Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hoffentlic­h rissfest

Der Lockdown hat Unternehme­n weltweit dazu gezwungen, ihre Lieferkett­en zu hinterfrag­en. Die Globalisie­rung gänzlich abzuwickel­n ist allerdings weder im Interesse der Unternehme­n noch möglich. Jetzt muss ein neues Gleichgewi­cht gefunden werden

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VOn STEFAn KÜPPER

Augsburg Es kann auch gut gehen. Wenn die Kette weiter ineinander­greift, weil sie vorher so angelegt wurde, dass ihre Glieder weiter halten, auch wenn das Coronaviru­s daran zerrt. Bei Sortimo Internatio­nal aus Zusmarshau­sen zum Beispiel ist das so.

Wenn ein Handwerker seinen Transporte­r hinten öffnet, ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass die Regale im Laderaum, die vielen Schubladen, die Ordnung im Innenraum von diesem Unternehme­n geschaffen wurde. Sortimo produziert ausschließ­lich im heimischen Werk im Landkreis Augsburg. Dennoch ist der Spezialist für Fahrzeugei­nrichtunge­n, Beklebunge­n und Arbeitspla­tzorganisa­tion, wie so viele regionale Unternehme­n, internatio­nal unterwegs. 1300 Mitarbeite­r weltweit. Ein Joint Venture in den USA, 25 Importeure rund um den Globus, neun Tochterunt­ernehmen in Europa. Dennoch sagt Peter Siegle, Leiter Supply Chain Management bei Sortimo: „Eine Lieferkett­enproblema­tik wegen Corona gab es bei uns nicht. Die Produktion­sversorgun­g war zu keinem Zeitpunkt kompromitt­iert.“Die Rohholzpla­tten, mehrere hundert Tonnen pro Jahr, kommen aus Skandinavi­en oder den baltischen Staaten. Das Metall kommt aus Deutschlan­d. Und gerade da reicht die Fertigungs­tiefe weit. Sprich: Sortimo hat eine eigene Konstrukti­onsabteilu­ng, einen eigenen Werkzeugba­u. Siegle: „Das ermöglicht uns, fast alles selbst zu machen.“Im Februar habe es eine Risikoanal­yse gegeben. Aber was in den Puffer-Lagern war, hätte für Monate gereicht. Probleme gab

eher, wenn das Produkt fertig war. Wenn ganze Länder dicht sind, wenn es über Tage keinen „Abfluss“an Waren gibt, sind Lagerkapaz­itäten bald erschöpft. Dann musste man reagieren. Es gab auch zwischenze­itlich einen Auftragsei­nbruch, weil die für den Umbau vorgesehen­en Fahrzeuge nicht geliefert wurden. Letztlich aber, so erklärt Siegle weiter, habe der Härtefall Corona die Wertschöpf­ungsstrate­gie des Unternehme­ns bestätigt. Regionale Partner aus Bayern und Deutschlan­d, aus politisch stabilen Ländern, ein über Jahrzehnte gewachsene­s Netzwerk.

Nicht jeder ist so aufgestell­t wie Sortimo. Kann es vielleicht nicht sein, weil die Produkte anders, die Lieferkett­en kleinteili­ger, die Abhängigke­iten andere sind. Corona hat nun dafür gesorgt, dass globale Wirtschaft­sabläufe mehr und mehr hinterfrag­t werden: Taugen sie noch? Oder ergibt es mehr Sinn, die Globalisie­rung zurückzudr­ehen, die Produktion auf den Kontinent, ins Land zurückzuho­len? Für Medikament­e wird es ohnehin gefordert.

Dalia Marin, Professori­n für internatio­nale Wirtschaft­sbeziehung­en aus München, analysiert in einem Beitrag für das Ifo-Institut, dass die globalen Lieferkett­en schon nach der Finanzkris­e nicht mehr gewachsen seien. Und Corona habe die in den 90ern begonnene Zeit der „Hypergloba­lisierung“nun an ihr Ende geführt. Der Grund: „Wenn die Unsicherhe­it steigt, leiden die globalen Lieferkett­en.“Aus Daten der Vergangenh­eit lasse sich schließen, dass eine sehr starke Steigerung der Unsicherhe­it, wie sie wahrschein­lich durch die Covid-19-Pandemie verursacht werde, „die globale Lieferes kettenakti­vität um 35 Prozent verringern könnte. Trotz der Einsparung­en lohnt es sich für die Unternehme­n nicht mehr, die mit der Produktion­sauslageru­ng verbundene­n Risiken einzugehen.“Und die wachsende Zahl der Roboter macht auch in einem Hochlohnla­nd wie Deutschlan­d die Produktion billiger. In der Bundesrepu­blik seien die Sektoren, die ihre Produktion seit der Finanzkris­e am stärksten ins Land zurückhole­n, die chemische Industrie,

die Metallindu­strie sowie die Elektro- und Elektronik­branche. Die Wirtschaft wird sich also stark wandeln, abgewickel­t werden können die wirtschaft­lichen Verflechtu­ngen aber nicht so leicht. Marin schreibt: „Auch wenn es jetzt durch die Corona-Krise zu einer verstärkte­n Deglobalis­ierung kommt, wird dies nicht zu einem Rückfall in die Zeit vor den 1990er Jahren führen. Dazu sind diese Geschäftsb­eziehungen bereits zu etabliert und nur mit Kosten zu ändern.“

Ein Ende der Internatio­nalität ist in weiter Ferne und wäre gar nicht im Interesse der Unternehme­n.

Denn allein in Bayerisch-Schwaben beispielsw­eise sind laut IHK derzeit – neben Sortimo aus Zusmarshau­sen – noch rund 3000 Unternehme­n aus Produktion, Handel und Dienstleis­tungen regelmäßig im Auslandsge­schäft aktiv. Vor allem im Im- oder Export. Die Region ist zudem ein Produktion­sstandort. Der Anteil der Beschäftig­ten im Maschinenb­au ist hier mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurc­hschnitt. Und das verarbeite­nde Gewerbe (darunter der Maschinenb­au) habe den weiteren IHK-Angaben zufolge eine „direkte Exportquot­e von rund 45 Prozent“. Fazit der Industrie- und Handelskam­mer: „Die regionale Wirtschaft partizipie­rt sowohl am regionalen als auch nationalen und internatio­nalen Handel. Damit kommt der Frage nach funktionie­renden Lieferkett­en eine herausrage­nde Bedeutung für den Produktion­sstandort zu.“Wichtigste Handelspar­tner sind die USA, China und Österreich.

Zugleich zeigen die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage bei den deutschen Auslandsha­ndelskamme­rn, Delegation­en und Repräsenta­nzen, an der sich 3300 Unternehme­n beteiligt haben, dass 38 Prozent nach neuen Lieferante­n suchen. Vor allem im eigenen Land.

Roboter machen die Produktion billiger

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Beispiel Sortimo: Der Fahrzeugau­sstatter in Zusmarshau­sen bei Augsburg sieht sein Logistik- und Lagerkonze­pt durch den „Härtefall Corona“bestätigt.
Foto: Marcus Merk Beispiel Sortimo: Der Fahrzeugau­sstatter in Zusmarshau­sen bei Augsburg sieht sein Logistik- und Lagerkonze­pt durch den „Härtefall Corona“bestätigt.

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