oppenheimer, „Vater der Atombombe“, weil er jene US-Forschung im Manhattan-Projekt dann leitete: Nach eigener Aussage hatte er angesichts des ersten gelungenen Atom-, des „Trinity“-Tests noch (in seiner Vorliebe die „Bhagavad Gita“, eine zentrale Schrift des Hinduismus, zitierend) wie beseelt den Satz gedacht: „Now, I am become death, the destroyer of worlds” („Jetzt bin ich zum Tod geworden, der Zerstörer der Welten“) – nach dem tatsächlichen Einsatz der Waffe aber mahnte auch dieser Oppenheimer den Verzicht der Technologie an. So hätte dieses Fanal der Menschheitsgeschichte ein reinigendes sein könSo weit haben wir es getrieben – auf keinen Fall dürfen wir so weitermachen.
Stattdessen aber wurde damals die gegenseitige atomare Bedrohung zur Grundlage der Weltpolitik, die nur durch ein teuflisches Gleichgewicht den Sturz in den Abgrund, vielleicht überhaupt die Eskalation des Kalten Krieges vermied – aber etwa in der Kuba–Krise doch fast final scheiterte. Und stattdessen werden heute wieder Abrüstungsabkommen aufgekündigt, geilen sich national gesinnte Führer der stärksten Militärmächte an Paraden der Zerstörungskraft auf, in den USA, China, Russland – werden Staaten wie Iran oder Nordkorea allein durch die Möglichkeit einer atomaren Bewaffnung zu prekären Playern in der Weltpolitik. Und Donald Trump erinnert optisch an den Reiter auf der Rakete in Kubricks „Dr. Strangelove – oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“. Die nachhaltige Ächtung jedenfalls hat nicht stattgefunden.
Günther Anders schrieb: „Dies also ist das Grunddilemma unseres Zeitalters: Wir sind kleiner als wir selbst, nämlich unfähig, uns von dem von uns selbst Gemachten ein Bild zu machen. Insofern sind wir invertierte Utopisten: während Utopisten dasjenige, was sich vorstellen lässt, nicht herstellen können, können wir uns dasjenige, was wir herstellen, nicht vorstellen.“Und trifft damit uns Heutige weit über den Befund des Atom-Zeitalters hinaus.
Das zeigt das neue Buch des Direktors am Future of Humanity Institute der Universität Oxford, Nick Bostrom, Experte für die Zukunftsfragen der Menschheit also. Der Traktat heißt „Die verwundbare Welt“, die zentrale „VerwundbareWelt-Hypothese“lautet: „Wenn die technologische Entwicklung weitergeht, dann wird irgendwann eine Reihe von Fähigkeiten erlangt werden, die die Verwüstung der Zivilisation äußerst wahrscheinlich machen, falls diese den semi-anarnen: chischen Ausgangszustand nicht genügend weit hinter sich lässt.“
Problematisch „semi-anarchisch“– das zeigt bereits an, worin Bostrom die einzig mögliche Lösung sieht. Aber zuerst konkretisiert er die Problemlage: „Die Technikpolitik sollte nicht fraglos davon ausgehen, dass jeder technologische Fortschritt von Vorteil, völlige wissenschaftliche Offenheit immer am besten oder die Welt in der Lage ist, jeden möglichen Nachteil einer schon erfundenen Technologie zu kompensieren. Bereiche wie die synthetische Biologie könnten eine Entdeckung hervorbringen, die plötzlich den Massenmord demokratisiert, indem sie beispielsweise Einzelpersonen befähigt, hunderte Millionen Menschen mittels leicht zugänglicher Materialien umzubringen.“Und der Schwede, Jahrgang 1973, folgert: „Damit die Zivilisation solche Erfindungen bewältigen kann, bräuchte es ein System allgegenwärtiger Echtzeitüberwachung.“Er spricht von präventiver Polizeikraft im Konkreten, aber eben auch wieder von „Global Governance“. Bloß: Wer würde heute schon die Zukunft der Menschheit auf die Möglichkeit einer gemeinsamen Weltregierung der Vernunft wetten wollen? Siehe Klimakrise. Siehe auch die Gefahren der weltweiten Vernetzung, die uns aufs Neue als invertierte Utopisten zeigt: Was ist hier wohl stärker, dass wir nach Anders erneut „total ohnmächtig“werden oder dass wir nach Bostrom die „totale Kontrolle“erlangen?
Für den 1992 gestorbenen Günther Anders hing es vielmehr an jedem von uns selbst. Er verurteilte zutiefst, dass Hiroshima und Nagasaki nach ihrer Ausradierung durch „Little Boy“(kleiner Junge) bzw. „Fat Man“(fetter Mann) neu aufgebaut wurden. Das kam für ihn einer „doppelten Auslöschung“gleich: zunächst die Auslöschung der Städte selbst, dann die Auslöschung dieser Auslöschung und damit das Überdecken eines Fanals, das uns für immer alarmieren und in Angst vor uns selbst hätte versetzen sollen. Anders: „Habe keine Angst vor der Angst, habe Mut zur Angst. Auch den Mut, Angst zu machen. Ängstige deinen Nächsten wie dich selbst.“Denn gerade eine furchtlose, eine belebende, eine liebende Angst
Günther Anders warnte einst vor „aller Menschen Feind“
würde uns zur engagierten Mitsorge um uns und unsere Erde treiben.
Während seine Ex-Frau Hannah Arendt den Nazi-Bürokraten Eichmann als Beispiel der „Banalität des Bösen“porträtierte, begann Anders mit Claude Eatherly einen Briefkontakt, dem US-Luftwaffenpiloten, der das Wetter über Hiroshima geprüft und als perfekt für den Bombeneinsatz gemeldet hatte. Anders glaubte ihm seine Schuldgefühle, schrieb umstritten vom „unschuldig Schuldigen“, aber meinte doch vor allem: Wie der Fall zeigt, dass in einer bis zur Kriegsführung zunehmend von der Technik beherrschten Welt, die Frage des Menschen verloren geht – selbst beim Menschen selbst, der nur noch in Funktion ist. Auch dies sollte heute als Fanal gelten, sollte uns unendlich ins 21. Jahrhundert nachhallen. Und ängstigen. Anders schließlich: „Denjenigen aber, die, von der düsteren Wahrscheinlichkeit der Katastrophe gelähmt, ihren Mut verlieren, denen bleibt es übrig, aus Liebe zu den Menschen die zynische Maxime zu befolgen: ‚Wenn ich verzweifelt bin, was geht’s mich an! Machen wir weiter, als wären wir es nicht!‘“
Nick Bostrom zeigt heute die „verwundbare Welt“
» Die Bücher
- Günther Anders: Die atomare Drohung. Beck, 224 S., 11,90 ¤
- Nick Bostrom: Die verwundbare Welt. Suhrkamp, 112 S., 12 ¤