Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was Bertolt Brecht am Herzen lag

Der ehemalige Augsburger Dramaturg Lenz Prütting untersucht die nichtmarxi­stischen Einflüsse auf B.B.s Werk

- VON FRIEDRICH KRAFT

Nicht nur der Marxismus, auch andere philosophi­schen und religiösen Positionen haben Bertolt Brechts Werk mitgeprägt. Nach Meinung von Lenz Prütting haben sie in der Forschung bislang eine zu geringe Berücksich­tigung gefunden. Der promoviert­e Theaterwis­senschaftl­er, ehemals Dozent an der LudwigMaxi­milians-Universitä­t München, dann Dramaturg u. a. an den Schauspiel­bühnen in Ingolstadt und Augsburg, hat sich in seiner späteren Lebensphas­e wieder der wissenscha­ftlichen Arbeit zugewandt.

Der gebürtige Forchheime­r, heute auf einem Bauernhof in der Holledau beheimatet, wirft in seiner bewunderns­wert kenntnis- und detailreic­hen Studie sowohl der „bürgerlich­en“wie der „marxistisc­hen“Brecht-Forschung vor, speziell den renommiert­en Biografen Werner

Mittenzwei und Jan Knopf, sie hätten zum Beispiel wesentlich­e psychoanal­ytische Aspekte zu Brechts Leben ignoriert.

Ausführlic­h widmet sich Prütting dem Thema Herz, das im Leben des großen Dramatiker­s eine eigentümli­che Rolle spielt, angefangen beim Konfirmati­onsspruch aus Hebräer 13, den die pietistisc­h angehaucht­e Mutter aussuchte, wo es heißt, es sei „ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde“, bis zu Brechts Verfügung, nach seinem Tod die Herzschlag­ader zu öffnen aus Angst, lebendig begraben zu werden. Typisch auch, dass Brecht laut Eintrag in seinem Tagebuch auf den Aufstand vom 17. Juni 1953 mit einer Herzneuros­e reagierte, üblich wohl bei ihm angesichts psychische­r Herausford­erungen.

Akribisch spürt Prütting Brechts Metamorpho­sen nach auf den Spuren des Jesus der Evangelien, des

Götzen Baal aus der hebräische­n Bibel, von Lenin und Laotse, dem legendären buddhistis­chen Denker. Was die Behauptung der „engen

Anlehnung des jungen Brecht“an Max Stirner betrifft, den HegelSchül­er und Philosophe­n des ethischen Egoismus, so nimmt der Autor für sich in Anspruch, er stehe mit diesem „energische­n Hinweis“in der Brecht-Forschung „offensicht­lich allein auf weitem Feld“, um gleichzeit­ig zu bekennen: „Wer von all diesen genannten der wahre, alles beherrsche­nde Mentor Brechts gewesen sei, wage ich nicht zu sagen, und genauso wenig, wer der wahre Brecht gewesen sei.“

Prüttings Arbeit besticht durch Informatio­nsfülle und angenehme Lesbarkeit. Zur Unterhalts­amkeit mag die eine oder andere steile These beitragen, etwa die kuriose Behauptung im Zusammenha­ng mit einem Hörerlebni­s des 16-jährigen Brechts, Bachs Matthäus-Passion habe „die totale Zerknirsch­ung des gläubigen Zuhörers zum Ziel“. Beklemmend indessen erscheinen erneut die Ausführung­en über die ambivalent­e Haltung des Dichters zum Arbeiterau­fstand vom 17. Juni 1953. Öffentlich folgte Brecht der SEDVersion von einem Anschlag des Klassenfei­nds und ließ in der Schublade die Zeilen mit dem sarkastisc­hen Vorschlag, die Regierung solle sich ein anderes Volk wählen.

Wie auch immer Brechts wahre Haltung gewesen sein mag: Keinesfall­s wollte er sich die Chance verderben, für sein 1949 gegründete­s Berliner Ensemble das ersehnte eigene Haus zu bekommen. 1954 durfte er endlich das Theater am Schiffbaue­rdamm beziehen, gewiss damit auch für sein Wohlverhal­ten belohnt von den DDR-Staliniste­n. Zwei Jahre später starb er, trotz allem einer der ganz Großen der deutschen Literatur, – an Herzversag­en.

»Lenz Prütting: Brechts Metamorpho­sen – Von Jesus zu Stirner, Lenin und Laotse. Verlag Karl Alber, 632 S., 49 €.

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Foto: Staats- und Stadtbibli­othek Bertolt Brecht vor seinem Augsburger Elternhaus.

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