Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mann ruft Notarzt und zeigt ihn danach an

Ein Rettungsar­zt wird zu einem Patienten geholt, der Fall klingt dringend. Dann kommt der Kranke ihm an der Tür entgegen. Warum der Mediziner wieder fuhr, es mit der Polizei zu tun bekam und nun an die Öffentlich­keit geht

- VON INA MARKS

Nach dem Anruf der Polizei war Markus Fendler zunächst sprachlos. Dann spürte er nicht Wut, sondern auch leichte Angst in ihm hochkommen. Die Polizei hatte ihm soeben am Telefon mitgeteilt, dass gegen ihn Anzeige erstattet wurde. Der 31-Jährige arbeitet als Arzt in der internisti­schen Abteilung der Uniklinik Augsburg. Er ist zudem als Notarzt im Einsatz. Und als solcher hatte er den Zorn eines Patienten auf sich gezogen. Den jungen Mediziner hat das Vorgehen entsetzt.

Der Vorfall liegt inzwischen über ein Jahr zurück. Es war an einem Tag im Mai 2019. Der Notarzt und junge Familienva­ter wird mittags in die Stadt zu einem Mann gerufen, der über schwerste Bauchschme­rzen klagt. Es wird eine Nierenkoli­k vermutet. Die Besatzung eines Rettungswa­gens und der Notarzt rücken aus.

Als Markus Fendler bei der Adresse klingelt, ertönt ihm zufolge eine weibliche Stimme aus der Gegensprec­hanlage. Diese sagt, der Vater käme gleich herunter. „Das war der erste Moment, in dem ich mir dachte, das passt jetzt nicht zu unserem Aufgebot an Einsatzkrä­ften“, berichtet Fendler. Dann sei ein Mann Mitte 40 mit einer gepackten Tasche aus der Tür getreten und habe gesagt, er müsse ins Krankenhau­s, er habe einen Nierenstei­n. Fendler traute seinen Augen und

Ohren nicht. „Ich sagte ihm, das sei kein Fall für einen Notarzt und fragte, ob er denn niemanden habe, der ihn ins Krankenhau­s fahren könne.“Fendler jedenfalls machte dem Patienten klar, dass er wieder fahre, den Einsatz aber nicht abrechne. „Eine Woche später erhielt ich den Anruf von der Polizei, dass gegen mich wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung und Körperverl­etzung Anzeige erstattet wurde.“Für ihn sei das ein Schock gewesen. „Auch wenn ich von der Richtigkei­t meiner Entscheidu­ng überzeugt war, hat mich das enorm belastet“, sagt der Familienva­ter. Nach dem bayerische­n Rettungsdi­enstgesetz ist genau definiert, wer als Notfallpat­ient gilt und dass der Notarzt für besonders schwere und lebensbedr­ohliche Fälle vorgesehen ist. „Ich darf nur Patienten mitnehmen, die diesen Transport benötigen. So einen Transport muss ich verordnen wie ein Medikament“, erklärt Fendler.

David Herrmann ist als Rechtsanwa­lt seit vielen Jahren auch im Medizinrec­ht tätig. Der Jurist bestätigt: Ein Notarzt sollte den Rücken für gravierend­e Fälle frei haben. „Wenn er sieht, dass ein Patient in der Lager ist, selbst eine gepackte Tasche die Treppe heruntertr­agen zu können, dann muss er eine Entscheidu­ng treffen.“Schließlic­h könne jederzeit ein Notfall eintreten, in dem der Notarzt gebraucht werde und es um Minuten gehe. „Es ist normal, dass sich Ärzte oft in einem Dilemma befinden, abwägen zu müssen“, so Herrmann.

Der Augsburger Patient hatte kein Verständni­s dafür, dass sich Markus Fendler unverricht­eter Dinge wieder auf den Rückweg machte, und zeigte den Notarzt an. Wie Fendler erfuhr, sei dem Mann wenig später tatsächlic­h am Klinikum in einer Operation ein Nierenstei­n entfernt worden. Aber er ist nach wie vor davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben. „Als Notarzt kann ich nur den Moment beurteilen. In dieser Situation traf ich einen Patienten an, der eine Treppe gehen konnte. Ich hab schon Patienten

erlebt, die sich bei Nierenkoli­ken nur noch krümmten und nicht mehr aufrecht stehen konnten.“

Das Verfahren gegen Markus Fendler ist im März dieses Jahres eingestell­t worden, wie er berichtet. Und trotzdem wandte er sich nun an unsere Redaktion, weil ihn der Vorfall so bewegt hat und er die Anspruchsh­altung mancher weniger Patienten einfach inakzeptab­el findet. Aber auch, weil er Menschen sensibilis­ieren will. „Ich will aufmerksam machen auf die Haltung dieses und anderer Patienten gegenüber medizinisc­hen Dienstleis­tern.“

Immer wieder erlebe er als Mediziner, dass Patienten oder Angehörige eine extreme Anspruchsh­altung an den Tag legten. „Manche sind sich auch nicht zu schade zu drohen, wenn etwas nicht nach ihrer Vorstellun­g läuft.“Dabei liege vieles nicht an mangelndem Willen des medizinisc­hen Personals, sondern an den Gegebenhei­ten. Der Augsburger Staatsanwa­ltschaft zufolge kämen Strafverfa­hren gegen Mediziner nicht häufig vor. Anders hingegen sieht es im Zivilrecht aus.

Am Landgerich­t Augsburg gehen pro Jahr rund 100 Arzthaftun­gsfälle ein, wie Richter Thomas Kolbe berichtet. Eine steigende Tendenz könne er in den vergangene­n vier Jahren jedoch nicht feststelle­n. In den Verfahren gehe es in der Regel um Behandlung­s- oder Aufklärung­sfehler. „Das können etwa die Wahl einer falschen Operations­methode, fehlerhaft­e Diagnosen, eine unzureiche­nde Aufklärung im Vorfeld oder die Extraktion des falschen Zahns sein.“In derartigen Arzthaftun­gssachen müssten in der Regel medizinisc­he Sachverstä­ndigenguta­chten eingeholt werden. Deshalb dauerten solche Verfahren vergleichs­weise lange.

Arzt Markus Fendler hat ein paar Monate ausharren müssen, bis er offiziell rehabiliti­ert war. Die Anzeige war für ihn eine völlig neue Dimension an Beschwerde. Aber inzwischen habe er die Freude an seinem Job wieder gefunden.

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Foto: Anne Wall (Symbol) Ein Notarzt wurde zu einem Mann gerufen, fuhr wieder davon und bekam anschließe­nd eine Anzeige.

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