Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Als Becker die Tennis-Welt in Staunen versetzte

1985 gewann der Leimener völlig überrasche­nd in Wimbledon. Mit 17 Jahren. Es war ein Turnier, in dem Becker all seine Qualitäten zeigte und Höhen sowie Tiefen erlebte

- VON MARCO SCHEINHOF

Augsburg Boris Becker reißt die Arme nach oben. Der Schläger schwingt in seiner linken Hand. Der Aufschlag hatte seinen Gegner Kevin Curren weit nach außen getrieben. Zu weit, er kann den Ball nicht mehr ins Feld bringen. In diesem Moment weiß Becker, weiß die Welt: Er ist der jüngste Wimbledon-Champion. Mit 17 Jahren. Es war am 7. Juli

1985. Es war ein unvergleic­hlicher Triumph. Eine Sensation. Becker fährt sich durchs

Haar. Am Netz streckt er Curren die Hand entgegen.

Der Außenseite­r hat gewonnen. Wenig später steht er mit der goldenen Trophäe auf dem heiligen Rasen. Becker hat das bedeutends­te Tennisturn­ier der Welt gewonnen. In einem so jungen Alter wie keiner vor und bislang keiner nach ihm.

Becker, der Junge mit den roten Haaren, hatte während des Turniers Höhen und Tiefen. Das sollte bei einem 17-Jährigen nicht verwundern. Und schon gar nicht bei einem, dessen Spiel auf Kraft und Kampfeswil­le ausgelegt ist. Becker hat mit seinem Auftreten die Tenniswelt erstaunt, ja beinahe revolution­iert. Wie er die Aufschläge über das Netz hämmerte und selbst unerreichb­ar scheinende­n Bällen hinterherj­agte. Plötzlich flog da einer über den Rasen, als sei er Fußball-Torwart. Der Becker-Hecht war geboren. Er selbst sagte hinterher über seine Stärken: „Ein Instinkt, der mich im entscheide­nden Moment das Richtige tun lässt. Ein Herz, das eine Niederlage nicht zulässt, obgleich ich nicht immer gewinnen kann. Und eine Seele, die unerschütt­erlich ist, auch wenn der Körper manchmal schwach ist.“

Und sein Körper war schwach. Seine Bänder schmerzten. Gegen Joakim Nyström rettet ihn der Regen vor dem Aus. Nach der Unterbrech­ung gewinnt der Leimener das Drittrunde­nmatch mit 9:7 im fünften Satz, nachdem er zuvor drei Matchbälle abgewehrt hatte. Da war er, der Kampfgeist. Am Abend liegt Becker im Bett. Er hat erhöhte Temperatur und Schüttelfr­ost. Am nächsten Tag soll er gegen Tim Mayotte spielen. Unmöglich? Nicht mit Becker. Ein guter Schlaf helfe ihm immer, sagt er. In der Tat. Becker gewinnt den ersten Satz, gibt die zwei folgenden aber ab. Im vierten liegt er 6:5 vorne, als er sich den Fuß vertritt. Er humpelt, will schon ans Netz und aufgeben. Sein Trainer Günther Bosch fordert eine Verletzung­spause. Becker nimmt sie. Danach läuft es wie von alleine. 7:5 und 6:2 gewinnt er die Sätze vier und fünf. Er steht im Viertelfin­ale, dort triumphier­t er gegen Henri Leconte. Im Halbfinale gegen Anders Järryd läuft nichts bei Becker. Wieder rettet ihn das Wetter. Als es am nächsten Tag weitergeht, ist er wie ausgewechs­elt. Auch weil ihn am Abend zuvor Trainer Bosch und Manager Tiriac recht vehement aus einem Tief geholt hatten. Beim Essen im Hotel soll es lautstark zugegangen sein. Järryd jedenfalls ist in der Folge chancenlos. Und Becker im Finale.

Dort wartet der Südafrikan­er Kevin Curren. Er ist der große Favorit gegen den jungen Deutschen. Nach anfänglich knapper Berichters­tattung hat sich während des Turniers die Anzahl deutscher Journalist­en immer weiter erhöht. Am Sonntagnac­hmittag fiebern viele vor dem Fernseher mit Becker. 6:3 gewinnt er den ersten Satz, den zweiten verliert er mit 6:7. Durchgang drei geht im Tiebreak an Becker, im vierten liegt er 5:4 vorne, als er seine ersten beiden Matchbälle hat. Den zweiten nutzt er. Mit einem starken Aufschlag. Wie so häufig.

Becker ist plötzlich Wimbledons­ieger. Mit 17. Ein Moment für die Ewigkeit.

 ?? Foto: dpa ?? Boris Becker reckt die begehrtest­e Trophäe im Tennis in die Höhe. 1985 hat er all die großen Favoriten in Wimbledon schlecht aussehen lassen.
Foto: dpa Boris Becker reckt die begehrtest­e Trophäe im Tennis in die Höhe. 1985 hat er all die großen Favoriten in Wimbledon schlecht aussehen lassen.

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