Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Es war vorhersehbar“
Hunderte Menschen haben sich in Mamming mit dem Coronavirus infiziert. Die Grünen kritisieren, dass die Unterkünfte für Saisonarbeiter nicht kontrolliert würden. Der Massenausbruch beschäftigt auch die Justiz
Mamming Erst der Corona-Ausbruch auf einem Gemüsehof, dann in einer Konservenfabrik – wegen hunderter Infizierter steht das niederbayerische Mamming derzeit massiv im Fokus. Und es hagelt Kritik – gegen die Staatsregierung und Markus Söder. Vorwürfe gibt es etwa von den Grünen. „Massenunterkünfte für Saisonbeschäftigte in der Landwirtschaft und Leiharbeitskräfte in der Nahrungsmittelproduktion sind ein blinder Fleck in der bayerischen Kontrollstruktur“, sagt die GrünenPolitikerin Eva Lettenbauer angesichts des Corona-Ausbruchs auf dem Gemüsehof. „Es war vorhersehbar, dass sich in diesem unkontrollierten Bereich Corona-Brennpunkte entwickeln würden.“Lettenbauer kritisierte, eine Aufsicht, die nicht hinter die Türen der Betriebe und gar nicht in die Betriebsunterkünfte schaue, fördere regelrecht Verstöße gegen Hygiene- und Unterbringungsvorschriften und versage als unabhängige Schutzinstanz für die Beschäftigten.
Die Grünen-Politikerin berief sich bei ihrer Kritik auf Antworten der Staatsregierung auf eine Landtagsanfrage ihrer Partei. Dort verweist die Staatsregierung unter anderem darauf, dass ihr keine Erkenntnisse über die Zahl von Saisonarbeitern vorliege, die in Sammelunterkünften untergebracht seien. „Eine rechtliche Verpflichtung der Meldung durch die Unternehmen und eine statistische Erhebung von Behördenseite ist nicht gegeben.“Zudem stünden „den Arbeitsschutzbehörden für privatrechtlich angemietete Unterkünfte keine Betretungsrechte zu“.
Auch von anderer Seite kommen kritische Töne. Der Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Theurer, macht gegenüber unserer Redaktion deutlich: „Herr Söder sollte sich mal ein paar Tage mit neunmalklugen Ratschlägen zurückhalten und die Dinge im niederbayerischen Mamming in Ordnung bringen.“Der bayerische Ministerpräsident müsse glaubhaft erklären, wie es zu dieser Infektionskette mit hunderten erkrankten Menschen überhaupt kommen konnte und wie er das zukünftig verhindern wolle. „Herr Söder versucht immer ganz Deutschland zu belehren, wie man Corona richtig bekämpft, doch Bayern hat weiter die meisten Infizierten und die meisten Toten.“
Die Corona-Fälle auf dem Gemüsehof haben mittlerweile auch die Justiz beschäftigt. Der Landwirt
vor Gericht mit dem Versuch, dass negativ auf Corona getestete Erntehelfer wieder für ihn arbeiten können. Das Verwaltungsgericht Regensburg bestätigte eine Entscheidung des Landratsamts Dingolfing-Landau, das eine vollständige häusliche Quarantäne aller Beschäftigten auf dem Hof als
Schutzmaßnahme gegen eine weitere Verbreitung von Sars-CoV-2 angeordnet hatte. Den Antrag des Gemüsebauern auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnten die Richter ab. Er hatte argumentiert, dass der Einsatz der negativ getesteten Erntehelfer dringlich sei, weil die Haupterntezeit von Einlegegurscheiterte ken nur bis Mitte August dauere. Ohne die Erntehelfer sei ein Totalausfall der diesjährigen Gurkenernte zu erwarten. Das wiederum sei für den Landwirt existenzbedrohend, teilte das Gericht mit.
Derzeit befinden sich etwa 470 Menschen als Erntehelfer auf dem Anwesen. Bei einer ersten Reihentestung am 25. Juli waren bei 174 von ihnen positive Befunde festgestellt worden, fast 300 wurden negativ getestet. Bei einer zweiten Reihentestung am 31. Juli hatten auch 52 der zunächst negativ getesteten Personen positive Testergebnisse. Am Mittwoch kamen weitere 17 positive Fälle hinzu.
Das Gericht entschied, die behördliche Entscheidung sei „ermessensgerecht und verhältnismäßig“. „Die vollständige Isolation der Erntehelfer sei insbesondere erforderlich, um die unkontrollierte Weiterverbreitung des Virus zu stoppen“, hieß es. „Sie sei trotz der gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen für den Antragsteller auch angemessen, da von Sars-CoV-2 eine große Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung mit dem Risiko schwerer Krankheitsverläufe ausgehe.“Gegen den Beschluss kann der Bauer Beschwerde einreichen.