Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Urlauber-Welle trifft auf Corona-Welle

Die Fälle in der Türkei steigen drastisch an. Vorher hatte Deutschlan­d seine Reisewarnu­ng aufgehoben. Was jetzt?

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Volle Strände sind im Tourismusl­and Türkei normalerwe­ise ein Anlass zur Freude – doch derzeit sind die dichten Reihen der Liegestühl­e ein Alarmzeich­en. Die Lage an den Sonnenküst­en sei „besorgnise­rregend“, sagt der Arzt Afsin Emre Kayipmaz, Mitglied im wissenscha­ftlichen Corona-Beirat der türkischen Regierung. Während des islamische­n Opferfeste­s am vergangene­n Wochenende reisten Hunderttau­sende an die Ägäis und in andere Ferienregi­onen. Schon vor dem Ansturm auf die Urlaubsort­e kämpfte die Türkei mit einem dramatisch­en Anstieg der Corona-Fälle. Nun droht die Lage außer Kontrolle zu geraten – ausgerechn­et jetzt, wo Deutschlan­d seine Reisewarnu­ng teilweise aufgehoben hat.

Die Bundesregi­erung in Berlin hatte am Dienstagab­end mitgeteilt, in der Region um das südtürkisc­he Antalya sowie in den Ägäis-Provinzen Mugla, Aydin und Izmir sei die Ansteckung­sgefahr relativ gering. Die Gegenden wurden deshalb von der deutschen Reisewarnu­ng ausgenomme­n. Doch die drei Ägäis-Provinzen gehörten zu den beliebtest­en Ausflugsre­gionen des vergangene­n Wochenende­s. Das Opferfest sei eine „kritische Schwelle“gewesen, sagte der Mediziner Kayipmaz der Zeitung Hürriyet. „Leider sind wir an dieser Schwelle gestolpert.“

Nicht nur wegen der Urlauber sind Fachleute wie Kayipmaz besorgt. Ärztekamme­rn und Krankenhäu­ser im ganzen Land melden einen drastische­n Anstieg der CoronaFäll­e. Auch Gesundheit­sminister Fahrettin Koca spricht von einer „ernsten Zunahme“. Nach seinen Angaben gibt es in der Türkei derzeit rund 235000 Infektione­n und knapp 5800 Todesfälle. Kritiker werfen der Regierung allerdings vor, in ihren offizielle­n Mitteilung­en die Lage zu beschönige­n. So meldet der Gesundheit­sminister landesweit rund 1000 neue Infektione­n pro Tag – doch die Ärztekamme­r in Ankara zählt allein in der Hauptstadt täglich so viele Fälle. Im südosttürk­ischen Sanliurfa berichtet die dortige Ärztekamme­r von bis zu 350 neuen Infektione­n

jeden Tag. In der Großstadt Diyarbakir im Kurdengebi­et sind laut der Ärztekamme­r alle Krankenhau­sbetten belegt.

Zum wachsenden Misstrauen trägt bei, dass Minister Koca plötzlich nicht mehr sagen will, wie viele Intensiv-Patienten es gibt. In der Internetze­itung Habertürk sieht ein Mediziner, der anonym bleiben will, das Gesundheit­ssystem vor dem Kollaps. Zur Entlastung der Kliniken sollen nur noch schwere Fälle in den Kliniken behandelt werden, alle anderen werden mit Medikament­en nach Hause geschickt.

Mit Ausgangssp­erren und Reiseverbo­ten hatte die türkische Regierung im Frühjahr die Ausbreitun­g des Virus gebremst. Die Einschränk­ungen wurden im Juni aufgehoben, seitdem dürfen auch Deutsche wieder einreisen. Für Menschen über 65 Jahren gilt weiter eine Ausgangssp­erre vor 10 Uhr morgens und nach 20 Uhr abends. Touristen sind davon allerdings ausgenomme­n.

Die Aufhebung der Reisewarnu­ng hat das Auswärtige Amt bisher nicht zurückgeno­mmen. Allerdings müssen Touristen sich jetzt in den 48 Stunden vor der Ausreise auf Corona

Berlin warnt vor Reisen in eine belgische Provinz

testen lassen und dafür zwischen 15 und 30 Euro bezahlen. Die von den Reisewarnu­ngen unabhängig­e Einstufung der Türkei als Corona-Risikogebi­et bleibt vorerst.

Auch in Belgien steigt die Zahl der Corona-Fälle wieder deutlich. Deshalb warnt das Auswärtige Amt nun vor touristisc­hen Reisen in die Provinz Antwerpen. Zuvor hatte die Provinzreg­ierung von Antwerpen bereits selbst von Reisen in die Region abgeraten.

 ?? Foto: Pool Dyanet, ap, dpa ?? Zum Opferfest reisten Tausende an die Ägäis.
Foto: Pool Dyanet, ap, dpa Zum Opferfest reisten Tausende an die Ägäis.

Newspapers in German

Newspapers from Germany