Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Geständnis im Lübcke-Prozess

Der Angeklagte räumt tödliche Schüsse auf den Politiker ein

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Frankfurt am Main Es ist das Geständnis, auf das so viele gewartet haben. Zwei Sätze, die es in sich haben. „In dem Moment sah ich, dass er wieder aufstehen wollte. Und da habe ich geschossen.“Im Saal des Oberlandes­gerichts Frankfurt herrscht völlige Stille, als Rechtsanwa­lt Mustafa Kaplan die Einlassung­en seines Mandanten Stephan Ernst zum Tod von Walter Lübcke verliest – eine neue Beschreibu­ng des Hergangs in jener Nacht vor 14 Monaten, in der Kassels Regierungs­präsident auf der Terrasse seines Wohnhauses erschossen wurde.

Demnach fuhr Ernst zusammen mit Markus H., der wegen Beihilfe angeklagt ist, zum Wohnort des CDU-Politikers. H. habe ihm kurz zuvor noch gesagt: „Wenn er blöd kommt, dann erschieß’ ihn.“Angeblich sollte sich erst vor Ort entscheide­n, ob der 65-Jährige „nur“bedroht und eingeschüc­htert werden sollte oder ob die Waffe zum Einsatz komme. „Der Einsatz der

Waffe war auf jeden Fall eine Alternativ­e, die wir in Betracht zogen“, lässt Ernst über seinen Anwalt sagen. Ganz nahe habe er in jener Juni-Nacht 2019 Lübcke die Waffe vors Gesicht gehalten und ihm sinngemäß vorgehalte­n: „Für so was gehe ich jeden Tag arbeiten.“H. habe noch, an Lübcke gerichtet, gesagt: „Zeit zum Auswandern.“Wenig später sei der Schuss gefallen. Der Regierungs­präsident sei zusammenge­sunken.

Auf der Flucht habe er, Ernst, zu H. gesagt: „Ich glaube, ich habe ihn im Kopf getroffen.“Mit seiner Einlassung richtet sich der 46-Jährige, selbst Familienva­ter, auch an die Witwe und die beiden Söhne seines Opfers. „Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid.“Die Familie sitzt ihm gegenüber, wie an fast jedem Verhandlun­gstag. „Was wir gemacht haben, war falsch, grausam und feige.“Dann lässt er seinen Anwalt sagen: „Ich würde es gerne rückgängig machen.“Er habe sich von „falschen Gedanken und falschen Personen leiten lassen“. H. nennt er seinen „Mentor“, der ihn radikalisi­ert habe.

Ernst teilte über seinen Anwalt mit, er wolle an einem Aussteiger­programm teilnehmen – je früher, desto lieber. Offene Fragen, die die Familie zu der Tatnacht vielleicht noch habe, wolle er beantworte­n helfen. Während der Schilderun­g der Tatnacht wirkt Ernst in sich gekehrt, blickt nicht direkt zur Witwe und den Söhnen. Gefühle zeigt er, als es um seine Kindheit, den prügelnden und trinkenden Vater geht. Auf sich selbst bezogen sind auch die letzten Worte der Einlassung. Darin ist die Rede davon, wie sehr er seine Frau und seine beiden Kinder vermisst. Zu seiner 16 Jahre alten Tochter habe er seit seiner Festnahme keinerlei Kontakt: „Sie will das nicht.“Ihn treffe das emotional schwer, doch er könne es ihr nicht verübeln. Eva Krafczyk und

Göran Gehlen, dpa

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